Agostino Barelli (1627–1697)

Baumeister der Theatiner

Herkunft und Ausbildung
Am 26. Oktober 1627 wird Agostino Barelli in der Capella di San Procolo in Bologna getauft. Er ist Sohn der Eheleute Giovanni Battista «de Barellis» und Francesca de Zechi. Der Vater stammt aus Rovenna, einem Dorf oberhalb von Cernobbio am Comersee. Er ist als Maurermeister in Bologna tätig, pflegt aber noch rege Beziehungen zu seinem Heimatort. Agostino lernt das Maurerhandwerk und das Zeichnen bei seinem Vater, gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Pellegrino. Nach der Lehre arbeiten sie im Familienbetrieb, wobei Antonio offenbar für die Planungen verantwortlich ist. Schon 1650 ist seine Beteiligung am Projektwettbewerb für den Palazzo Albergati in Zola Predosa nachgewiesen. Er ist aber auf seine Handwerkerwurzeln stolz und unterzeichnet noch 1659 mit «Antonio Barella Muratore». Die Sammlung von Architekturtraktaten aus seinem späteren Nachlass weist nebst den üblichen Säulenbüchern meist Werke des 17. Jahrhunderts aus. Sie zeigt sein grosses Interesse an Architekturtheorie. Noch 1694 beschafft er sich das neueste Werk von Carlo Fontana über die sakralen Bauwerke Roms.

San Bartolomeo e Gaetano in Bologna
1653 erhält er den Auftrag für den Neubau der Theatinerkirche San Bartolomeo e Gaetano in Bologna. Der Grund für den Auftrag der Kirche im Zentrum Bolognas durch einen der wichtigsten Orden der Gegenreformation an den erst 26-jährigen Barelli ist noch ungeklärt. Schon lange vorhandene Beziehungen der Barellis zu den Theatinern und sein guter Ruf sind wahrscheinlicher als der erst zehn Jahre später erfolgte Eintritt seines Bruders Pellegrino in den Theatinerorden. 1664 wird die Kirche eingeweiht, die Kuppel baut Barelli erst 22 Jahre später.[1]

Theatinerkirche in München
Zur Zeit der Einweihung von San Bartolomeo e Gaetano ist Agostino Barelli bereits in München. Die bayrische Kurfürstin Henriette Adelheid von Savoyen will auf Grund eines Gelübdes Theatinerkloster mit Kirche zu Ehren des hl. Kajetan bauen. Ein grosses Grundstück in der nördlichen Altstadt gegenüber der Residenz ist bereits ausgeschieden. Eine Gruppe von Theatiner-Patres, auch der äusserst unbescheidene Antonio Spinelli[2] ist seit 1662 anwesend. Die Kurfürstin, am Turiner Hof erzogen, will von deutschen Baumeistern nichts wissen und lässt zuerst den Theatinerpater Guarino Guarini anfragen. Dieser ist aber in Paris mit dem Bau der dortigen Theatinerkirche beschäftigt und unabkömmlich. Aus Theatinerkreisen wird ihr dann Agostino Barelli empfohlen. 1662 ist dieser zweimal in München. 1663 trifft er zusammen mit dem im Bauwesen höchst erfahrenen («maestro intendentissimo») Maurermeister Lorenzo Perti[3] in München ein, um sofort mit dem Bau zu beginnen. Er muss die Kirche nach dem Vorbild der römischen Theatinerkirche Sant’Andrea della Valle beginnen. Mit der kräftigen Gliederung durch gekoppelte Dreiviertel-Säulen und der hohen Attika setzt er den Innenraum vorteilhaft gegenüber dem Vorbild ab.[4] Schon 1664 kommt es zur ersten Konfrontation mit dem überheblichen Theatinerpater Spinelli. Er inszeniert in Gegenwart des kurfürstlichen Ehepaares und des ganzen eingeladenen Hofrates seinen grossen Auftritt, in dem er Barelli einen Massfehler gegenüber dem Vorbild Sant'Andrea della Valle in Rom nachweist und ihn vor der Gesellschaft demütigt. Barelli muss mit seinem Trupp die Fundamente und die schon begonnenen Pfeiler neu erstellen. 1665 übernimmt Spinelli die von ihm angestrebte «Bauleitung».[5] Barelli verlässt München 1668, kehrt 1671 nochmals zurück, um dann 1674 endgültig in Italien zu bleiben.

Nymphenburg
Vielleicht schon bei seinen ersten Aufenthalten 1662 konfrontiert ihn Kurfürstin Henriette Adelheid auch mit Neubauplänen für das Lustschloss Nymphenburg, das sie westlich der Residenzstadt erstellen will. 1663 nimmt Barelli zusammen mit Lorenzo Perti das Grundstück auf und erstellt eine Planung. Er ist nicht frei, die Kurfürstin hat klare Vorstellungen und wahrscheinlich glaubt auch hier wieder Pater Antonio Spinelli an seine baukünstlerischen Fähigkeiten. Jedenfalls entsteht ab 1664 ein Werk dilettierender Bauherren, das Barelli umsetzen muss.[6] Nur der Mittelbau ist, schon 1678 durch Zuccalli radikal verändert, ist heute noch vorhanden.

Bologna 1674–1697
Schon wenige Monate nach seiner endgültigen Rückkehr wird Barelli zum Baumeister der Theatinerniederlassung Bologna ernannt. 1676 erfolgt seine Ernennung zum Stadtbaumeister (architetto pubblico) durch den Senat von Bologna. 1677 überträgt ihm der gleiche Senat das Amt eines Oberaufsehers der Wasserwerke und Kanäle, genannt «Custodis Cratium Civitatis». Der jetzt 40-jährige Rückkehrer scheint in Bologna bedeutend mehr Vertrauen als in München zu geniessen. Die städtischen Ämter sind mit Bauarbeiten an kommunalen Objekten wie dem Palazzo della Zecca, dem Uhrturm am Palazzo Comunale und am Palazzo del Podestà verbunden. Ein wichtiges Werk von 1676 ist die Porta delle Lame, das heute freistehende Stadttor in Bologna. Für den Senator Ghislieri kann er 1685 auf dessen Landgut in Sant’Agostino das Oratorium San Carlo errichten, ein wahres Juwel und vom römischen Vorbild des Francesco Borromini inspiriert.[7] 1686 baut er die Kuppel der Theatinerkirche von Bologna, schon 1682 kann er die Kuppel der Kirche Santa Maria del Baraccano in Bologna erstelle. Beide Kuppeln sind städtebaulich prägende Elemente.
Agostino Barelli führt in den zwei Jahrzehnten nach der Rückkehr aus München ein äusserst angesehenes Baubüro und bildet auch Nachwuchskräfte aus. Die Forschung nach seinen Bauwerken ist erst am Anfang, die Liste seiner Arbeiten dürfte in nächster Zeit noch ergänzt werden.
Am 29. Januar 1697 stirbt er in seinem Wohnhaus an der Vai Lama in Bologna und wird in «seiner» Theatinerkirche begraben. Er hat keine Nachkommen.

Pius Bieri 2016

Literatur:
Paulus, Richard Adolf Luitpold: Der Baumeister Henrico Zuccalli am kurbayrischen Hofe zu München. Strassburg 1912.
Peroni, Adriano: Barelli, Agostino in: Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 6 (1964).
Bauer-Wild, Anna: Die erste Bau- und Ausstattungsphase des Schlosses Nymphenburg 1663–1680. München 1986.
Nicoletti, Maria Felicia: Sacro e profano, l’opera di Agostino Barelli nella Bologna del Seicento. Bologna 2012.

Anmerkungen

[1] San Bartolomeo e Gaetano ist eine Säulenbasilika mit Querhaus und Vierungskuppel, das dreischiffige Langhaus mit zwei äusseren Wandpfeilerschiffen für die Kapellen ergänzt. Vorbilder sind nicht römische Wandpfeilerbasiliken wie Sant’Andrea della Valle, sondern vorbarocke Theatinerkirchen Oberitaliens, im speziellen San Vincenzo in Piacenza (1595–1612).

[2] P. CR Antonio Spinelli (1630–1760) aus Padua, ist ab 1665 Beichtvater der Kurfürstin. Der Architekturdilettant wird 1690 Geheimrat.

[3] Lorenzo Perti (1624–1692) aus Rovenna, dem Heimatort des Vaters von Agostino Barelli. Er ist der eigentliche Leiter der Baustelle, die damalige Benennung Baumeister (Barelli) und Maurermeister (Perti) würde im heutigen Sprachgebrauch mit Architekt (Barelli) und Baumeister und Bauleiter (Perti) lauten.

[4] Der Innenraum von Sant' Andrea della Valle (vollendet 1608–1622 von Carlo Madero) ist nur in den Massverhältnissen des Grundrisses mit dem Bau in München vergleichbar. Die Münchner Kirche ist keinesfalls eine Replik, sondern eine eigenständige barocke Schöpfung.

[5] Spinelli ist zwar an Baukunst interessiert, in der Praxis aber völlig unerfahren. Eigentlicher Leiter aller Bauarbeiten bleibt immer Lorenzo Perti. Erst Enrico Zuccalli kann sich 1674 gegen den anmassenden Theatinerpater durchsetzen.

[6] Im Wesentlichen besteht die Anlage bis 1678 aus drei mit Galerien verbundenen kubischen Hauptkörpern, der mittlere von mächtigem Ausmass, fünfgeschossig, ist der heutige Hauptbau. Über jeder Fassade ist im Dach ein Zwerchhaus angebracht. Siehe zum Adelaide-Barelli-Bau die Baugeschichte Nymphenburgs in dieser Webseite.

[7] Das Oratorium mit seiner reichen hochbarocken Ausstattung wird beim Erdbeben am 20. Mai 2012 fast vollständig zerstört. Zurzeit sind die Trümmerreste mit der noch stehenden Altarwand provisorisch geschützt.

  Agostino Barelli (1627–1697)  
  Biografische Daten        
  Geburtsdatum Geburtsort     Land  
  26. Oktober 1627 Bologna   Emilia-Romagna (I)  
    Land 18.Jh.     Bistum 18.Jh.  
    Kirchenstaat   Bologna  
  Sterbedatum Sterbeort     Land  
  29. Januar 1697 Bologna   Emilia-Romagna (I)  
    Land 18. Jh.     Bistum 18. Jh.  
    Kirchenstaat   Bologna  
  Kurzbiografie        
 

Agostino Barelli ist über 50 Jahre als Baumeister und  Architekt in Bologna tätig. Viele seiner Bauwerke harren noch der Entdeckung. Selbst in Italien ist er vor allem wegen seiner fünfjährigen Tätigkeit in München bekannt, wo er mit der Theatinerkirche sein Hauptwerk erstellt. Wegen eines überheblichen Theatinerpaters, Berater der Kurfürstin und selbsternannter Architekt, wirft er nach wenigen Jahren das Handtuch. Die Theatinerkirche ist aber, mit Ausnahme späterer Fassaden-und Kuppeländerungen, sein Werk. Trotz Vorgaben schafft er es, keine Replik der römischen Kirche Sant' Andra della Valle zu bauen und in München einen lichten und reichen barocken Kirchenraum zu erstellen. Weniger erfolgreich ist er in Nymphenburg. Gegen die fürstlichen Architekturdilettanten kann er sich hier nicht durchsetzen.

    BarelliTheatiner  
  pdf         legende  
Vermutlich Porträt von Agostino Barelli im Alter von 45–47 Jahren um 1671/74, Maler vielleicht Antonio Triva. Das Gemälde im Besitz des Bayerischen Nationalmuseums München wird dort im Krieg zerstört.
Veröffentlichung einer Vorkriegsfotografie in Fabian Pius Huber: «Mut zu prächtigen Dingen» (2019) Seite 122, ohne Angaben zur Herkunft. Die Foto wird in der Literatur lange als Porträt von Enrico Zuccalli bezeichnet. Dieser ist zwar 15 Jahre jünger als Barelli, der Porträtierte zeigt aber auf den Plan des Klosters «von SS. Adelaide und Gaetano der bayerischen Theatiner» hin, dessen Planung in dieser Form erst 1675 durch Gaetano Bonomo, Antonio Spinelli und Enrico Zucalli beginnt. Weil Barelli nur für den Kirchenneubau von 1663–1674 tätig ist, könnte die Zuschreibung an Barelli auch falsch sein.