Die wichtigsten Meister der Klosteranlage Obermarchtal
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Tommaso Comacio (um 1625–1678) Roveredo Misox ok   Baumeister-Architekt 1669   1674
Michael Thumb (um 1640−1690) Bezau Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1685   1690
Franz Beer II (1660−1726) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1690   1703
Christian Thumb (um 1645−1726) Bezau Vorarlberg     Baumeister-Architekt 1690   1703
Franz Schmuzer (1676–1741) Wessobrunn ok   Stuckateur 1701   1702
Andreas Etschmann (1662−1708) Haiming Tirol     Bildhauer 1703   1708
Hans Heinrich Schlegel Luzern     Bildhauer 1703   1711
Georg Anton Machein (1685−1739) Grossprüfening Regensburg     Bildhauer 1709   1711
Joseph Benedikt Schneider (1689–1763) Bach bei Zwiefalten     Klosterbaumeister 1739   1744
Hans Martin Schneider (1692–1768) Bach bei Zweifalten     Klosterbaumeister 1739   1744
Johann Capar Bagnato (1696−1757) Landau Pfalz     Baumeister-Architekt 1746   1754
Francesco Pozzi (1704−1789) Bruzella Tessin ok   Stuckateur 1748   1753
Joseph Ignaz Appiani (1706−1785) Porto Ceresio Italien ok   Maler, Freskant 1752   1754
Franz Xaver Schmuzer (1713–1775) Wessobrunn SchmuzerFranzXaver   Stuckateur 1763   1764

Klosteranlage   Die barocke Klosteranlage
Stiftskirche   Stiftskirche der Heiligen Jungfrau Maria und der Apostel Petrus und Paulus

Obermarchtal
Ehemalige Prämonstratenser-Reichsabtei Marchtal

Vom Benediktinerkloster zur Prämonstratenserpropstei Marchtal [1]
Bereits 776 ist im Gebiet Marhcthala ein der Abtei St. Gallen unterstelltes Kloster des heiligen Petrus als Stiftung der Ahalolfinger[2] erwähnt. Das Peterskloster erlischt um 805. Die Kirche St. Peter bleibt in der inzwischen entstandenen Burg Marchtal auf dem Hochplateau über der Donau bestehen. Die Bertholde, Erben der Ahalolfinger, richten hier spätestens im 10. Jahrhundert ein weltliches Kanonikerstift St. Peter und Paul ein. Der Stiftskirche fügen sie die Pfarrkirche St. Michael bei. Nach 977 gelangt die Burg von den Bertholden an Hermann II. von Schwaben.[3] Der Schwabenherzog und seine Frau Geberga statten die Anlage 993 mit einem Oratorium zu Ehren Johannes des Täufers aus und lassen in der Siedlung vor der Burg die Pfarrkirche St. Maria errichten. Ende des 10. Jahrhunderts befinden sich damit in und vor der Burg Marchtal vier Sakralbauten. 1012 stirbt der Sohn des Schwabenherzogs kinderlos, die Patronatsrechte über die sieben Pfründe des Kanonikerstifts gehen durch Erbgang in verschiedene Hände. Vier von sieben Pfründen oder Präbenden des sich in Auflösung befindlichen Stifts liegen um 1170 in den Händen der Elisabeth von Bregenz, Ehefrau des Pfalzgrafen Hugo II. von Tübingen. Die Eheleute übertragen 1171 die Burg Marchtal und die vier Präbenden mit ihrer Ausstattung an den Abt Oteno des Prämonstratenserklosters Rot an der Rot, um den Besitz vor dem Zugriff der welfischen Gegner des Pfalzgrafen zu schützen. Abt Oteno, aus einer vornehmen Ministerialenfamilie der Grafen von Bregenz und damit aus dem familiären Umfeld der Stifterin stammend, vollzieht mit der Entsendung von 12 Roter Mönchen unter dem ersten Propst Eberhard von Tanne-Wolfegg die Aufnahme in den Prämonstratenserorden. Dies, obwohl die Stifter nicht bereit sind, die Vogteirechte an den Konvent zu übertragen. Die Verhältnisse des schwach ausgestatteten Kloster sind in den ersten Jahrzehnten armselig. Erst mit dem Erwerb weiterer Pfründe und dank einer gut geführten Landwirtschaft verbessert sich die Lage bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Es leben jetzt, glaubt man der Klosterchronik, 20 Kanoniker und 20 Konversen im Kloster. 1239 weiht der Bischof von Konstanz mit den neuen Konventgebäuden auch eine neue Stiftskirche ein, die bis um 1700 besteht. Es ist eine dreischiffige Basilika an der Stelle der heutigen westlichen Wirtschaftsgebäude. Innerhalb des Stiftsbezirks ist inzwischen auch ein Chorfrauenstift St. Katharina entstanden. In den Konventgebäuden südlich der neuen Stiftskirche wohnen nach der Chronik 40 Schwestern. Der Frauenkonvent wird nach 1273 aufgelöst.

Prämonstratenserabtei und Reichskloster
Das Prämonstratenserstift liegt zu Beginn 14. Jahrhundert im Interessenbereich der Habsburger. Diese kommen in den Besitz der Donauregion und verhindern damit das Vordringen der Württemberger nach Süden. Ihr Zugriff auf die Marchtaler Herrschaft kann 1306 durch verfälschte Königsurkunden abgewehrt werden. Trotz der Lage zwischen den beiden mächtigen Fronten können die Pröpste bis zum Ende des 15. Jahrhunderts den Besitz entscheidend vergrössern. Sein Schwerpunkt liegt südlich Marchtals und dehnt sich bis zum Federsee aus. 1440 erteilt der Generalabt von Prémontré den Pröpsten von Schussenried, Adelberg und Marchtal das Recht, sich zu Äbten weihen zu lassen.[4] 1490 nimmt König Maximilian I. von Österreich Marchtal unter Schutz und Schirm und ebnet den Weg zur Reichsabtei. Mit der Entstehung der Landesherrschaft eines neuen Reichsstiftes will er die Donaugrenze dauerhaft gegen Übergriffe Württembergs sichern. 1491 besucht der erste Abt den Reichstag in Nürnberg. Bauernkrieg und Reformation übersteht die Reichsabtei, abgesehen von Schäden durch plündernde Truppen und Versuchen der Reichsstadt Biberach, die neue Lehre in Marchtal einzuführen, ohne weitere Folgen.

Tiefpunkte des Klosterlebens im 16. Jahrhundert
Versuche, die parallel zum Reichtum und der Unabhängigkeit Marchtals im Spätmittelalter entstandenen Missstände des Klosterlebens um 1570 gemäss den Beschlüssen des Konzils von Trient zu reformieren, bleiben trotz mehrfacher Visitationen ohne Erfolg. Das gemeinsame Leben ist erloschen, die Konventualen verfügen über Eigentum und ein grosser Teil der Kanoniker lebt mit Konkubinen und eigenen Kindern. Auch der Abt ist völlig abhängig von seiner Konkubine und ihrem Verwandtenkreis. 1571 resigniert dieser Abt unter Druck der Visitatoren.[5] Sein Nachfolger zeichnet sich zwar als kluger Verwalter und Bauabt aus, in seine Regierungszeit fallen aber Verbrennungen von mehr als dreissig Frauen und zwei Männern wegen Hexerei. Erst unter dem Abt Johannes Riedgasser können 1591−1601 die Reformen in Marchtal abgeschlossen werden. Unrühmlich bleibt weiterhin das Marchtaler Kapitel der Hexenverfolgungen. 1627 werden in Obermarchtal weitere 40 Hexen verbrannt. Noch 1746 glauben die Konventualen und die weltlichen Marchtaler Beamten an die Gefahr von Hexen für den rechten Glauben und lassen eine Mutter mit ihrer Tochter verbrennen.

Marchtal im Dreissigjährigen Krieg
Der Dreissigjährige Krieg trifft die Abtei hart. 1632 flüchtet der Konvent nach Konstanz und verteilt sich teilweise auf Pfarrstellen von Benediktinerklöstern in der Schweiz. Marchtal wird von den Schweden besetzt und von König Gustav Adolf an einen Grafen von Hohenlohe-Langenburg geschenkt. Bis 1634 presst dieser die Klosterbesitzungen aus. 1635 folgt eine Bevölkerungsdezimierung durch die Pest. Die Notlage in Marchtal erlaubt erst nach 1640 wieder eine Rückkehr. 1650 sind 13 Konventualen und drei Novizen zurückgekehrt, 1651 sind es bereits 27 Konventualen. Unter dem 1637 in Konstanz zum Abt gewählten Konrad Knör setzt nach Friedensschluss eine materielle und geistige Wiederaufbauarbeit ein. Das seit den Reformen des 16. Jahrhundert von den Jesuiten und der Universität in Dillingen geprägte Bildungswesen wird durch eine interne Lateinschule mit Internat ergänzt, so dass in Marchtal jeweils zwischen 20 und 40 Schulgeld zahlende Knaben vor allem aus Oberschwaben von Prämonstratensern unterrichtet werden. In den zur Herrschaft gehörenden Pfarrorten betreibt die Abtei deutsche Schulen. Der gleichzeitigen Bildungsoffensive der Benediktiner schliessen sich aber die Prämonstratenser nie an.

Die alte Klosteranlage

Die romanische Stiftskirche
Die 1239 geweihte alte Stiftskirche ist, obwohl sie erst 1749 abgebrochen wird, sehr widersprüchlich und unzuverlässig auf wenigen Stichen und Gemälden dargestellt.[6] Wie die Stiftskirchen von Schussenried oder Steingaden dürfte es sich um eine querschifflose dreischiffige Basilika handeln. Ihr Langhaus ist bedeutend kürzer als Schussenried. Auf der Klosterdarstellung im Konventbild von 1665 ist ein Schiff mit nur fünf Fensterachsen dargestellt.[7] Die Kirche könnte demnach Ursberg oder Rüti gleichen.[8] Ein «Vierungsturm» soll um 1540 anstelle des alten Turms gebaut worden sein.[9] Vermutlich handelt es sich um einen Turm im östlichen Dachtragwerk, ohne aber eine Vierung auszuzeichnen. Die Westfront der dargestellten Kirche grenzt an den Steilhang der Einmündung des Mühl- oder Marchbaches in die Donau. Die alte Kirche entspricht daher in der Lage dem Nordflügel des heutigen Wirtschaftshofes. Sie hat wegen ihrer exponierten Lage keinen Westeingang und ist nur für die Konventualen zugänglich. Für die Laien dient die südlich des Klostertors gelegene Pfarrkirche im Dorf. Nach dem Dreissigjährigen Krieg wird die zerstörte Ausstattung der Stiftskirche erneuert. Ein Chorneubau ist nicht bekannt, sodass die Kirche noch in der Barockzeit den romanischen und ähnlich Ursberg wahrscheinlich langen Chor besitzt.
Die alten Konventbauten
Auch die alten Konventbauten, welche beim Neubau 1686 ebenfalls bestehen bleiben, sind nur in unzuverlässigen und irreführenden Darstellungen des 17. Jahrhunderts überliefert. Neubauten des 16. und 17. Jahrhunderts haben auf ein deutliches Übergewicht gegenüber dem kaum noch erkennbaren Kern um den Kreuzgang südlich der Kirche. Südlich der Konventanlage steht das Apothekengebäude mit der Jahreszahl 1595. Es ist noch heute erhalten. Nordwestlich des Eingangstores liegen die Wirtschaftsbauten mit dem heute ebenfalls noch bestehende Bräuhaus mit Staffelgiebeln.

Tommaso Comacio
1661 wird der 27-jährige Nikolaus Wierith aus Füssen zum Abt der Reichsabtei gewählt.[10] Seine 30-jährige Regierungszeit ist trotz zweier Kriege des Reiches gegen Frankreich eine der fruchtbarsten. Er gilt als der bedeutendste Abt in der neueren Geschichte Marchtals. Sein Name ist mit dem Bau der barocken Klosteranlage von Marchtal verbunden. Seine ersten Bauten gelten der Erneuerung der alten Klosteranlage. 1661−1663 lässt von einem Riedlinger Baumeister einen neuen Glockenturm südlich des Chores der alten Stiftskirche erstellen. 1669−1671 baut er eine neue Sakristei. Baumeister ist jetzt Tommaso Comacio, der 1668 im nahen Zweifalten mit dem Bau der neuen Klosteranlage begonnen hat.[11] Schon bald befasst sich der ausserordentlich an Baukunst interessierte Prälat aber mit einer völligen Erneuerung der Klosteranlage.[12] Ihm zur Seite steht als Prior ein Studienfreund aus Dillingen, der ebenfalls architekturinteressierte P. Norbert Keil.[13] Sie befassen sich schnell mit dem Gedanken einer völligen Erneuerung der Klosteranlage. Die Gründe für die baulichen Erneuerungswünsche sind gesteigerte Raumbedürfnisse, auch eine funktionsgerechte barocke Neuordnung der zu individuellen Gebäude einer «irregularischen alten verkohmlichen» Anlage. Für die Neuplanung zieht Abt Nikolaus 1672 wieder Tommaso Comacio bei. Die Planungen Comacios sind Grundlage für eine vertragliche Vereinbarung vom 8. Oktober 1674. Ob sie eine Neugestaltung am alten Standort oder bereits auf dem noch wenig überbauten Gelände östlich der alten Klosteranlage zum Inhalt hat, ist nicht dokumentiert. 1674 weitet sich der Holländische Krieg des Louis XIV zum Reichskrieg gegen Frankreich aus. Die benachbarten Konventualen des Klosters Zweifalten flüchten in die Schweiz. Obwohl Abt und Konvent von Marchtal an Ort bleiben, bedeutet dieser Kriegsausbruch den Unterbruch der Planungsarbeiten. 1675 arbeitet Tommaso Comacio bereits für die Abtei Rheinau. 1678 stirbt er in Baden-Baden. Truppendurchzüge und Kontributionszahlungen belasten bis zum Friedensschluss 1679 das Marchtaler Territorium. Die Gemeinden werden durch die Kontributionen derart belastet, dass sie auf Darlehen des Klosters angewiesen sind. 1680 erlässt Abt Nikolaus die Hälfte der Schulden, einen Teil lässt er später in Form von Frondienst für den Klosterneubau abarbeiten. Trotz der Friedenspause ruht aber das Bauvorhaben einige Jahre. Grund sind Neuplanungen. Diese betreffen nun nicht mehr eine neues Kloster am alten Ort, sondern einen freien Neubau auf dem östlichen Plateau vor dem Altkloster.

Br. Heinrich Mayer SJ
Vom 8. Juni 1683 bis zum 12. Juni bespricht der Jesuitenbruder und Architekt Heinrich Meyer die neuen Planungen mit Abt Nikolaus.[14] Grundlage sind von ihm angefertigte Risse für den Neubau. Dieser Br. Heinrich Meyer ist nicht «der enge Mitarbeiter von Thumb», wie dies Wilfried Schöntag in der neuesten Publikation der «Germania Sacra» schildert. Er entreisst im Gegenteil dem Vorarlberger Baumeister Michael Thumb im gleichen Jahr den laufenden Bauauftrag für die Kirche auf dem Schönenberg in Ellwangen, um diese Wallfahrtskirche unter seiner Leitung und aufgrund neuer Planungen mit Christian Thumb weiter zu bauen. Mit Michael Thumb hat er 1667, und schon dort in leitender Position, am Kollegiumsneubau von Landshut zusammengearbeitet. Inzwischen ist er aber Schöpfer der beiden Jesuitenkirchen von Luzern und Solothurn, zweier wegweisenden Bauwerke des süddeutschen Barock. Wenn heute von einem Vorarlberger Kirchentypus gesprochen wird, ist dieser von Br. Heinrich Meyer in Solothurn vorgegeben worden. Dass der hervorragende Architekt, Stuckateur und Altarbauer 1683 Planungen für das neue Kloster Marchtal abgibt und schon im April 1684 ein Kirchenmodell nach Marchtal liefert, muss nebenbei aus einer neuen historischen Publikation entnommen werden und ist den Architekturhistorikern, fixiert auf die Vorarlberger Baumeister, offensichtlich entgangen. Diese haben bis heute die Planungen von 1683 und das Modell von 1684 allein Michael Thumb zugeschrieben.

Kirchenbau 1686–1701
Tatsächlich schliesst Abt Nikolaus Wierith erst 1686 den Akkordvertrag für den Kirchenneubau mit dem Vorarlberger Baumeister Michael Thumb.[15] Vorangegangen sind Pläne, die der Vorarlberger 1685 liefert. Man kann annehmen, dass diese auch oder sogar ausschliesslich das Klostergeviert umfassen. Für die Kirche dürfte das Modell des Jesuitenbruders die Grundlage sein. Die grossen Baumodelle, auch Visiere genannt, sind im Barock gültige und detaillierte Vorgaben für die Ausführung. Die Grundsteinlegung für die Kirche mit den Doppeltürmen erfolgt am 18. April 1686. Nach Michael Thumbs frühem Tod am 19. Februar 1690 stellen sein Bruder Christian Thumb und Franz Beer II den Kirchenbau bis 1701 fertig. Die Baugeschichte dieses wegweisenden Kirchenneubaus ist hier unter dem Titel «Ehemalige Stiftskirche der Heiligen Jungfrau Maria und der Apostel Petrus und Paulus» beschrieben.

Planung der Konventanlage
Der Misoxer Tommaso Comacio steht am Anfang der Planung der neuen Klosteranlage. Ob seine Planungen der Jahre 1672 bis 1674 auch einen Neubau östlich des Klosters einschliessen, wissen wir nicht. 1683 liefert der Jesuitenbruder Heinrich Mayer die fertige Planung und 1684 auch das Modell für die Stiftskirche am neuen Standort. Ohne einen klaren Gesamtplan der Anlage könnte er die Kirche gar nicht planen. Dass dieser Gesamtplan nur eine streng symmetrische Anlage mit der vorstehenden Kirche in der Symmetrieachse zeigt, ist für alle Planungsbeteiligte selbstverständlich.[16]  1683 wird auch Michael Thumb erstmals in Obermarchtal erwähnt, allerdings nur im Zusammenhang mit dem Bau des Amtshauses. Ob Meyer oder Thumb 1683 die erste Gesamtplanung erstellen, ist deshalb unklar. Anzunehmen ist, dass Michael Thumb in Anlehnung an das Konzept und in Wiederholung der Planungen Comacios in Zwiefalten diese erste Planung erstellt. 1685 erstellt er die endgültigen Ausführungspläne. Der Bau der Sakristei und des Kapitelsaal wird 1690 aufgrund seiner Pläne verdingt. Als Bestandteil des Westflügels sind sie bei Kircheneinweihung 1701 schon fertiggestellt. Schon im Jahr der Kircheneinweihung wird der Bau des Westflügels und seiner zwei Eckpavillons fortgesetzt. Die nun nach der Kirchenfertigstellung endgültige Ausführungsplanung des Klostergevierts ist ein Werk der beauftragten Baumeister Christian Thumb und Franz Beer. Die beiden Mitarbeiter von Michael Thumb haben seit seinem Tod 1690 die Kirche selbstständig vollendet.[17]  Sie planen entsprechend dem durch die Kirche und den begonnenen Westflügelbauten vorgegebenem Konzept der inzwischen verstorbenen Nikolaus Wirieth, Heinrich Mayer und Michael Thumb eine streng symmetrische Klosteranlage. Vier um einen Hof gelagerte dreistöckige Flügeln bilden ein Rechteck, aus dem die Eckgebäude als Flügel vorspringen. Die Konzeption stammt ursprünglich aus dem Schlossbau der deutschen Renaissance und wird in dieser Art erstmals in Zwiefalten von Tommaso Comacio und Michael Thumb verwirklicht.[18] In Obermarchtal wird das Konzept nun konsequent symmetrisch durchgesetzt. Die Eckflügel lockern das Geviert auf und verstärken die repräsentative Wirkung. Diese Planung bleibt selbst für den erst 1746 begonnenen Ostflügel absolute Richtschnur.

Ausführung von West- und Nordflügel bis 1710
Der an die Kirche anschliessende Teil des Westflügels mit Kapitelhaus und Sakristei ist 1701 schon bezogen. Nun werden die beiden symmetrischen Treppenhäuser und die zwei vorstehenden Eckflügelbauten hochgeführt. Sie enthalten im Süden die Prälaturräume und im Norden das Priorat. Der an das Priorat anschliessende Nordflügel wird gleichzeitig begonnen und zeigt die Jahreszahl 1696. Schon 1705 resigniert der Nachfolger des Bauabtes Nikolaus. Abt Adalbert Rieger, der den Kirchen- und Klosterneubau getreu den Konzepten seines Vorgängers fortsetzt, stolpert über die Finanzlage. Dafür sind nicht die laufenden Bauvorhaben verantwortlich, sondern in erster Linie die hohen Kriegskontributionen an die durchziehenden bayrischen Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg.[19] Deshalb wird der Bau vom nachfolgenden Abt, der wieder nur sehr kurz regiert, nicht mehr weitergeführt. Gebaut sind zu diesem Zeitpunkt die Stiftskirche, der Westflügel und zwei Drittel des Nordflügels. Speziell die Räume des Westflügels mit dem Kapitelsaal und der Sakristei sind reich ausgestattet. Die Stuckaturen erstellt der Wessobrunner Franz Schmuzer 1701.[20] Im Kapitelsaal bauen die Bildhauer Andreas Etschmann aus Haiming im Tirol,[21] Hans Heinrich Schlegel aus Luzern und Georg Anton Machein[22] aus Überlingen ein hochbarockes Kapitelgestühl mit 34 Stallen ein. Georg Dehio charakterisiert das Gestühl als «ein Werk von zügelloser Genialität».

Südflügel 1737–1744
1711 betragen die Schulden 237 000 Gulden. Schuldentilgung hat nun Priorität. Unter Abt Ulrich Johann Blank[23] kann nach 17 Jahren Unterbruch weitergebaut werden. Bis 1744 wird anschliessend an den Südwestpavillon von 1701 der Südflügel mit den Räumen für Hof, Gäste und Theater erstellt. Die Ausführung liegt bei den Brüdern Joseph Schneider und Hans Martin Schneider aus Baach bei Zwiefalten.[24] Sie sind gleichzeitig mit dem Neubau der Stiftskirche von Zwiefalten beschäftigt. Ihr in Marchtal erstellter Südflügel von 18 Fensterachsen folgt wegen des schon auf über 12 Fensterachsen fortgeschrittenen Nordflügels zwingend der Planung von Michael Thumb und Franz Beer. Ihr wertvoller Beitrag ist der in Naturstein ausgeführte, weit vorstehende Mittelrisalit.[25]

Ostflügel und Wirtschaftsbauten 1746–1756
1746 tritt Abt Edmund II. Sartor die Regierung an.[26] Er beruft im gleichen Jahr für die Fertigstellung der Klosteranlage den Deutschordensbaumeister Johann Caspar Bagnato nach Marchtal.[27] Der erste Akkordvertrag bezieht sich auf die Fertigstellung des Nordflügels und des nordöstlichen Eckflügels oder Eckpavillons.[28] Bagnato baut im Nordost-Eckflügel, in dem sich das Sommerrefektorium und das Krankenhaus befindet, auch das Treppenhaus. Nach der Fertigstellung folgt 1749 der Akkord für den Ostflügel. Ein weiterer Vertrag regelt den Bau des 1753−1754 erbauten vierten Eckflügels. Auch Bagnato übernimmt für die Vollendung des Konventgevierts die Planung Thumb-Beer und ändert nur den Mittelrisalit, die Giebelformen der Eckbauten und die Treppenhäuser. Teilweise im Unterakkord Bagnatos ist auch der in Obermarchtal wohnhafte Bauunternehmer Joseph Moosbrugger am Bau beteiligt.[29] 1751 bis 1753 erfolgt die Stuckierung durch den immer mit Bagnato zusammenarbeitenden Francesco Pozzi.[30] Im Mittelrisalit des Osttraktes liegt das Refektorium. Der Prachtsaal, ein Gemeinschaftswerk des Stuckateurtrupps Pozzi und des Freskanten Joseph Ignaz Appiani[31] stellt einen Höhepunkt des oberschwäbischen Rokoko dar. Die darüberliegende Bibliothek hingegen bleibt Torso. Der Grund ist mangelndes Interesse der Nachfolger von Nikolaus Wirieth an Aufklärung und Wissenschaft und zeigt auch die grosse Distanz zur Kultur der Benediktiner.
Gleichzeitig mit dem Ostflügel erhält Bagnato den Auftrag für die Wirtschaftsgebäude an der Stelle der alten Klosteranlage. Erst jetzt wird diese und auch der Glockenturm abgebrochen, soweit ihre Mauern nicht in den neuen Gebäuden aufgehen. Die gegenüber der Kirchen-Westfassade liegende Pfisterei wird aussen von Francesco Pozzi stuckiert. Die Arbeiten Bagnatos, Pozzis und Appianis sind 1756 abgeschlossen. Die barocke Klosteranlage ist jetzt mit allen Gärten und der Umfassungsmauer fertiggestellt.

Marie Antoinette
Der Südost-Eckflügel wird bis 1754 nur im Äusseren fertig. Erst 1763 vergibt Abt Edmund II. die Stuckaturen an Franz Xaver Schmuzer.[32]  Der Ausbau ist 1769 abgeschlossen. Hier übernachtet am 1. und 2. Mai 1770 die knapp 15-jährige Marie Antoinette auf ihrer ausgedehnten und für die Gastgeber kostspieligen Brautfahrt von Wien nach Paris. Sie reist mit ihrem Hofstaat von über 250 Gefolgsleuten von Günzburg nach Marchtal. Dort tafelt die Gesellschaft festlich und besucht anschliessend eine Aufführung von P. Sebastian Sailers Festspiel. Der Marchtaler Konventuale ist ein begabter Prediger und gerühmter Verfasser bäuerlich-derber Komödien.[33] Der Aufenthalt der österreichischen Erzherzogin kostet Marchtal über 8000 Gulden. Sie reist am 2. Mai nach Stockach weiter, um dann am 4. Mai mit grossem barockem Aufwand in Freiburg empfangen zu werden.

Die barocken Gartenanlagen
Noch heute ist die barocke Klostermauer völlig intakt. Nur die Gärten der Klosterzeit sind verschwunden. Sie sind durch meist idealisierende Vogelschauansichten auf Stichen, aber auch als korrekte Geometeraufnahmen vom Anfang des 19. Jahrhunderts überliefert. Ihre Gestaltung folgt der französischen Gartenbaukunst. Ein erster gestalteter Garten entlang der Kirchensüdwand ist als Fürstengarten noch bis ins späte 19. Jahrhundert erhalten. Es ist der Garten des Abtes, der vor dem Eingang der Prälatur im Südwest-Eckflügel liegt. Die grossen Abteigärten befinden sich östlich und nördlich der Konventgebäude. Sie beginnen im Süden mit einem Boskettgarten, dem durch geschnittene hohen Hecken Innenräume vortäuschenden Lustgarten. Auch dieser aufwändig zu pflegende Barockgarten französischer Art wird noch bis in um 1850 unterhalten, ist aber heute ebenso verschwunden wie die grossen Gartenparterres und die Baumgärten nördlich der Anlage. Sie fallen schon um 1840 einer Umgestaltung in einen englischen Garten zum Opfer. Aber selbst dieser englische Garten macht im 20. Jahrhundert mangels Unterhalt einem wilden waldähnlichem Bewuchs Platz.[34]

Das Ende
Der Reichsdeputationshauptschluss weist die Herrschaft Marchtal 1803 als Entschädigungsgut dem Fürstenhaus Thurn und Taxis zu. Schon im Oktober 1802 erfolgt die Inbesitznahme der wohlhabenden Klosterherrschaft, die Einkünfte von 101 000 Gulden bei Ausgaben von 29 000 Gulden ausweist. 6000 Untertanen erhalten ein neue Herrschaft. Am 8. Dezember 1802 übergibt der Abt alle Rechte an den neuen Besitzer. Noch sind 35 Patres, 2 Professen, 2 Laienbrüder und vier Novizen im Kloster. Sie erhalten abgestufte Pensionen. Da die Abtei schnellstmöglich in eine fürstliche Residenz umgestaltet werden soll, müssen sie die Abteigebäude bis Ende März 1803 räumen. Die Klosterschule mit 39 Schülern wird aufgehoben. Aus dem Barockkloster wird jetzt ein «Schloss». Die neuen Schlossherren wollen die ehemalige Stiftskirche schliessen. Der Widerstand der Bevölkerung, die vor allem an der Wallfahrt zum heiligen Tiberius hängt, verhindert dies. So wird 1804 die ehemalige Klosterkirche St. Peter und Paul die neue Pfarrkirche von Obermarchtal. Die ehemalige Dorfkirche bleibt als Friedhofskirche bestehen. Viele Wirtschaftsgebäude, auch die Schulgebäude nördlich der Kirche und der Ölberg mit der darunter liegenden Gruft, fallen dem Abbruch zum Opfer. Sie wären heute völlig vergessen, wenn nicht Situationspläne vom Anfang des 19. Jahrhunderts mit Gebäudebeschrieben ihren Standort und ihre Verwendung erläutern würden. Irritierend ist der in Situationsplänen von 1802 und 1815 dargestellte Wirtschaftsbau entlang der Südmauer, gegenüber der Klostersüdfassade und in exakt gleicher Länge. Er enthält nach der Beschreibung Werkstätten und Gasträume. Mittelrisalit und Eckrisalite des Gebäudes nehmen im Grundriss zum Kloster Bezug. Da einem Geometer des frühen 19. Jahrhundert die Phantasie der barocken Vedutenstecher abgeht, muss dieser wichtige Bau wirklich bestanden haben und erst nach 1815 abgebrochen worden sein. Seine in keiner historischen Darstellung erwähnte Existenz erstaunt angesichts der allgemein mangelhaften architekturhistorischen Forschung für Obermarchtal wenig.
Die ehemaligen Abteigebäude sind seit 1973 wieder in kirchlichem Besitz. Den Fürsten von Thurn und Taxis muss zugute gehalten werden, dass sie die Kirche und Kloster ohne Zerstörungen in die Gegenwart gerettet haben.

Das Klosterwappen
Das Stiftswappen zeigt bis ins 16. Jahrhundert in Rot zwei gekreuzte goldene Schlüssel. Nachdem Marchtal 1518 den Blutbann erworben hat, wird der schräglinks laufende Schlüssel durch ein Schwert ersetzt. Seit den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ist oben ein goldener Stern im Wappen zu finden. Gelegentlich ist unten ein grüner Dreiberg eingefügt. Dieses alte Klosterwappen ist heute das Wappen der Gemeinde Obermarchtal und befindet sich als Bekrönung auf der rechten Seite des Chorgitters in der Stiftskirche.
Das alte Stiftswappen wird schon im 16. Jahrhundert bei gevierteten Wappenschildern mit den Wappen des Stifterehepaars erweitert. Auf dem Stich der Abtei von 1770 ist deshalb von 1 bis 4 dargestellt: In Gold die rote Montforter Kirchenfahne des Pfalzgrafen Hugo von Tübingen, der Hermelinpfahl der Bregenzer Grafen, das Stiftswappen und das persönliche Wappen des Abtes Ignatius Stein.

Pius Bieri 2009 rev. 2012

Benutzte Einzeldarstellungen:
Gubler, Hans Martin: Johann Caspar Bagnato 1696–1757 und das Bauwesen des Deutschen Ordens in der Ballei Elsass-Burgund im 18. Jahrhundert. Sigmaringen 1985.
Müller, Maximilian und Assfalg, Winfried: Ehemaliges Prämonstratenserstift St. Peter und Paul Marchtal, Grosser Kunstführer. Rottenburg am Neckar 2006.
Schöntag, Wilfried: Germania Sacra, Dritte Folge 5: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz: Das Bistum Konstanz 6: Das reichsunmittelbare Prämonstratenserstift  Marchtal. Berlin und Boston 2012.

Links:
Neese, Maria: Bestand Dep. 30/12 T 7 im Landesarchiv Baden-Württemberg (ohne Datum), siehe https://www2.landesarchiv-bw.de/
Von Memminger, Johann Daniel Georg: Beschreibung des Oberamts Ehingen, Stuttgart und Tübingen 1826, siehe: http://de.wikisource.org/.
Schöntag, Wilfried: Prämonstratenserabtei St. Peter und Paul Obermarchtal - Geschichte, siehe: http://www.kloester-bw.de/

Anmerkungen:

[1] Marchtal wird bis ins 19. Jahrhundert als Marchthal geschrieben. Die Bezeichnung Obermarchtal bezieht sich auf den Klosterort, im Unterschied zum flussabwärts gelegenen Ort Untermarchtal.

[2] Die Ahalolfinger (auch Alaholfinger oder Bertholde) sind schwäbischer Adel zur Zeit der Karolinger. Ihr Besitz liegt vor allem an den Oberläufen des Neckar und der Donau. Über ihren engeren Machtbezirk hinaus treten die Ahalolfinger als Amtsträger in Bayern, Franken und Italien auf, sind dort Markgrafen von Friaul und Grafen von Verona.

[3] Der Konradiner Hermann II. ist 996−1003 Herzog von Schwaben.

[4] Die Mutterabtei Rot an der Rot hat schon um 1400 ihren eigenen Haushalt nicht mehr im Griff und muss 1417—1457 durch zwei Äbte aus dem Marchtaler Konvent saniert werden.

[5] Abt Christoph II. Schenz (reg. 1558−1571) hat zwei Konkubinen. Eine Konkubine und ihre zwei Töchter leben in der Abtei. Einen Schwiegersohn macht er zum Hofmeister in Marchtal. Die zweite Tochter heiratet Frater Felix Fideler, einen Marchtaler Konventualen, der vom Abt als Amtmann in Alleshausen eingesetzt wird. Nach der Abdankung des Abtes flüchtet Fideler und lässt die Frau mit fünf Kindern zurück. Abt Christoph Schenz stirbt 1591 in der Abtei Marchtal.

[6] Die Vorgängeranlage ist nicht erforscht. Im Kellerbereich des nördlichen Wirtschaftsflügels muss aufgehendes Mauerwerk der romanischen Kirche enthalten sein.

[7] Im Konventbild der Tiberiuskapelle von 1665, das heute in der Sakristei hängt, sind Architekturdetails wie die Fensterzahl oder die Gebäudeübergänge nur generelle Aussagen, aber keine Grundlagen zu einer Rekonstruktion. Das nach diesen Darstellungen gefertigte Modell im Klostermuseum entspricht mit Sicherheit nicht dem frühbarocken Gebäudezustand einer stolzen Reichsabtei.

[8] Vergleiche der Langhauslängen von Prämonstratenserkirchen: Schussenried (1229) 39 m. Steingaden (1177) 29 m. Rüti (1214) 23 m. Ursberg (1230, unvollendet) 20 m.

[9] Auf den wenigen Darstellungen ist meist schon der 1662 erstellte neue Glockenturm zu sehen.

[10] Nikolaus Wierith (1634−1691), studiert in Dillingen, Abt 1661−1691.

[11] Tommaso Comacio (um 1625−1678), aus Roveredo im Misox. Er stirbt in Baden-Baden, wo er die Jesuitenkirche und das Jesuitenkollegium baut.

[12] In Einsiedeln liegt in der Bibliothek das 1663 in Augsburg erschienene Architekturtraktat des Joseph Furttenbach «Mannhaffter Kunst-Spiegel, Oder Continuatio, und fortsetzung allerhand Mathematisch- vnd Mechanisch-hochnutzlich- So wol auch sehr erfrölichen delectationen, vnd respective im Werck selbsten experimentirten freyen Künsten». Das Buch ist als Geschenk von Abt Nikolaus Wirieth vermerkt, der es vor 1679 dem ebenfalls an einem Klosterneubau interessierten Abt Augustin II. Reding schenkt.

[13] Norbert Keil oder Kheyl (um 1630−1703), betätigt sich 1680 als Liebhaberarchitekt für das Seelhaus St. Anna und für das Schulhaus in Munderkingen.

[14] Br. Heinrich Mayer SJ (1636−1692) wird auch Mair geschrieben, aber nie Maier, wie er in der Germania Sacra, Folge 5, Band 6 genannt wird. Er ist 1673−1683 im Kollegium Luzern und wechselt 1683 nach Ellwangen. Hauptwerke: Jesuitenkirche Luzern 1672−1681, Jesuitenkirche Solothurn 1679−1682, Schönenbergkirche in Ellwangen 1683−1692, Jesuitenkirche Freiburg im Breisgau 1683−1689.

[15] Michael Thumb (um 1640−1690) aus Bezau, Ausbildung bei Michael Beer, er selbst ist Lehrmeister von Franz Beer. Ab 1681 arbeitet er auch für die Abtei Zwiefalten in Marienberg, hier bereits mit Franz Beer II. In Zwiefalten baut er 1684−1686 den Ostflügel nach den architektonischen Vorgaben von Tommaso Comacio.

[16] Im Stich für die Annales des Charles Hugo von 1736 ist die Gesamtanlage um einen Hof nach Süden erweitert. Die Kirche wäre damit asymmetrisch vorgestanden. Eine solche Planung widerspricht der absolut auf Symmetrie angelegten Neuplanungen um 1680 und kann weder von Wirieth oder Comacio, auch nicht von Thumb oder Beer stammen. Der Auftraggeber des Stiches, der nicht speziell an Baukunst interessierte Abt Ulrich Blank, zeigt hier zuviel Phantasie.

[17] Franz Beer II (1660−1687) aus Au, Lehre bei Michael Thumb, baut als Erstlingswerk 1684−1686 die Klosterkirche Marienberg bei Gammertingen für die Abtei Zwiefalten. Anschliessend ist er am Bau der Stiftskirche Obermarchtal tätig und übernimmt 1690 gemeinsam mit Christian Thumb die Leitung der Arbeiten.
Christian Thumb (um 1645−1726) aus Bezau, Bruder von Michael Thumb, Onkel von Franz Beer II, Lehre bei Michael Beer.

[18] Im «Dehio» wird hingegen beschrieben, dass der Bau «ganz nach der Konzeption von Christian Thumb und Franz Beer in Anlehnung an einen Plan Michael Beers für die 1651 fürststiftische Residenz in Kempten» entsteht. Kempten kann aber nicht das Vorbild sein: Die für Obermarchtal charakteristischen, vorgesetzten Flügelbauten anstelle der Eckrisalite sind in Kempten nicht vorhanden, dafür aber in Zwiefalten, dem durch Tommaso Comacio geplanten Kloster. Ein Vergleich mit Kempten ist Unsinn.

[19] Abt Adalbert Rieger (1639−1706) regiert 1691−1705. Er flieht 1703 mit einem Teil des Konventes und dem Kirchenschatz auf das 1679 erworbene Schlossgut «Unterer Girsberg» bei Kreuzlingen in der Schweiz. Bei seinem Amtsantritt belaufen sich die Bauausgaben  für die Kirche auf 67 000 Gulden. 1702 kauft er die Herrschaft Uttenweiler für 180 000 Gulden. Die Schulden für den Kauf könne wegen der grossen Kriegskontributionen nicht abbezahlt werden.

[20] Franz Schmuzer (1676−1741) aus Gaispoint (Wessobrunn), er stuckiert später viele weiteren Bauten von Franz Beer  II.

[21] Andreas Etschmann (1662−1708), arbeitet seit 1695 für die Stiftskirche. Mit dem Gestühl beginnt er und sein Mitarbeiter Hans Heinrich Schlegel 1703.

[22] Georg Anton Machein (1685−1739), Überlinger Bildhauer. Er wird nach dem Tod von Andreas Etschmann 1708 nach Obermarchtal berufen.

[23] Ulrich Blank (1673−1748), regiert 1719−1746. Er ist Anhänger des Wunderglaubens und sieht nur zwei Bedrohungen: den Protestantismus und die Hexen.

[24] Joseph Benedikt Schneider (1689–1763) und Hans Martin Schneider (1692–1768) sind Söhne des Klostermaurers Benedikt Schneider (1654–1705) aus Baach bei Zwiefalten. Sie haben ihr architektonisches Handwerk in der Zusammenarbeit mit Franz Beer II in Zwiefalten  gelernt. Ihr bedeutendstes Werk ist der Neubau der Zwiefalter Propstei Mochental 1731–1734. Gleichzeitig mit Obermarchtal beginnen sie mit dem Neubau der Stiftskirche von Zwiefalten. Da ihnen die nötige Erfahrung für die dortige Einwölbung der Gewölbetonnen fehlt, wird in Zwiefalten die Oberleitung des Baus Johann Michael Fischer übergeben, wobei die Brüder Schneider die örtliche Bauleitung behalten.

[25] Aufgrund von Bauplänen, die im Nachlass der Brüder Schneider gefunden werden, wird der falsche Schluss gezogen, dass sie vor dem Bau des südlichen Zwischenflügels eine Neuplanung des gesamten Klosters vornehmen. Die Planmappe zeigt eine Anlage mit einem eingefügten Zwischenflügel, der zwei Innenhöfe von je sieben Fensterachsen ausscheidet. Der geplante Zwischenflügel mit Refektorium und mit zwei völlig unnötigen Treppenhäusern wird nicht gebaut. Der von den Brüder Schneider dann gebaute und durch den Mittelrisalit vorgegebene Innenhof umfasst 18 Fensterachsen. Die gleiche Grösse muss schon von Franz Beer II und Christian Thumb 1701 für die Ausführung des Nordflügels als Plangrundlage gedient haben.

[26] Edmund II. Schneider oder Sartor (1696−1768) regiert 1746−1768.

[27] Johann Capar Bagnato (1696−1757) aus Ravensburg. Er arbeitet 1746 an der Schlossanlage Gayenhofen in Bludenz und beginnt gleichzeitig das Kornhaus in Rorschach für die Abtei St. Gallen. Ab 1747 ist er auch mit dem Bau der Damenstiftskirche Lindau beschäftigt.

[28] Die vorstehenden Eckflügel werden meist als Eckpavillons bezeichnet. Eckpavillons und Eckrisalite sind aber üblicherweise zweiseitig gleichmässig vorspringende und um ein Geschoss erhöhte Gebäudeteile, was hier nicht zutrifft.

[29] Joseph Moosbrugger IV (1701−1769), schon in Obermarchtal als Sohn des Vorarlbergers Johann Moosbrugger geboren, arbeitet mit einem eigenen Bautrupp fast ausschliesslich für das Kloster Marchtal.

[30] Francesco Pozzi (1704−1789) aus Bruzella ist mit seinen Söhnen im Kloster Marchtal, wo diese auch Deutschunterricht erhalten. Aus den Notizen Pozzis (Ursula Stevens, Seite 37) ergeben sich für 1748 Unterakkordvereinbarungen von 440 Gulden (Nordflügel und Nordost-Eckflügel), 1750 von 100 Gulden (Ökonomiegebäude) und 1751 von 730 Gulden (Ostflügel und Refektorium).

[31] Joseph Ignaz Appiani (1706−1785) aus Porto Ceresio, arbeitet vorher, zusammen mit dem Stuckateur Pozzi, in der Damenstiftskirche Lindau.

[32] Franz Xaver Schmuzer (1713–1775) von Wessobrunn, Sohn des Stuckateurs der Stiftskirche Joseph Schmuzer und Neffe von Franz Schmuzer. Seit 1760 für die Abtei Marchtal tätig.

[33] P. Sebastian Sailer (1714–1777) von Weissenhorn, wird als schwäbischer Cicero bezeichnet. Er gilt als Vater der schwäbischen Mundartdichtung. Er ist vertraut mit der Philosophie der Aufklärung, die er heftig bekämpft. Er ist von real existierenden Hexen überzeugt und findet deren Hinrichtungen notwendig.

[34] Anstrengungen zu einer partiellen Neugestaltung sind heute vorhanden.

  Ehemalige Prämonstratenser-Reichsabtei Marchtal in Obermarchtal  
  O_Marchtal-1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Obermarchtal
Baden-Württemberg D
Reichsabtei Marchtal
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz   um 1690
Bauherr und Bauträger

ok Abt Nikolaus Wierith (reg. 1661−1691)
ok Abt Adalbert Rieger (reg. 1691–1705)
ok Abt Ulrich Joahnn Blank (reg. 1719–1746)
ok Abt Edmund II. Sartor (reg. 1746–1768)
 
  Die Luftaufnahme der Klosteranlage am frühen Morgen aus Südosten aufgenommen. Bild: Lucian Wiesner, Balingen 2011.   pdf  
   
O_Marchtal-Lageplan
Lageplan mit dem Gebäudebestand 1802. Anklicken für Legende und Vergrösserung.  
   
O_Marchtal-1665
Auf dem Konventbild, das 1665 für die Tiberiuskapelle gemalt wird, ist rechts oben das Kloster Obermarchtal dargestellt. Der Ausschnitt zeigt die alte Klosteranlage mit dem 1662 erstellten Glockenturm. Vorne, am Steilhang, liegt das kurze Kirchenschiff von 1239. Die Lage der Kirche ist mit dem Ökonomiegebäude Nr. 16 im obigen Lageplan identisch.
Auf dem Lageplan ist auch die bis heute leider nicht erforschte alte Konventanlage hypothetisch eingetragen.
Das Konventbild des Malers Georg Wilhelm Vogel, als Hintergrunddarstellung kaum zuverlässig, ist die einzige überlieferte Darstellung des alten Klosters. Es hängt heute in der Sakristei.
 
O_Marchtal-2
Das Bräuhaus mit den Staffelgiebeln (Nr. 12) und das zum alten Kloster gehörende, spätere Doktorhaus von 1595 (Nr. 13) sind zwei Gebäude, die nach dem Abbruch des alten Klosters (1749) bestehen bleiben.  
O_Marchtal-5
1686–1701, gleichzeitig mit dem Bau der Stiftskirche und der Doppeltürme, wird auch der Westflügel mit der Sakristei (links) und dem Kapitelhaus (rechts) hochgeführt. Die Baugruppe von Doppeltürmen und Westflügel, hier vom Innenhof gesehen, ist bereits ein Werk von Franz Beer II und Christian Thumb.  
O_Marchtal-3
Die Schweif- und Volutengiebel am nordwestlichen Eckflügel sind reicher als diejenigen am südwestlichen Eckflügel ausgebildet. Franz Beer II und Christian Thumb, vielleicht noch auf Vorgaben von Michael Beer, erstellen diesen  dem Priorat dienenden Flügel zwischen 1690 und 1696.  
O_Marchtal-8
Der Wappenschild des Abtes Adalbert Rieger mit der Jahreszahl 1698 ist über dem Innenhofportal des Nordflügels angebracht. Über dem Türsturz ist die Jahreszahl 1696 vermerkt. In diesen Jahren wird der Nordflügel errichtet.  
O_Marchtal-7
Das Ensemble der Stiftskirche mit dem Westflügel und dem Südwest-Eckflügel der Prälatur gehört zur ersten Bauetappe, die 1710 beendet ist.
Bild: Adrian Michael in Wikipedia.
 
O_Marchtal-4
1737–1744, nach einem längeren Bauunterbruch, folgt die Errichtung des Südflügels durch die Baumeister Schneider aus Zwiefalten.  
Marchtal6
Der wertvollste Beitrag der Brüder Schneider am Klosterneubau ist der Mittelrisalit des Südflügels. Er führt aber nicht in den um 1737 noch geplanten Querflügel. Auf den Bau dieses Flügels wird verzichtet. Das Quadermauerwerk des Mittelrisalits ist in Jura-Kalkstein der Region ausgeführt.  
O_Marchtal-9
Am Mittelrisalit sind die Wappenschilder von Abt Ulrich Blank und das Klosterwappen, darüber Abtsstab, Mitra und Richtschwert angebracht. Das Klosterwappen zeigt in Rot einen goldenen schräglinks laufenden Schlüssel, der mit einem silbernen Schwert gekreuzt und mit einem goldenen Stern überhöht ist.  
O_Marchtal-11-1
Der Neubau des Ostflügels ist die dritte grosse Bauetappe. Er wird 1746–1769 von Johann Caspar Bagnato erstellt.  
O_Marchtal-10
Der Südost-Eckflügel, hier mit dem Mittelrisalit des Südflügels dargestellt, ist das letzte Bauwerk der dritten Bauetappe. Der Eckflügel wird erst ab 1763 ausgebaut und beherbergt nach seiner Fertigstellung die 15-jährige österreichische Erzherzogin Marie Antoinette auf ihrer Brautfahrt nach Paris.
Aufnahme 2008, vor der Restaurierung.
 
O_Marchtal-11
Im Mittelrisalit des Ostflügels, der auch aussen stuckiert ist, liegt im Erdgeschoss das Refektorium. Der Festsaal im ersten Obergeschoss und die zweigeschossige Bibliothek im zweiten Obergeschoss sind heute nicht mehr als barocke Räume vorhanden. Nur das Refektorium wird 1950–1952 restauriert.  
O_Marchtal-12
Das Refektorium im Ostflügel ist ein lichtdurchfluteter, heiterer Rokokoraum mit hervorragenden Stuckaturen von Francesco Pozzi und Fresken von Joseph Ignaz Appiani. Es ist 1753 fertig gestellt.  
O_Marchtal-13
Ein Blick zur südlichen Eingangswand. Links der Eingang zu den Küchen. Über der Mittelnische das Wappen des Abtes Edmund II. Sartor, des Bauherrn der dritten Bauetappe.  
O_Marchtal-15
Die Detailaufnahme des Abtswappen von Abt Edmund II. Sartor, zeigt die Integration in eine von Putten getragene Stuckdraperie.  
O_Marchtal-14
An der Nordwand des Saals betont ein Ofen (Pozzi 1754) die Mittelachse. Darüber ist ein Wappenschild angebracht. Er zeigt das Stiftswappen und darüber die Stifterwappen (in Gold die rote Montfort-Fahne der Tübinger und in blauem Kürsch der Hermelinpfahl der Bregenzer).  
O_Marchtal-16
1749 baut Johann Caspar Bagnato westlich der Kirchenfront die Pfisterei- und Ökonomie. Die alte Klosteranlage fällt erst imit diesem Neubau dem Abbruch endgültig zum Opfer. Eine symmetrische Verlängerung nach Süden, wie im Stich 1770 (unten) dargestellt, wird nicht ausgeführt.  
O_marchtal-16-1
Pfisterei (Bäckerei) und Ökonomie von Südosten. Links, nach Süden, schliesst das «Doktorhaus» von 1595 an. Es liegt wie die dahinterliegenden, um den Ökonomiehof gruppierten Gebäude im mittelalterlichen Klosterbereich.  
O_Marchtal-1770
Um 1770 wird die Abtei Obermarchtal in einem Augsburger Kupferstich veröffentlicht. Der Stich weicht nur bei den westlichen Ökonomiegebäuden vom heutigen Bestand ab. Noch nicht dargestellt sind die kurz nach 1770 gebauten und im 19. Jahrhundert schon wieder abgebrochenen, symmetrisch südlich des Klosters angeordneten Werkstätten und Gastgebäude (im Lageplan mit a bezeichnet).
Für Vergrösserung und Bildlegende bitte Bild anklicken.
 
O_Marchtal-17
Das im obigen Stich bereits dargestellte Torhaus wird unter der Regierung von Abt Ignatius Stein (1768–1772) erstellt. Es ist das jüngste der noch bestehende Gebäude der Klosteranlage und weist mit der vorgesetzten Säulenarchitektur in den Klassizismus.  
+