Die Meister
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Franz Beer II von Bleichten (1660–1726) Au (Vorarlberg) ok   Baumeister-Architekt 1698   1701
Fr. Christoph Gessinger OSB (um 1650–1734) Köln? ok   Altarbauer, Architekt 1701   1702
Johann Friedrich Sichelbein (1648–1719) Memmingen Wikipedia   Maler 1703   1718
Johann Georg Bergmüller (1688–1762) Türkheim Wikipedia   Maler und Freskant 1716   1717
Joseph Gabler (1700–1771) Ochsenhausen Wikipedia   Orgelbauer 1755   1756
Chrysostomus Forchner (1721–1791) Dietenheim Wikipedia   Maler, Altarbauer 1766   1767

Tannheim

Ehemaliges Amtshaus und Pfarrkirche St. Martin

Pflegamt der Reichsabtei Ochsenhausen
Tannheim ist vom späten Mittelalter bis 1803 ein Klosteramt der reichsunmittelbaren Abtei Ochsenhausen. Im Mittelpunkt des aus drei Dörfer und mehreren Weilern bestehenden Verwaltungssitzes liegt die inkorporierte Pfarrei Tannheim mit der 1157 erwähnten Martinskirche.[1] Die Kirche dürfte lange vor ihrer ersten Erwähnung schon in fränkischer Zeit bestanden haben. Die Karte der Klosterherrschaft[2] um 1670 zeigt noch ihre alte Lage auf einer Anhöhe oberhalb des Dorfes. Der Pfleghof des Klosters hingegen befindet sich schon damals an der heutigen Lage östlich des Dorfkerns, an der Kreuzung der Nord-Süd Verbindung von Ulm nach Leutkirch und der West-Ost Verbindung von Ochsenhausen über Arlach nach Memmingen. Der Pfleghof ist Amtssitz des Pflegers, der die Klosterherrschaft vertritt.[3] Es sind der Regel ökonomisch erfahrene Patres der Abtei, die dieses Amt besetzen. Die für Tannheim wichtigen Bauäbte Franziskus Klesin (reg. 1689–1708), Hieronymus Lindau (reg. 1708–1719), Coelestin Frener (reg. 1725–1737) und Benedikt Denzel (reg. 1737–1767) sind vor ihrer Wahl zum Abt längere Zeit hier tätig.[4]

Neubau des Pfleghofes durch Franz Beer II
An der Stelle des alten Pfleghofes lässt Abt Franziskus Klesin 1696–1698 das heutige Gebäude errichten. Die Zweiflügelanlage mit drei Geschossen hat Schlosscharakter und betont den Herrschaftsanspruch der Abtei Ochsenhausen. Der Bau wird deshalb als Pflegschloss bezeichnet. Sein Südflügel ist mit Giebeln abgeschlossen und wird dadurch betont, der Ostgiebel zeigt eine dreigeschossige Gestaltung mit angedeuteten Verdachungen. Der Baumeister ist in der Baurechnung 1698 erwähnt. Es handelt sich um «H. Franz Beehr Baumeister von Andelssbuech auss dem Bregenzer Wald», also um Franz Beer II, der seit seiner Heirat 1687 in Andelsbuch Wohnsitz hat.[5] Der Bau wird ihm für 3000 Gulden verdingt. Im Verding ist auch eine Hauskapelle im Erdgeschoss enthalten.

Neubau der Kirche 1700–1701
Im März 1700, kurze Zeit nach dem Bezug des Amtsschlosses, erteilt der Konstanzer Fürstbischof die Erlaubnis zum Abriss der Kirche St. Martin und zur Verlegung an den heutigen Ort. Mit dem Bau wird im gleichen Jahr begonnen. 1701 ist die Kirche im Rohbau fertig und es können bereits die ersten Gottesdienste gefeiert werden. Der Spanische Erbfolgekrieg verzögert die Einweihung. Sie findet erst 1705 statt. Die neue Kirche ist, bedingt durch ihre Lage im Westen des Schlosses, genordet. Das Langhaus besteht aus einem Vorjoch mit Empore und drei Jochen, wobei das etwas tiefere Joch vor dem Chor aussen ein Querhaus andeutet. Der Kirchturm ist westlich beim Choreinzug in das Bauwerk eingefügt. Seine Fassadenbündigkeit ergibt den engen, zweijochigen  Chorraum mit halbrunder Apsis. Die beiden Giebelfassaden sind durch einen dreigeschossigen Schweif- und Volutengiebel ausgezeichnet, die Querhausgiebel sind um das mittlere Geschoss reduziert.[6]
Das Bauwerk ist eine Wandpfeiler-Emporenkirche, wie sie zu dieser Zeit in Solothurn, Ellwangen, Obermarchtal und Pfäfers durch Jesuiten und Vorarlberger schon verwirklicht ist. Tannheim ist aber im Gegensatz zu den bedeutend grösseren Vorläuferbauten keine Konventkirche. Da in einer Pfarrkirche die Wandpfeilernischen nicht als Altarraum dienen, können die Wandpfeiler auf das statisch notwendige Mass gekürzt werden. Damit wirkt der Innenraum mit der Gewölbespannweite von 12 Meter weit und licht. Das Pfeilergesims oder -gebälk ist wenig auskragend und nur dreiseitig ausgebildet. Das massive Stichkappen-Tonnengewölbe besitzt zur Zeit der Einweihung mindestens im Bereich der Grate einen dichten Akanthusranken-Stuck in retardierender Art. Die Ausstattung besteht um 1707 aus Hauptaltar, zwei Seitenaltären, einem weiteren Altar im Emporenbereich[7] und der Kanzel. Die neuen Altäre müssen auf Grund der beteiligten Künstler eine hohe Qualität aufgewiesen haben.[8] Einziges Überbleibsel ist die heute an ungewohnter Stelle platzierte Kanzel.

Spekulationen über den ausführenden Baumeister
Die «Bauw Rechnung der neuen Kirchen zu Tanheimb» der Abtei Ochsenhausen für das Jahr 1700 vermerkt, dass «dem Herrn Baumeister Frantz Beer kombt aus seinen lauth Verdingniss 2500 fl, für diess Jahr erlegt worden....1300». An Franz Beer ist demnach der Bau für 2500 Gulden verdingt worden, für das erste Jahr werden ihm 1300 Gulden ausbezahlt.[9] Damit ist der ausführende Baumeister genannt. Vom Klosterchronisten Geisendorf wird er als «der berühmte Baumeister Bär» bezeichnet. Die Nennung der «Berühmtheit» ist eine barocke Höflichkeitsformel. Schon 1693, im «Hauptverdüng über dem newen Klosterbaw dess Gotthaus Gengenbach mit dem ehrenvösten Herrn Frantz Behren, Mauer und berüehmten Bawmeistern in dem Bregentz-Waldt, Feltkürcher Herrschafft» erfährt der 34-jährige Franz Beer I (1659–1722) solches Lob. Im gleichen Jahr ist Franz Beer II (1660–1726) noch immer am Kirchenneubau seines Lehrers Michael Thumb in Obermarchtal tätig. Beide Baumeister Franz Beer arbeiten um 1700 auch für Benediktinerabteien im Grenzgebiet zum Kurfürstentum Bayern. So erstellt Franz Beer I unter der Leitung des Liebhaberarchitekten aus Ottobeuren, Pater Christoph Vogt, 1696–1700 Konventbau und Kirche von Holzen. In Irsee baut Franz Beer II 1699–1702, parallel zum grossen Bauauftrag in Salem, seine erste grosse Klosterkirche. Der junge Peter Thumb zeichnet für ihn die Pläne. 1700, im Jahr der Grundsteinlegung in Tannheim, ist das nun für ein Vierteljahrhundert immer zusammenarbeitende Gespann Beer II und Thumb auch für Planungen in Ottobeuren aktenkundig. Nachdem seit kurzem für den Bau des Schlosses in Tannheim eindeutig der Andelsbucher und spätere Konstanzer Bürger Franz Beer II nachgewiesen ist, darf man ihm ruhig auch die weitere Planung der Kirche zuschreiben. Vielleicht hat er die Kirchenplanung schon während seines Pfleghof-Neubaus vorgelegt. Franz Beer II ist um 1700 stark beschäftigt. Nebst der Kirche in Irsee und dem Kollegium in Ehingen ist er beim grössten Baumeisterauftrag der Region, dem Konventneubau in Salem, verpflichtet. Allein hier ist er bis 1707 für 45 000 Gulden verpflichtet. Ob er nun tatsächlich noch zusätzlich die Ausführung Tannheims übernimmt? Überlässt er die Baustelle vielleicht im Unterakkord? Und warum nicht an seinen Landsmann Franz Beer I aus Au? Dieser kommt zwar als entwerfender Planer nicht in Frage, weder vorher noch nachher ist er als Planverfasser von Wandpfeilerkirchen aktenkundig.[10] Zur Spekulation einer Trennung der Planung vom Akkordvertrag verleiten die um 1700 bei Franz Beer II unüblichen Pfeilergesimse Tannheims.[11] Auch die späteren Aufträge der Abtei Ochsenhausen, die ausschliesslich an Franz Beer I vergeben werden, könnten auf eine schon in Tannheim begonnene Zusammenarbeit hinweisen.[12] Gehen wir also davon aus, dass Franz Beer II Planer und ausführender Baumeister der Schlossanlage, entwerfender Architekt der Kirche, aber vielleicht nicht ihr ausführender Baumeister ist.

Der Hochaltar
1727 wird der Hochaltar von 1702 durch das heutige Kunstwerk ersetzt. Abt Coelestin Frener (reg. 1725–1735), auch er ist vorher Pfleger in Tannheim, bezahlt für den Bildhauer und den Fassmaler 391 Gulden. Der in einer Art Theaterarchitektur in der Tiefe gestaffelte Aufbau kündigt das kommende Rokoko an. Die hintere Ebene bildet das in die Chorapside eingefügte Retabel. Es enthält das Altarblatt des Vorgängeraltars, 1716 vom Augsburger Maler Johann Georg Bergmüller (1688–1762) für Tannheim erstellt.[13] Frei vor diesem Retabel im Chorraum stehend, ist der eigentliche Altar durch eine Säulenarchitektur gefasst, die im Gebälk mit Sprenggiebeln abschliesst und optisch durch zwei lebendig gestaltete, frei balancierende und wappentragende Engel zusammenhält. Sie tragen das Wappen des Ochsenhausener Abtes Coelestin Frener. So wie Bergmüller später für den hier verewigten Abt Coelestin in Ochsenhausen die Deckenfresken erstellt, könnte auch der Schöpfer dieses plastischen Meisterwerkes aus dem Kreis der dort tätigen Bildhauer stammen.

Umbau der Kirche Mitte des 18. Jahrhunderts?
1747 werden für Besetzarbeiten 336 Gulden ausgegeben. Mit diesem Geld wird der Boden mit Sandsteinplatten aus Füssen «besetzt».[14] 1749 muss das Dach für 642 Gulden erneuert werden. Die Summe entspricht einem neuen Dachstuhl. Die Gründe für diese ungewöhnliche Massnahme werden nicht vermerkt. Kann es sein, dass der alte Dachstuhl von 1702 falsch konstruiert ist und das Gewölbe belastet? Oder kann er die Schubkräfte eines falsch gebauten Gewölbes nicht aufnehmen? Ist die Rechnung vielleicht nur ein Sammelposten mit anderen Unterhaltsarbeiten? Der Bau selbst könnte Auskunft geben.[15] Mit Sicherheit haben die hohen Ausgaben von 1747 und 1749 nichts mit einem Kirchenumbau oder Turmneubau zu tun, denn erst 1766 erfolgt ein entscheidender Eingriff.[16] In diesem Jahr, 60 Jahre nach Erstellung, wird der nun zu plastisch wirkende und deshalb nicht mehr zeitgemässe Akanthusstuck vom Gewölbe abgeschlagen.

Deckenfresken 1766
Anstelle der weissen, kräftigen Stuckaturen aus der Erbauungszeit malt Chrysostomus Forchner (1721–1791) aus Dietenheim einen Freskenzyklus im Auftrag der Tannheimer Bruderschaften. Das Freskenprogramm scheint von den Auftraggebern mitbestimmt. Sie übernehmen auch einen Teil der Kosten. Forchner, der bis 1751 zusammen mit seinem Bruder und Bergmüller-Schüler Franz Xaver (1717–1751) eine Werkstatt betreibt und nun in Tannheim seinen ersten grösseren Auftrag selbstständig ausführen muss, arbeitet nach Vorlagen seines verstorbenen Bruders. Vorbild sind die Fresken von Bergmüller in der Ochsenhausener Stiftskirche. Die deshalb trotz des nahenden Klassizismus noch gänzlich barocken Deckenbilder sind in ein Rocaille-Rahmenwerk von «stucco finto» eingebunden. Diese Rahmenmalerei, die hier in etwas schablonenhafter Art Rokokostuck vortäuscht, gliedert die Deckenfelder vorteilhaft und verleiht dem Innenraum eine gewisse Leichtigkeit.

Die Tannheimer Kirche nach der Säkularisation
1803 wird im Reichsdeputationshauptschluss die Ochsenhausener Klosterherrschaft dem Fürsten Metternich, das Tannheimer Amt aber den Grafen von Schaesberg[17] als neuer Besitz übertragen. Beide Herrschaften müssen schon 1806 die Oberherrschaft Württembergs anerkennen. Während aber Fürst Metternich die Herrschaft Ochsenhausen 1825 an das Königreich verkauft, ist die Verbundenheit der Grafen Schaesberg mit Tannheim grösser. Sie übernehmen Kultkosten und Baulast der Pfarrkirche St. Martin bis zu deren Ablösung 1867. Bis zu diesem Zeitpunkt scheint die Kirche unverändert im barocken Kleid überdauert zu haben. Zwischen 1874 und 1883, kurz vor dem wieder einsetzenden Verständnis für den Barock, wird ihr Innenraum im Sinne des Historismus umgestaltet. Alle Seitenaltäre und ihre Altarblätter werden dabei zerstört und durch banale Neuschöpfungen ersetzt. Auch ein Seitenaltarbild Bergmüllers endet wohl auf einer Versteigerung. Die barocken Fresken verschwinden unter neuen Dekorationsmalereien. Der Sandsteinboden wird noch 1902 durch Mettlacher Mosaikplatten ersetzt.[18] Eine Rebarockisierung setzt Anfang des 20. Jahrhunderts ein, beschränkt sich aber auf Neufassungen. 1963–1965 wird in einer durchgreifenden Innenrenovation der barocke Zustand soweit wie möglich wiederhergestellt. Die Seitenaltäre des 19. Jahrhunderts werden entfernt. Etwas ungewöhnlich wirkt deshalb die heutige Lage der Kanzel, die damals anstelle des fehlenden rechten Seitenaltars versetzt wird. Als Sündenfall muss die Entfernung des barocken Chorgestühls und der barocken Beichtstühle bezeichnet werden, aber auch beim Ersatz des wertvollen Laiengestühls im Kirchenschiff wird wenig zimperlich verfahren. Von den über 80 reich geschnitzten Doggen oder Bankwangen werden deren 48 nach Mörsingen (heute Ortsteil von Zwiefalten) verkauft und schmücken dort nun in der St. Galluskirche ein modernes Gestühl.[19] Anlässlich dieser Renovation kann von Weingarten ein Tabernakel erworben werden, der eine 1803 entstandene Kopie des damals eingeschmolzenen silbernen Heilig-Blut-Tabernakels aus 1731 ist. Die Silberfassung weicht 1695 einer Glanzvergoldung.
1971–1972 erfolgt eine letzte umfassende Aussenrenovation mit vollständiger Putzerneuerung, die Fassung der Fassaden mit Eckquaderungen und geohrten Fensterumrahmungen wird hierbei befundgetreu wiederhergestellt. Eine Innenraumrestaurierung im Jubiläumsjahr 2002 hat konservierenden Charakter und respektiert die Eingriffe der 1960-iger Jahre.

Orgel
Der berühmte Ochsenhausener Orgelbauer Joseph Gabler ist Schöpfer der ersten Orgel auf der Südempore.[20] Das Werk mit 5 Registern wird 1755–1756 erstellt. 1888 wird diese Orgel durch ein neues Werk mit 18 Registern ersetzt. Anlässlich der letzten Totalrenovation weicht auch dieses Werk einer vollständig neuen Orgel, die 1966 eingeweiht wird. Sie ist ein Werk des Orgelbauers Hans Karl aus Aichstetten, hat 26 Register und eine elektro-mechanische Traktur. Der Prospekt, in modernistischer Haltung, wirkt in der barocken Umgebung fremd.

Tannheim und Lachen
1707–1711 baut Peter Thumb (1681–1766), der Schwiegersohn von Franz Beer II, in Lachen am Zürichsee eine Pfarrkirche in ähnlicher Innenraumgrösse, in gleichem Querschnitt und in gleicher Jochzahl wie die Kirche von Tannheim. Dass aber Peter Thumb in Lachen die Tannheimer Kirche noch einmal gebaut haben soll, ist trotz seiner Beziehungen zu Franz Beer II eine grobe Vereinfachung. Zwar muss er die Kirche von Tannheim kennen, vielleicht besucht er im November 1700 auch die Baustelle.[21] Aber Lachen ist eine eigenständige Schöpfung von Peter Thumb mit der ersten seiner klassischen Doppelturmfassaden. Thumb muss in Lachen eine Planung Br. Caspar Moosbruggers weiterbearbeiten und verschmilzt nun im Grundriss diese Vorplanung mit Einflüssen aus Bauten seines Schwiegervaters, im speziellen der Kirchen von Tannheim und Rheinau, aber auch mit Einflüssen aus den gemeinsamen und älteren Vorbildern Ellwangen und Obermarchtal, den Bauten seines Vaters Michael Thumb. «Geradezu ängstlich hält er sich an Werke seiner grossen Zeitgenossen, doch schmilzt er diese Einflüsse auf durchaus eigenständige Weise zusammen», schreibt der Biograph Hans-Martin Gubler über den 26-jährigen Peter Thumb.

Pius Bieri 2010

Benutzte Einzeldarstellungen:
Geisenhof, Georg: Kurze Geschichte des vormaligen Reichsstifts Ochsenhausen in Schwaben, verfasst von einem Mitgliede desselben. Ottobeuren 1829. Nachdruck 1990.
Lindner, P. Pirmin OSB: Verzeichnis aller Aebte und der vom Beginne des XVI. Jahrhunderts bis 1861 verstorbenen Mönche der Reichsabtei Ochsenhausen. 1899. (Anhang in Nachdruck 1990.
Hütter, Günter: Kirche und Kapellen in Tannheim, Kunstführer. München und Zürich 1992 (mit Korrekturen 2002).
Gubler, Hans-Martin: Peter Thumb, Sigmaringen 1972.
Habres, Michael: Die Vorarlberger frühbarocke Bauschule, in: 300 Jahre Kirche St. Martin Tannheim (Hrsg. katholische Pfarrgemeinde). Tannheim 2002.
Graf, Otto: Benediktiner als Bauherren in Tannheim, in: 300 Jahre Kirche St. Martin Tannheim (Hrsg. katholische Pfarrgemeinde).Tannheim 2002.
Habres, Michael: Die Pfarrkirche St. Martin zu Tannheim an der Iller, Masterarbeit an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 2004.

Anmerkungen:

[1] Die Inkorporation einer Pfarrei bedeutet, dass das Kloster nebst deren Nutzniessung auch den Seelsorger stellt und die Baupflicht übernimmt.

[2] Die Darstellung in Öl auf Leinwand ist zwischen 1660 und 1671 im Kloster Ochsenhausen entstanden. Sie ist 184 cm auf 290 cm gross und heute in acht Teile zerschnitten. Sie befindet sich seit der Säkularisation im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (N 26 Nr. 21).

[3] Der Amtsinhaber ist auch Vorsteher des Obervogtes, Inhaber der Gerichtsbarkeit und vertritt damit den Abt im aussenstehenden Klosteramt. Er wird in den Benediktinerabteien im Süden des Bistums Konstanz (Weingarten, Einsiedeln) als Statthalter bezeichnet.

[4] Nur Abt Franziskus Klesin wird als vorheriger Pfleger oder Statthalter von Tannheim aufgeführt. Die drei weiteren Äbte sind als vorherige Pfarrer von Tannheim verzeichnet. (In: Georg Geisendorf 1829, Pirmin Lindner 1899).

[5] Diese sehr wichtige Quelle führt erstmals Michael Habres in seiner Masterarbeit 2004 auf.

[6] Diese Giebelausbildung verweist auf entsprechende Ausbildungen an Risaliten in Salem (Beer II, 1697–1707), Zwiefalten (Comacio, 1668–1673), Neresheim (Wiedemann 1699–1712). Die Giebelausbildung geht auf Vorbilder der deutschen Renaissance zurück, wie zum Beispiel das Lusthaus in Stuttgart (Beer 1583).

[7] Er liegt über der Sakristei. Ein Zugang ist anfänglich nur über eine Treppe in der Sakristei und im Turm möglich. Der direkte Zugang vom Amtsschloss auf die Emporen wird erst später erstellt.

[8] Planung Fr. Christoph Gessinger (um 1670–1735) aus Isny und Altarblätter von Johann Friedrich Sichelbein (1648–1719) aus Memmingen. Fr. Christoph Gessinger könnte auch die Ausführung der Stuckaturen geleitet haben.

[9] Verdingsumme in Relation zu anderen zeitgleichen Kirchen: Rheinau (1704) 6200 Gulden mit Gewölbe, ohne Dachstuhl, ohne Türme. Lachen (1707) 7800 Gulden mit Gewölbe, Dachstuhl und zwei Türmen. Zum Geldwert um 1700 kann der Vergleich mit dem Jahreseinkommen eines Bauhandwerker-Gesellen von 80 bis 100 Gulden dienen.

[10] Selbst wo er Klosteranlagen erstellt, wie in Holzen oder Siessen, werden die Kirchen nicht nach seinen Plänen gebaut. Auch seine später im Auftrag der Abtei Ochsenhausen ausgeführten Kirchen in Schönebürg und Ummendorf sind Planungen von Pater Christoph Vogt.

[11] Wie schon sein Lehrer Michael Thumb, auch Christian Thumb und später der Schwiegersohn Peter Thumb liebt er das betonte, bis zu einem Meter auskragende und umlaufende Pfeilergebälk oder Pfeilergesims. Wir finden solche Pfeilergesimse in Schönenberg ob Ellwangen, Obermarchtal, Hofen, Rheinau, Lachen, St. Urban. Anstelle dieser expressiven Pfeilerköpfe, wie wir sie auch in Irsee antreffen, ist in Tannheim eine zaghafte, nicht umlaufende und formal reduzierte Ausführung vorhanden.

[12] Abt Hieronymus Lindau von Ochsenhausen beauftragt 1712 Franz Beer mit dem Neubau der Kirche in Schönebürg. Die Abtei übernimmt dafür die Schulden des Baumeisters in Bludenz und im Montafon. Es kann sich nur um Franz Beer I handeln, da das Vermögen von Franz Beer II zu dieser Zeit schon riesig ist. Der gleiche Baumeister stockt in Ochsenhausen 1712 den Gästebau auf, baut 1715–1717 den Fruchtkasten und übernimmt 1716 den Bau der Kirche von Ummendorf, wieder nach Plänen von Pater Christoph Vogt.

[13] Es zeigt die Muttergottes mit Kind mit Maria Magdalena und in Gesellschaft des hl. Georg über der Gruppe des hl. Martin und des hl. Michael, der soeben Luzifer in die Tiefe stürzt. Die Entwurfszeichnung, heute im Crocker Art Museum in Sacramento (USA), ist bereits ein Meisterwerk. Entwurf und Gemälde sind vom jungen Bergmüller im Hinblick auf den grossen Anschlussauftrag in Ochsenhausen mit grosser Sorgfalt gestaltet. Das Tannheimer Altarblatt stellt den ersten künstlerischen Höhepunkt des Augsburger Malers dar.

[14] Die Böden werden in der damaligen Sprache nicht belegt, sondern besetzt. Sand- oder Kalksteinbrüche für Bodenplatten sind weit entfernt. Wo das Geld für «Aichstätter Platten» (Solnhoferplatten) nicht vorhanden ist, begnügt man sich mit den günstigeren grossen Platten der nahen Voralpenregion, hier mit Sandsteinplatten aus Füssen. Die 336 Gulden hätten bei einem «Aichstätter» Plattenbelag nicht weit gereicht. Bei der gleichzeitig erstellten Propsteikirche von Hofen (heute Schlosskirche Friedrichshafen) lamentiert der Chronist Pater Maximilian Waller, dass ihn die einzelne Platte, bis sie verlegt ist, fast einen Gulden kostet (Kauf 5 Kreuzer, Transport bis Ulm 22 Kreuzer, Transport von Ulm bis Hofen und Arbeit 30 Kreuzer). Der Transport der Steine von Füssen nach Kempten und dann auf der Iller nach Mooshausen bei Tannheim kostet hingegen 54 Gulden bei Materialkosten von 285 Gulden, also nicht zu vergleichen mit den riesigen Transportkosten von Hofen.

[15] Der Tannheimer Dachwerk ist ein doppelt liegender Stuhl mit mittigem Hängewerk. Dendrochronologische Untersuchungen könnten das Fälldatum der Hölzer dieses absolut fachmännisch erstellten barocken Dachwerkes bestimmen und damit Licht in die Ausgaben von 1749 bringen.

[16] Ein Mitautor der Festschrift «300 Jahre Kirche Sankt Martin Tannheim» wagt die These, der neue Dachstuhl (1749) sei Folge eines erst 1747 erfolgten Wandpfeiler- und Gewölbeeinbaus mit gleichzeitigem Turmneubau. Er geht von einer falschen Lesart der Rechnung für die Besetzarbeiten aus. Auch überlegt er sich die Arbeitsabläufe falsch. Denn in der Regel wird der Dachstuhl vor dem Einbau des arbeitsaufwändigen Massivgewölbes erstellt und gedeckt. Schon damals fürchtet man durchnässte massive Gewölbe. Zudem wäre für die Art der Tannheimer Gewölbe gar kein neuer Dachstuhl notwendig, da der Gewölbescheitel unter dem Zerr- oder Hauptbalken liegt und die Dachtraufe offensichtlich seit der Erstellung in der Höhenlage unverändert ist. Auch müssten die enormen Zusatzkosten für den vollständigen Kirchenumbau und Turmneubau in den Rechnungen ersichtlich sein und hätten sich in den Chroniken niedergeschlagen.

[17] Als «Entschädigung» für den Verlust ihrer Stammherrschaft am Niederrhein.

[18] Es sind Mosaikplatten der Firma Villeroy & Boch aus Mettlach, die 1886 auch in der Stiftskirche Einsiedeln anstelle der Sandsteinplatten verlegt werden und deren Entfernung heute nicht mehr denkbar ist.

[19] Die restlichen Doggen, die Beichtstühle und das Chorgestühl sind heute verschollen .

[20] Der damalige Tannheimer Pfarrer und Pfleger Innocentius Henle empfiehlt Gabler 1758 dem Memminger Kanzleidirektor von Lupin als «neulich in Thanheimb bestermassen anrecomendierten Kunst erfahrenen Orgel macher zue praesentieren». Grundlage für diese Empfehlung kann eigentlich nur der Orgelbau von 1755/56 sein. Die Quelle ist publiziert in: Mayr, Johannes: Joseph Gabler Orgelmacher,  Biberach 2000. (Nach freundlicher Mitteilung Michael Habres).

[21] Er wird in Ottobeuren im November 1700 für eine Planung entschädigt, die er im Auftrag von Franz Beer II ausführt. Thumb wird in diesem Jahr lediggesprochen. Für Franz Beer II zeichnet er von 1700 bis 1719. Es ist nicht auszuschliessen, dass er auch Tannheim gezeichnet hat.


  Pfarrkirche St. Martin in Tannheim an der Iller  
  Tannheim1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Tannheim
Baden-Württemberg D
Herrschaft Abtei Ochsenhausen
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz   1698
Bauherr und Bauträger

Wikipedia Abt Franziskus Klesin (reg. 1689–1708)
Wikipedia Abt Hieronymus II. Lindau (reg. 1708–1719)
ok Abt Coelestin Frener (reg. 1725–1737)
ok Abt Benedikt Denzel (reg. 1737–1767)
 
  Pfarrkirche und ehemaliges Amtshaus Tannheim aus Norden, aufgenommen im Dezember 2011 von Bene16 in Wikipedia.   pdf  
   
Tannheim2
Das Innere der Wandpfeiler-Emporenkirche mit Blickrichtung zum Chor.  
   
TannheimGrundriss
Der Grundriss der Kirche in einer Massaufnahme von Michael Habres 2004.  
TannheimVergleichLachen
Vergleich der Grundrisse von Lachen und Tannheim.
Beim Anklicken:
Tannheim im Grundrissvergleich mit den Kirchen Lachen (1700/07), Eldern (1702), Irsee (1699).
 
   
> Weitere Grundrissvergleiche von Kirchen des 17. Jahrhunderts mit Tannheim:
Solothurn (1680), Schönenberg ob Ellwangen (1682), Obermarchtal (1686), Pfäfers (1688).
 
TannheimLängsschnitt
Instruktiv sind die Längs- und Querschnitte der Kirche, die den bautechnischen Stand der Vorarlberger Baumeister um 1700 dokumentieren. Das «Teutsche Dach», mit zwei liegenden Stühlen und einer mittleren Hängesäule (für den Querschnitt bitte anklicken) ist über dem Massivgewölbe angebracht, damit dieses in einem bereits gedeckten Bauwerk erstellt werden kann.  
Tannheim4
Die Ansicht der Kirche aus Westen.  
Tannheim3
Die südliche Giebelfront mit dem doppelstöckigen Volutengiebel. Dieses beliebte und noch Reminiszenzen an die Renaissance aufweisende Motiv treffen wir bei Vorarlberger Baumeistern noch mehrfach an.  
Tannheim6
Die Tektonik des Bauwerks mit der Abfolge der Wandpfeiler-Gewölbeübergänge vom Chor in das Langhaus.  
Tannheim5
Der Altarraum mit dem 1727/28 geschaffenen Hochaltar. Gleichzeitig mit der Barockisierung der Ochsenhausener Stiftskirche von Abt Coelestin Frener in Auftrag gegeben, muss der noch unbekannte Schöpfer dieses spätbarocken Meisterwerks im Umkreis der damals in Ochsenhausen tätigen Künstlern gesucht werden. Das Altarblatt (1716) von Johann Georg Bergmüller stammt aus dem Vorgängeraltar. Der Tabernakel ist eine Kopie des 1803 eingeschmolzenen Weingartener Heilig-Blut-Tabernakels.  
Tannheim10
Das Altarblatt von Johann Georg Bergmüller zeigt unter der Muttergottes mit Kind den hl. Michael (in roter Tunika) im Kampf gegen Satan. Links verfolgt der hl. Martin (im Bischofsornat) den Sturz Satans. Unter ihm seine Attribute mit der schreienden Gans.
Bildquelle: Wikipedia by Bene16.
 
Tannheim7
Tannheim8
Die Deckenbilder mit den gemalten Stuckaturen («stucco finto») des Dietenheimer Malers Chrysostomus Forchner entstehen erst 1766. Beginnend mit dem zweiten Joch nach der Empore, sind hier von oben nach unten die Gemälde im Kirchenschiff zu sehen. Im zweiten Joch ist der hl. Sebastian, im dritten Joch ist der hl. Martin als Patron der Tannheimer Kirche und im grossen Bild des «Querhaus»-Joches ist die Muttergottes mit dem hl. Simon Stock und dem hl. Dominikus dargestellt.  

> Erläuterungen zu obigen Deckenbildern (Text Michael Habres).
 

back

Die Deckengemälde von Chrysostomus Forchner unter Mithilfe Franz Anton Mittreuters, 1766/67 in der Pfarrkirche von Tannheim.
Auszug aus der Masterarbeit von Michael Habres 2004.

Text zu den Bildern vom zweiten Langhausjoch bis zum ersten Chorjoch.

20.3.3.2 Zweites Schiffsjoch: Hl. Sebastian – Hl. Felix – Hl. Regula
Auf dem folgenden Hauptfresko ist die Aufnahme des hl. Sebastian in den Himmel dargestellt. Sebastian, durch Brustpanzer, Umhang, geschnürte Sandalen und den im unteren Bildteil dargestellten, mit Federbusch geschmückten Helm als römischer Hauptmann ausgewiesen, ist halb auf einer Wolke und auf seinem Schild sitzend, halb in den Himmel auffahrenddargestellt. Seine Augen sind verzückt zum hell erstrahlenden Himmel gerichtet. Ein Putto zeichnet Sebastian mit den Attributen Siegeskrone und Palmzweig als Märtyrer aus. In seiner Rechten hält der Heilige zwei Pfeile als Hinweis auf das von ihm erlittene Martyrium: Sebastianfiel den Christenverfolgern in die Hände und sollte an einen Baum gefesselt unter dem Beschussmit Pfeilen sterben. Er überlebte jedoch schwer verletzt und wurde von seinen Glaubensbrüdern geborgen – diese Szene ist reliefartig auf dem großen Postament im unteren Bildteil dargestellt. Sebastian wurde jedoch wieder gesund und trat weiterhin für seinen Glauben ein. Als er von seinen Peinigern ein zweites mal ergriffen wurde, erschlugen ihn diese mit Knüppeln, worauf drei unterhalb des Heiligen dargestellte Putten hinweisen: sie stemmen eine Keule in die Höhe. Links von Sebastian deutet ein Engel auf eine Schrifttafel mit der Aufschrift „In Pest protege“ und erinnert somit daran, dass der Heilige seit Alters her besonders als Schutzpatron gegen die Pest angefleht wurde.
Die beiden Fresken links und rechts des Sebastiansbildes zeigen den jeweiligen Inschriften zufolge die heilige Regula und den heiligen Felix. Diese waren der Legende nach adelige Geschwister, die ebenfalls zum römischen Heer gehörten und während der Christenverfolgung für ihren Glauben starben. So werden auch Felix und Regula durch Palmzweige als Märtyrer ausgewiesen, Felix zudem durch Brustpanzer und geschnürte Sandalen als römischer Soldat.

20.3.3.3 Drittes Schiffsjoch: Hl. Martin – Hl. Vitus – Hl. Urban
Das im dritten Schiffsjoch und somit in zentraler Lage angebrachte Fresko zeigt den Tannheimer Kirchenpatron Sankt Martin. Martin wird als im Himmel erscheinender, in vollem Bischofsornat gewandeter Helfer der Armen und Kranken dargestellt. Neben Martin taucht auch im Deckenfresko sein wohl bekanntestes Attribut, die Gans, wieder auf. Ein von zwei Putten gehaltenes Buch deutet möglicherweise auf die bereits im 5. Jahrhundert von Sulpicius Severus verfasste Lebensbeschreibung des Heiligen hin. Vor einer Stufenarchitektur (Brunnen) hat Forchner eine Gruppe Hilfe- und Heilungsuchender positioniert, die Vedute im Hintergrund weist Martin als Patron der Tannheimer Kirche aus. Die rechts der Tannheimer Kirche dargestellten, offenbar aufgeschreckten Pferde, könnten wie die Gans auf eine Martinslegende hinweisen: Martin soll einmal, selbst mit wehendem Gewand auf einem Esel reitend, einigen Rittern hoch zu Ross begegnet sein. Die Pferde der Edelleute scheuten vor Martin, worauf die Ritter abstiegen und begannen, auf den Heiligen einzuschlagen. Als sie weiterziehen wollten, machten ihre Pferde keinen Schritt mehr nach vorn. Sie setzten sich erst wieder in Bewegung, nachdem die Ritter sich bei Martin entschuldigt hatten und dieser ihnen vergeben hatte.
Das Martinsfresko wird zusätzlich zu seiner herausgehobenen Position im Kirchenraum dadurch betont, dass es nicht von einfarbig gefassten Stuckfeldern, sondern von vier Ton-in-Ton-gemalten Bildern gerahmt wird, die vier weitere Legenden aus dem Leben des Heiligen zeigen. Zunächst wird die berühmte Mantelteilung vor den Stadttoren von Amiens illustriert. Daran anschließend, wie der auferstandene Christus dem schlafenden Martin im Traum mit der gespendeten Mantelhälfte erschien.
Auf dem dritten Bild ist dargestellt, wie Martin aus seinem Versteck geholt wurde, in welchem er sich der Bischofswahl entziehen wollte. Ein Priester weist Martin Mitra und Krummstab als Zeichen seines neuen Amtes zu. Die eigentlich zu dieser Geschichte gehörende Gans fehlt, vielleicht deshalb, weil sie sich im Hauptfresko ‚eingeschlichen‘ hat.
Das letzte Bild zeigt den Tod des hl. Martin. Zwei Engelchen über seinem Sterbebett erinnern daran, dass bei Martins Tod Engelsgesang wahrgenommen worden sei. Rechts im Bild macht sich gerade der Teufel davon, der Martin der Legende nach zu sich holen wollte. Der Heilige schickte den Teufel jedoch weg mit der Begründung: „an mir wirst Du nichts Unreines finden.“ Flankiert werden die Martinsbilder durch die wiederum namentlich kenntlich gemachten Heiligen Vitus und Urban in den Stichkappengemälden.
Der hl. Vitus soll als Jugendlicher während der Christenverfolgung für seinen Glauben gestorben sein, auch er ist deshalb mit Palmzweig dargestellt. Der Legende nach wurde er in einem mit siedendem Öl gefüllten Kessel gemartert, weswegen er häufig, wie auch im Tannheimer Fresko, mit diesem Attribut dargestellt ist. Vitus‘ vornehme Kleidung erinnert an seine vermutlich adelige Herkunft.
Auch der um das Jahr 200 gestorbene hl. Urban wird als Märtyrer verehrt und hält deshalb einen Palmzweig in der Hand. Die auf dem Fresko zu seinen Füßen liegenden Insignien Papstkreuz und Tiara weisen darauf hin, dass er einer der ersten Nachfolger auf dem Stuhl Petri war, Weintrauben erinnern daran, dass Urban – sein Festtag fällt auf den 25. Mai, den Endtermin der Weingartenbestellung – als Patron der Winzer verehrt wird.

20.3.3.4 Viertes Schiffsjoch: Maria mit den Heiligen Dominikus und Simon Stock – Hl. Placidus – Hl. Maurus
Das Hauptfresko der ‚Vierung‘ stellt mit seinen Abmessungen von etwa 4,20 m x 6,40 m das größte Gemälde der Kirche dar. Auf ihm fällt der Blick durch eine in der Mitte unterbrochene, perspektivisch gemalte Balustrade auf das Fegefeuer, aus dem drei als Menschen dargestellte arme Seelen um Hilfe flehen. Über dem Fegefeuer stehen oder knien vielmehr links der hl. Dominikus und rechts der hl. Simon Stock. Beide empfangen von der Himmelskönigin Maria jeweils einen besonderen Gegenstand.
Im Falle des hl. Dominikus ist dies ein Rosenkranz, den der Heilige, der Legende nach, während einer Vision von Maria überreicht bekommen habe. Dargestellt wird Dominikus im typischen Ordensgewand des von ihm im 12. Jahrhundert gegründeten Dominikanerordens. Weiter wird der Heilige mit anderen Attributen gekennzeichnet: auf seiner Brust leuchtet ein Stern, wie ihn seine Amme bei seiner Taufe gesehen haben soll. Die Lilie, die ein Engel hinter Dominikus in die Höhe hält, steht sinnbildlich für die Keuschheit des Heiligen.
Zu Füßen des Heiligen erinnert schließlich ein Hund mit einer brennenden Fackel im Maul an die Legende, wonach Dominikus‘ Mutter vor dessen Geburt einen ebensolchen im Traum gesehen habe. Diese Vision wurde dahingehend gedeutet, dass Dominikus die ganze Welt erleuchten werde. Volkstümlich wurde ein den heiligen Dominikus begleitender Hund darüber hinaus immer wieder auch als Sinnbild für den Orden der Dominikaner („Domini Canes“) gedeutet.
Der wiederum ordenstypisch gewandete Karmelitergeneral Simon Stock erhält auf der anderen Seite des Freskos von Maria das Skapulier. Dieses im Fresko in der Hand eines Putto nochmals auftauchende Gewandstück besteht aus zwei Stückchen braunen Wollstoffs, die durch zwei schmale Bänder so miteinander verbunden sind, dass das Ganze über den Schultern getragen werden kann. Pater Stock hatte sich, als der Untergang seines Ordens zu befürchten war, an Maria gewandt und darum gebeten, ihm ein Zeichen ihres Schutzes zukommen zu lassen. Darauf erschien ihm am 16. Juli 1251 die Jungfrau und überreichte ihm das Skapulier mit den Worten: „Es sei ein Zeichen, dass jeder, der mit diesem Gewand bekleidet in der Liebe stirbt, vordem Feuer der Hölle bewahrt bleiben wird.“ Mit diesem Satz erklärt sich auch die Gestaltung des unteren Bildteils mit dem Fegefeuer, das ein gebräuchliches Attribut des hl. Simon Stock darstellt.
Maria, traditionell in Blau und Rot gekleidet, thront von Putten und Engelschören umgeben auf Wolken, das Jesuskind, mit der symbolisierten Weltkugel in der Hand, sitzt auf ihrem Schoß. Ebenfalls der Motivik traditioneller Mariendarstellungen gehören schließlich die 12 Sterne um das Haupt der Gottesmutter sowie die Mondsichel zu ihren Füßen an. Das mittig im Fresko sitzende ‚Heilig-Geist-Loch‘ ist mit einer ocker/gelb gefassten Holzscheibe verschlossen, die lose auf vier eingemauerten Eisenhaken aufliegt und vom Dachraum aus ab-gehoben werden kann. An ihrer Unterseite sind geschnitzte und vergoldete Strahlen sowie eine den Heiligen Geist symbolisierende, versilberte Taube angebracht. Die Öffnung in der Decke ist eindeutig bauzeitlich, da sie an der Gewölboberseite auf gleiche Art und Weise verstärkt und ausgebildet ist wie alle Gewölbegrate und -gurte. Ob die Öffnung außer der Verbildlichung der Geschehnisse am Fest Christi Himmelfahrt – durch das Hochziehen einer Christusfigur – früher weitere Funktionen erfüllte, ist unbekannt.
Bei den beiden in den Nebenfresken dargestellten Heiligen, Placidus und Maurus, handelt es sich – wie allein schon ihre Ordenstracht zeigt – um zwei besonders von den Ochsenhausener Mönchen hoch verehrte benediktinische Ordensheilige, die beide Schüler des hl. Benedikts gewesen waren. Placidus (links) starb der Legende nach auf Sizilien für seinen Glauben. Auf seine Todesart weist das Schwert hin, der Palmzweig in seiner Hand darauf, dass er seinen Glauben mit dem Leben bezahlte.
Der hl. Maurus soll Benedikt als Abt des Klosters Subiaco nachgefolgt sein, darum sein prunkvolles Abtsgewand. In einem kleinen Medaillon, auf das sich der Heilige stützt, wird gezeigt, wie Maurus einst trockenen Fußes über einen See geschritten sei, um seinen ertrinkenden Ordensbruder Placidus zu retten.

20.3.4 Die Gemälde der Chordecke
20.3.4.1 Erstes Chorjoch: Gott-Vater, Gott-Sohn, Heiliger Geist und hl. Benedikt – Evangelisten Matthäus und Lukas

Nach seinen beiden Schülern begegnet dem Betrachter Ordensgründer Benedikt schließlich im ersten Chorfresko persönlich. Ganz im Sinne des Benediktinerordens wird hier der Moment gezeigt, in dem der Heilige in den Himmel aufgenommen wird. Dort wird er von Gott-Vater, Gott-Sohn und Hl. Geist empfangen. Neben dem ordenstypischen Gewand sowie Abtsstab und Mitra weisen noch weitere Attribute auf den hl. Benedikt hin.
Links hält ein Engel einen zersprungenen Kelch mit einer Schlange, ein Hinweis auf die Legende, dass Benedikt mit vergiftetem Wein am Altar zu Tode gebracht werden sollte. Als er über dem Kelch das Kreuzeszeichen machte, zersprang dieser aber.
Rechts des Heiligen hält ihm ein Engelchen ein Buch entgegen, möglicherweise ein Hinweis auf die Benediktsregel, die Grundlage der meisten abendländischen Klöster.
In einem, ebenfalls von einer Putte präsentierten, Ton-in-Ton gemalten Medaillon wird auf eine weitere Begebenheit aus Benedikts Leben Bezug genommen: um gegen seine Begierden und gegen die Versuchungen des Teufels anzukommen, wälzte sich Benedikt der Legende nach in Dornen und in Brennnesseln.
Gerahmt wird das Benediktsfresko von der Darstellung der ersten zwei der vier Evangelisten: links Matthäus, gekennzeichnet mit Buch und Engel, rechts Lukas, gekennzeichnet mit Buch und Stier.

Autor dieses Textauszuges:
Dipl.-Ing. Michael Habres M.A.
Konservator
Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
Prakt. Bau- und Kunstdenkmalpflege, Ref. A III
Hofgraben 4, 80539 München

Mail: Michael.Habres@blfd.bayern.de

back