Die wichtigsten Meister
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Michael Wickart d. Ä. (1600–1682) Zug     Bildhauer, Altarbauer 1662   1665
Johann Christoph Storer (1620–1671) Konstanz ok   Maler 1662   1669
Johann Peter Fröhlicher (1661–1723) Solothurn,     Bildhauer 1700   1719
Urs Füeg (1671–1750) Mümliswil Solothurn     Bildhauer 1700   1729
Franz Beer II (1660–1726) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1711   1725
Franz Schmuzer (1676–1741) Wessobrunn ok   Stuckateur 1713   1723
Johannes Bintz (Lebensdaten unbekannt) Vorarlberg     Stuckateur, Marmorierer 1714   1716
Br. Rochus Frey OCist (1654–1724) Amt Willisau?     Klosterschlosser 1715   1719
Josef Bossart (1665–1748) Baar (Zug) ok   Orgelbauer 1716   1721
Jacob Carl Stauder (1694–1756) Oberwil Baselland ok   Maler 1717   1748
Johann Michael Beer II von Bleichten (1700–1767) Bezau Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1725   1733
Joseph Meusburger (?1693–1774) Bizau Vorarlberg     Stuckateur 1749   1751

St. Urban

Ehemalige Zisterzienserabtei und Stiftskirche unserer Lieben Frau

Geschichte
Die Klostergründung erfolgt 1194 als Tochter der Zisterzienserabtei Lützel (Lucelle). Diese heute verschwundene Abtei, an der schweizerisch-französischen Grenze bei Delsberg (Delémont) gelegen, ist auch Mutterkloster von Salem, Kaisheim und Frienisberg. Im Mittelalter ist St. Urban berühmt für seine Backsteinmanufaktur. 1375 wird das Kloster von den undisziplinierten Söldnerhorden des Engueurrand de Coucy, den «Guglern» verwüstet und gebrandschatzt. 1420 erlangt Luzern die Oberhoheit über das Kloster, das sich zu diesem Zeitpunkt personell und wirtschaftlich noch nicht erholt hat. 1513 werden Kloster und Kirche Opfer eines Grossbrandes. Der Wiederaufbau ist 1520 abgeschlossen. Als Vogtei der Luzerner übersteht St. Urban die Reformation unbeschadet, obwohl es nun Grenzkloster zum reformierten Bern wird. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts setzt ein gegenreformatorischer, kultureller und wirtschaftlicher Aufschwung ein, der eine barocke Blütezeit einleitet. Zwischen 1638 und 1708 entstehen zahlreiche Um- und Neubauten, die aber mit wenigen Ausnahmen alle dem grossen barocken Neubau von 1711–1780 weichen müssen. Zu den Ausnahmen gehört das 1701–1707 entstandene Chorgestühl und der Hochaltar von 1662, die in der neuen Kirche wieder Platz finden. 

Der barocke Neubau der Klosteranlage
Abt Malachias Glutz (1665–1726), wie alle Barockäbte der Zisterzienserabtei, ein Patrizier aus einer vermögenden Solothurner Familie, ist treibende Kraft für den vollständigen Neubau der Anlage. Er beauftragt 1711 den 51-jährigen Franz II Beer für den Kirchenneubau. Beer hat 1704 die Klosterkirche in Irsee erstellt, vollendet 1710 diejenige in Rheinau und baut zurzeit die Klosterkirche in Bellelay. Noch 1711 wird mit dem Abbruch der mittelalterlichen Basilika begonnen und der Vorarlberger Bautrupp des Franz Beer II erstellt den Neubau der nun mehrfach grösseren Kirche, die 1715 im Rohbau fertig ist und 1717 geweiht werden kann. Die Doppelturmfassade zeigt eine vergoldeten Inschrift des selbstbewussten Barockprälaten: «AEDIFICAVIT AD HONOREM DOM. REV. ET AMP. D.D. MALACHIAS ABBAS AO: MDCCXV» (Errichtet zu Ehren des Herrn, der hochwürdige und erlauchte Herr Abt Malachias im Jahre 1715). Die mittelalterliche zisterziensische Zurückhaltung, die unter anderem auch Türme nicht erlaubt, kann hier an der Grenze zum reformierten Staat Bern kein Thema sein, wirkt aber im Verzicht auf die Fresken im Innern nach.
Am Kirchenbau wirkt als Zeichner und 1713  auch als Palier Schwiegersohn Peter Thumb mit.
Die Konventgebäude, teilweise noch nicht fünfzig Jahre alt, werden zugunsten des barocken Gesamtplanes ab 1716 abgebrochen und bis 1733 neu erbaut. Die Verträge mit Franz II Beer (er wird 1722 als «von Bleichten» geadelt) datieren von 1716 und 1722. Nach dem Tod von Franz II Beer führt sein Sohn Johann Michael Beer von Bleichten das Werk zu Ende.

Der architektonische Stellenwert von St. Urban
St. Urban ist eine der bedeutendsten barocken Klosteranlagen der Schweiz, deren Kirche die vollkommenste Ausformung des rein längsgerichteten Vorarlberger Schemas darstellt.
Die Doppelturmfassade wirkt streng monumental. Italienisches Erbe ist spürbar. Beer kennt zu dieser Zeit bereits das Fassadeprojekt der Theatinerkirche in München[1] und vermutlich auch den Moosbrugger-Entwurf der Fassade von Einsiedeln[2] . Der Dom von Salzburg, in den Türmen auch Obermarchtal, wirken nach. Die monumentale Wirkung wird durch den farblichen Kontrast zwischen den weissen Flächen und der grauen Hausteingliederung verstärkt. Die Inschrift im Fries des durchlaufenden Hauptgebälkes ist eine weitere Reverenz an Rom[3] und ist nördlich der Alpen in dieser Selbstbewusstheit neu.
Der Innenraum ist von höchster Reife: Die Wandpfeiler sind im Erd- und Emporengeschoss zu Durchgängen geöffnet, nun aber durch Apsiden ausgeweitet, wodurch einerseits die vorarlbergische «Lichtrahmenschicht» vorhanden bleibt, aber die italienische Aufstellungsart der Altäre parallel zur Längsachse der Kirche möglich wird. Eine reiche Stuckierung von Franz Schmuzer bildet eine gleichmässig weisse Dekoration und verbindet zisterziensische Strenge mit barocker Festlichkeit, gesteigert durch die Lichtfülle, welche durch die farblos verglasten Fenster einfliesst.

Ausstattung der Kirche
Das Chorgestühl gilt als eines der reichsten barocken Schnitzwerke der Kunstgeschichte. Es stammt aus der Vorgängerkirche und ist eine zweireihige, streng symmetrische Anlage mit Hoch- und Vordersitzen. Es ist 1701–1707 von Johann Peter Frölicher und Urs Füeg erstellt worden.
Der Hochaltar von 1662–1665 stammt noch aus der Vorgängerkirche. Er ist ein Werk von Michael Wickart. Das Altarblatt hat der Konstanzer Johann Christoph Storer 1662 geschaffen.
Das filigrane Chorgitter von 1715 ist eine Arbeit des Klosterbruders Rochus Frey.
Eine weiss gefasste und vergoldete Rokokokanzel ist eine Arbeit von 1750.
Die grosse Emporenorgel, wie die Kanzel weiss gefasst und vergoldet, ist bereits 1716–1721 von Joseph Bosshard aus Baar erbaut worden. Ihr reicher Prospekt füllt, die Fenster umrahmend, die Westwand und zeigt in der Giebelbekrönung ein aus Pfeifen geformtes dreifaches Kreuz: Das Wappen des Abtes Malachias Glutz.

19. und 20. Jahrhundert
1798 und 1799 leidet das Kloster unter Einquartierungen französischer Truppen Im Gegensatz zu Einsiedeln verschont General Schauenburg St. Urban, das auch nicht aufgehoben wird, aber schwer an den finanziellen Abgeltungen an die helvetischen Behörden und den Verlusten aus den Herrschaftseinnahmen leidet. Ähnlich dem Fürstabt von St. Gallen verschliesst sich auch der Solothurner Aristokrat Abt Ambros Glutz völlig den Zeichen der Zeit und wehrt sich gar gegen ein Lehrerseminar im Kloster. 1808 fordert  er auf Druck des päpstlichen Nuntius und gegen den Willen des Konvents die Luzernische Obrigkeit durch seine Verweigerung der Rechnungsoffenlegung bewusst heraus und wird verhaftet und abgesetzt. Er resigniert 1813 freiwillig. Sein Nachfolger Friedrich Pfluger, wieder aus Solothurn, kommt mit seinem Reformkurs zu spät für einen Neuanfang im liberalen Umfeld. Er muss auf Druck der Regierung die Herrschaft Liebenfels im Thurgau verkaufen und den Erlös als Staatsanleihe zur Verfügung stellen. 1841 eröffnet die neu an die Macht gekommene konservative Luzerner Regierung ein Lehrerseminar im Kloster. Der von dieser Regierung provozierte Sonderbundskrieg wird von den liberal-protestantischen Kantonen gewonnen. Die Niederlage bedeutet auch das Ende der alten Zisterzienserabtei. 1848 verfügt der Kanton Luzern zur Tilgung der Kriegsschulden an die siegreichen Kantone des Sonderbundskrieges die Säkularisation des Klosters. Nur knapp 11 000 von 27 000 Stimmberechtigten sind in einer Volksabstimmung gegen die Aufhebung. Die bis nach der Revolution aufrechterhaltene aristokratische Volksferne von St. Urban hat sich jetzt gerächt. Die 19 Priestermönche und 7 Brüder müssen das Kloster innert einem halben Jahr verlassen. Der Kanton veräussert vorerst die Herrschaft Herdern im Thurgau. 1853 verkauft er das Klostergut für 1 250 000 Franken[4] an eine Berner Finanzgruppe. Bereits vorher wird die ganze Ausstattung und das wertvolle Chorgestühl[5] zu Dumpingpreisen an Spekulanten verschleudert. Die wertvolle Bibliothek kommt nach Luzern, wo sie heute, reduziert und aufgeteilt, in die Zentralbibliothek integriert ist. Im Bibliothekssaal von St. Urban dominiert seither die Leere der Regale.
1870 kauft der Kanton die Gebäude zurück. In den Klosterräumlichkeiten wird daraufhin eine kantonale «Irrenanstalt» eingerichtet. Noch heute besteht hier eine Psychiatrische Klinik des Kantons.
Das Chorgestühl wird 1911 durch die Gottfried-Keller-Stiftung aus dem schottischen Schloss Dupplin Castle zurückerworben und wieder in St. Urban aufgestellt.
Ab 1988 setzt eine umfassende und vorbildliche Gesamtrestaurierung der Klosteranlage ein, die 2006 abgeschlossen ist.
Pius Bieri 2008

 

Benutzte Einzeldarstellungen:
Reinle, Adolf: Die Kunstdenkmäler des Kantons Luzern, Band V, Der Bezirk Willisau (Kunstdenkmäler der Schweiz, Band 42 der Gesamtreihe), Basel 1959.
Meyer, André: Das ehemalige Zisterzienserkloster St. Urban, Kunstführer GSK, Bern 1964.
Regierungsrat des Kantons Luzern (Hrsg.): Sankt Urban 1194–1994. Bern 1994.

Links:
Sankt Urban im Hisorischen Lexikon der Schweiz HLS
Klinik St. Urban: Portrait des Klosters
Universität Zürich: Franz Beer von Blaichten Klosterkirche St. Urban 1711–1717


Anmerkungen:

[1] Aus dem verbreiteten Stich von Michael Wening 1696.

[2] Um 1705/1708.

[3] Am Pantheon, an Madonna die Monti, an der Fassade von St. Peter.

[4] 70 Franken entsprechen nach der Währungsreform von 1852 33 Gulden, oder 1 Gulden (Reichsgulden) gilt 2 Franken 12 Rappen. Ein Zürcher Gulden gilt 2 Franken 33 Rappen. In heutigem Wert kann ein Franken von 1852 mit ungefähr 100 Franken oder 65 Euro eingesetzt werden.

[5] Es wird, zusammen mit 67 einzigartigen Glasgemälden aus dem Kloster Rathausen, für 14 000 Franken an den Bankier James Meyer aus St. Gallen verkauft. Allein die Glasgemälde sind auf dem internationalen Kunstmarkt von damals mehrere 10 000 Franken wert.



Weitere Ausstattungen der Stiftskirche

StUrban7-1   StUrban7-2   StUrban7-3
Das Werk der grossen Orgel (1716–1721) von Josef Bossard hat 40 Register und weist noch heute weitgehende Originalsubstanz auf. Bossard integriert die Orgel, als frühes Beispiel, in die Raumarchitektur und überrascht mit der Anordnung des Oberwerk–Prospektes zum Wappen des Abtes Malachias Glutz.
Restaurierung der Orgel 1993 durch Kuhn, Männedorf.
  Der Hauptaltar (1662–1665) stammt wie auch das Chorgestühl aus der Vorgängerkirche. Er ist ein frühbarockes Werk der Zuger Bildhauerwerkstatt Wickart. Der Altar wird 1715 mit der bekrönenden Gloriole und seitlichen Laubwerkvoluten vergrössert. Das Hauptblatt ist ein Werk des Konstanzer Malers Christoph Storer und stellt die Intercessio Mariae des hl. Bernhard von Clairvaux dar. An den Stifter des Altares, den französischen König Louis XIV, erinnert sein Namensvetter im Bild, der hl. Ludwig (Louis IX).   Erst in der Amtszeit von Abt Augustin Müller wird diese weiss gefasste und reichlich vergoldete Rokoko-Kanzel geschaffen. Sie ist eine Stiftung des Abtes, sein Wappen ist am bauchigen Kanzelkorb angebracht, sein Namenspatron, der hl. Augustinus, thront auf dem Schalldeckel. Der Bildhauer dieses Werkes ist vorläufig unbekannt.


 


  Ehemalige Zisterzienserabtei St. Urban  
  StUrban1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
St. Urban Luzern CH Herrschaft St. Urban im Eidgenössischen Stand Luzern
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz, als exempte Abtei.   1711
Bauherr und Bauträger

ok Abt Malachias Glutz (reg. 1706–1726)
Leer Abt Robert Balthasar (reg. 1726–1751)
Leer Abt Augustin Müller (reg. 1751–1768)
 
  Die ehemalige Klosteranlage von Westen gesehen, mit dem Frauenhaus aus dem 17. Jahrhundert im Vordergrund.   pdf  
   
StUrbanLageplan
Lageplan der Klosteranlage St. Urban. Für Erläuterung und Vergrösserung anklicken!  
   
StUrban1676
1676 wird die Klosteranlage vor den Neubauten des 18. Jahrhunderts letztmals in einem Ölgemälde dargestellt. Auf der Vergrösserung ist die Legende zu sehen.  
StUrbanGrundriss
Erdgeschossplan des 1711–1733 erbauten Klosters.
Für Legende und Vergrösserung bitte anklicken!
Die Nordhälfte des neuen Westflügels und der neue Mitteltrakt liegen an der Stelle der West- und Südflügel der alten Abtei (siehe oben), sodass nach dem Neubau der Kirche die Konventgebäude noch fünf bis zehn Jahre ihre Funktion erfüllen.
 
StUrban2
Eindrücklich ist die Doppelturmfront mit dem durchlaufenden Gebälk-Fries und der selbstbewussten Inschrift des Abtes. Franz Beer hat hier offensichtlich Vorbilder wie die Theatinerkirche München (Zuccalli) oder den Entwurf Moosbruggers für Einsiedeln (1707) aufgegriffen.  
> Stich Wening 1696 Theatinerkirche  
> Einsiedeln Plan Moosbrugger 1707  
StUrban3
Im Wandpfeiler-Emporenraum von St. Urban bildet Franz Beer die Wandpfeilernischen fast wie die Seitenschiffe einer Freipfeilerhalle aus und betont die Wirkung durch die Anordnung der Altäre durch nach aussen vorstehende Kapellen.  
StUrban4
Grossen Anteil am festlich gestimmten Innenraum hat der Stuckateur Franz Schmuzer, der hier mit einem noch vom Akanthus geprägten Bandwerk bereits an der Schwelle zum Régence arbeitet.  
StUrban5
Kostbar ist auch die Ausstattung der Kirche. Das Chorgestühl, 1700–1706 noch für die alte Kirche geschaffen, gehört zu den besten barocken Werken dieser Gattung. Vom Kanton Luzern 1853 verschleudert, wird es 1911 zurückgekauft und ist heute am alten Ort wieder aufgestellt. Die Aufnahme zeigt das Gestühl mit Blick zum filigranen Gitter (Br. Rochus Frey 1715) und zum Gemeinderaum mit der Orgel.  
StUrban6
Die Aufnahme der evangelienseitigen (nördlichen) Stallenreihe zeigt den Reichtum der Bildhauerarbeit mit den geschnitzten Bildthemen in den 16 Dorsalfeldern.  
StUrban8
Dieses Portal, 1716 vom Vorarlberger Stuckateur Joseph Meusburger erstellt, führt vom Chor in den Klostergang des Ostflügels. Es ist mit einem Stuckmarmor-Epitaph mit reicher Heraldik bekrönt.