Die Meister des Bauwerks
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Christian Wiedemann (um 1679−1739) Unterelchingen ok   Baumeister-Architekt 1714   1739
Gaspare Antonio Mola (1684–1749) Coldrerio Tessin     Stuckateur ~1735   ~1745
Franz Martin Kuen (1719–1771) Weissenhorn Wikipedia   Maler, Freskant 1744   1754
Dominikus Hermengild Herberger (1694–1760) Legau bei Memmingen ok   Bildhauer 1744   1745
Franz Joseph Saur (Lebensdaten unbekannt) Ehingen     Fassmaler ~1745   ~1749
Dominikus Bergmüller (1707–1773) Türkheim Wikipedia   Kunstschreiner ~1749   ~1749
Johann Michael Fischer (1692–1766) Burglengenfeld (0berpfalz) ok   Baumeister-Architekt 1750   1740
Johann Baptist Wiedemann (1715−1773) Unterbechingen (Lauingen)     Baumeister-Architekt 1750   1759
Johann Georg Specht (1720–1803) Lindenbegr Allgäu ok   Baumeister-Architekt 1771   1778
Franz Joseph Friedrich Christian (1739−1798) Riedlingen     Bildhauer 1777   1781
Januarius Zick (1730–1797) München ok   Maler, Freskant 1778   1781
Br. Martin Dreyer OSB (1748–1795) Eichenberg (Ochsenhausen) Info   Maler 1778   1783
Benedikt Sporer (1761–1803) Wessobrunn     Stuckateur, Bildhauer 1778   1783
Johann Nepomuk Holzhey (1741−1809) Ottobeuren ok   Orgelbauer 1778   1781
Johann Georg Schnegg (1724−1784) Imsterberg Tirol     Bildhauer 1781   1783
Fidelis Mock (1745-1820) Sigmaringen     Bildhauer 1781   1783


Wiblingen
Ehemalige Benediktinerabtei und Kirche St. Martin

Die Grafen von Kirchberg
Die Grafen des Illergaus, Hartmann und Otto von Kirchberg, stiften gegen Ende des 11. Jahrhunderts umfangreichen Besitz zur Gründung eines Benediktinerklosters. Ihr Eigengut Wiblingen liegt eine Wegstunde nördlich ihrer Stammburg in Oberkirchberg, auf einem im Osten zur Iller abfallenden Hochplateau, wenig südlich der Einmündung de Iller in die Donau. Treibende Kraft der Gründung ist Bischof Gebhard III. von Zähringen.[1] Der ehemalige Hirsauer Mönch, Förderer der Neubesiedlungen von Zwiefalten und Neresheim, besorgt den Gründungkonvent aus St. Blasien. Gebhard III. weiht im September 1093 die Klosterkirche zu Ehren des Frankenheiligen Martin von Tours. Das alte Patrozinium lässt auf eine schon an Ort bestehende Kultstätte schliessen. Die Klosterstifter stehen wie die Zähringer auf der Seite der Welfen und des Papsttums. Ihre Grafschaft, der Illergau, liegt südlich der Donau am Unterlauf der Iller und erstreckt sich von der Roth im Osten bis zur Rot im Westen. Von der staufischen Pfalzsiedlung Ulm trennt sie die noch brückenlose Donau. Die Hauptlinie der Grafen von Kirchberg stirbt 1366 aus.[2] Die Genealogie ist nicht erforscht und gibt in der Klostergeschichte zu Legendenbildungen Anlass. Legendär ist vor allem die Zugehörigkeit der hl. Ita (Ida, Idda) von Toggenburg zur Stifterfamilie.[3] Nach dem Aussterben der Stifterlinie kommt die Schutzvogtei an die Linie Kirchberg-Wullenstetten. Hoch verschuldet müssen die beiden letzten Grafen von Kirchberg ihre Herrschaft Ende des 15. Jahrhunderts an den Wittelsbacher Georg von Bayern-Landshut verkaufen.

1503−1701: Österreich und die Fugger
Die bayrische Herrschaft, nun als Kirchberg-Weissenhorn vereint, wird nach einem gewonnenen Erbfolgekrieg schon 1503 durch den Habsburger König Maximilian konfisziert und gegen 70 000 Gulden Zahlung als widerrufbares Lehen an den habsburgischen Parteigänger Jakob Fugger übergeben. Damit ist Kirchberg-Weissenhorn vorderösterreichischer Landstand und Jakob Fugger Schutzvogt von Wiblingen. Die Abtei hat sich zu diesem Zeitpunkt von einem Niedergang des Klosterlebens im 14. Jahrhundert erholt und wird nach der Einführung der Melker Reform in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert zu einem weit ausstrahlenden spirituellem Zentrum. Die Klosterherrschaft, südlich der Donau zwischen Iller und Rot gelegen, umfasst inzwischen zehn Dörfer.[4] Sie ist jetzt bei Gögglingen durch eine Donaubrücke mit weiteren vorderösterreichischen Herrschaften und dem Gebiet der Abtei Söflingen verbunden.[5] Wiblingens Herrschaft kann aber allerdings weder in Grösse noch in Macht einen Vergleich mit den nahen Reichsabteien Roggenburg, Marchtal oder Ochsenhausen wagen. Deren Reichsunmittelbarkeit ist für Wiblingen unter der neuen Landesherrschaft Österreichs unerreichbar geworden. Ein erneuter und nun auch wirtschaftlicher Niedergang der Abtei setzt mit dem Beginn der Reformation ein. Das nahe Ulm, im Spätmittelalter zur wichtigen Reichsstadt gewachsen, nimmt 1530 die radikale Lehre des Zürcher Reformators Zwingli an und bildet erst nach der 1546 erfolgten Kapitulation am Ende des Schmalkaldischen Krieges keine direkte Gefahr mehr. Der geistige und wirtschaftliche Verfall Wiblingens setzt allerdings schon vor diesen kriegerischen Ereignissen ein. Er kann erst 1572 durch den von der Schwäbischen Benediktinerkongregation[6] eingesetzten Abt Jodokus Todt gestoppt werden.[7] Der Reformabt beginnt mit dem Neubau des Klausur-Ostflügels auch der Erneuerung des mittelalterlichen Baugefüges. Abt Gottfried Munding führt ab 1610 den Klosterneubau mit dem Süd- und dem Nordflügel zu Ende.[8]
1630 hält sich Gabriel Bucelin in Wiblingen auf.[9] Seiner präzisen Klosterdarstellung verdanken wir die einzige aussagekräftige Darstellung der alten Klosteranlage.[10] Sie zeigt südlich der romanischen Stiftskirche eine dreiflügelige Konventanlage, deren Ostflügel nach Süden verlängert ist und deren westlicher Gast- und Abteiflügel mit zwei Volutengiebel und Erker ausgezeichnet ist. Die Kirche, eine dreischiffige Basilika mit Querschiff, ist in Grösse und Architektur mit Alpirsbach vergleichbar, hat aber einen markanten Vierungsturm. Im Westen ist der Anlage der Ökonomiehof mit dem Torbau vorgelagert.
Im seit 1632 auch in der Klosterherrschaft wütenden Dreissigjährigen Krieg flüchten die Konventualen in Klöster Österreichs und der Schweiz. 1633−1634 ist Wiblingen im Besitz eines schwedischen Generals. Von Einquartierungen der Kaiserlichen wird es dank der Berufung des Abtes als Feldprediger verschont. Erst gegen Ende Kriegsende legen schwedische Truppen eine Brand, der aber noch rechtzeitig gelöscht werden, sodass die nur wenig beschädigte Klosteranlage nach Friedenschluss wieder besiedelt werden kann. Schwieriger gestaltet sich der Wiederaufbau in der Herrschaft, wo in einzelnen Orten fast die ganze Bevölkerung ausgelöscht ist. Ende des 17. Jahrhunderts hat sich das Kloster wieder erholt und kann sich 1701 um den Preis verschiedener Güter von der Vogtei der Fugger von Kirchberg-Weissenhorn befreien. Wiblingen hat jetzt die Hochgerichtsbarkeit über seine Untertanen,[11] bleibt aber vorderösterreichischer Mediatstand.

Abt Modest I. Huber plant und beginnt den Klosterneubau
Der seit 1692 regierende Abt Modest I. Huber steht einem finanziell gefestigten Kloster vor und kann trotz grossen Belastungen im Spanischen Erbfolgekrieg mehrere Dörfer und Herrschaften kaufen. Er wendet dafür bis 1711 fast 80 000 Gulden auf. Erst jetzt beginnt er, sicher in Kenntnis der Klosterneubauten in Obermarchtal, Zwiefalten und Einsiedeln, ebenfalls mit Planungen für einen vollständigen Neubau der Klosteranlage. Er beruft den in Elchingen wohnhaften Baumeister Christian Wiedemann, der seit 1702 auch die Wallfahrtskapelle St. Antonius in Hüttisheim für den Wiblinger Abt baut.[12] Baubeginn nach der Planung Wiedemanns ist 1714. Unverkennbar sind die Vorbilder der Idealpläne von Tegernsee, Wessobrunn und Einsiedeln, die alle schon aus Stichen bekannt sind.[13]  Einsiedeln kennt der Prior P. Meinrad Heuchlinger zudem aus eigener Anschauung.[14]  Wahrscheinlich ist der Abt auch über die laufenden Planungen des in der Kongregation verbündeten Klosters Weingarten informiert.[15]  Alle diese Klöster sind von absolut symmetrischer Grundrissform mit ein bis zwei Höfen und einer eingeschlossenen Kirche in der Mittelachse.[16] Wiedemann plant zwei Höfe beidseits der Kirche. Das Konventgeviert mit einer geplanten Gesamtlänge von 123 Metern und einer Tiefe von 89 Metern erreicht damit die Grösse der von Enrico Zuccalli geplanten und von Antonio Riva ausgeführten Abtei Tegernsee.[17] Die Wirtschaftsgebäude des alten Klosters Wiblingen liegen um einen grossen westlichen Eingangshof. Wiedemann plant sie, nun völlig symmetrisch mit je zwei grossen Vierflügelbauten beidseits des Eingangshofes, wieder im Westen. Mit einer Gesamtlänge von geplanten 230 Metern und einer Tiefe von 70 Metern belegen sie zwar nicht mehr Fläche als die Wirtschaftsbauten anderer grossen Barockabteien, sind aber durch ihre Lage, ihre ausgewogene Anordnung und auch wegen ihrer bewussten Gleichstellung mit dem flächenmässig kleineren Konventbau wichtiges städtebauliches Element der Wiblinger Klosteranlage. Die Bevorzugung der Wirtschaftsbauten entspricht dem ökonomisch denkenden und handelnden Abt Modest I. Nicht erstaunlich, dass er mit dem Neubau des Brauhauses beginnt, das zur Zeit des späteren Kirchenneubaus im Jahr 10 000 Gulden Reingewinn einbringt. Nach einem wahrscheinlich finanzbedingten Unterbruch werden die Wirtschaftsbauten durch Wiedemann 1724–1727 fertig erstellt. Als letztes folgt 1728 das Torgebäude. 1729 stirbt Abt Modest I. Huber.

Abt Meinrad Hamberger setzt den Klosterneubau fort
Der neugewählte Abt Meinrad Hamberger ist  ein Neffe des verstorbenen Abtes. 1732 beginnt er mit dem eigentlichen Konventbau nach Plänen von Christian Wiedemann und überträgt ihm die weitere Ausführung. Begonnen wird im Westflügel des Nordtraktes, dem Gästeflügel. Hier erstellt Gaspare Mola aus Coldrerio den Régencestuck.[18] Erst 1737 folgt der Nordtrakt. Der breite Mittelrisalit beherbergt im Parterre die Schule, im ersten Geschoss den Gästespeisesaal und im Ostrisalit die Abtei. Im zweiten Geschoss und dem Mezzanin ist die Bibliothek untergebracht. Als 1739 Christian Wiedemann stirbt, übernimmt sein Sohn Johann die Leitung der Bauarbeiten, die 1740 beendet sind. Der nun beginnende Ausbau steht schon im Zeichen des Rokoko. Grossen Wert legt der Abt auf die Bibliothek. Er ist Initiant einer der schönsten Bibliotheksäle des Rokoko und setzt mit seinem ikonographischen Programm mit antithetischen Themen um die «Sapientia divina» Massstäbe.

Die Bibliothek
Mitreissende Bewegtheit und eine leuchtende Farbenpracht empfangen den Besucher der Bibliothek von Abt Meinrad. Es sind die Schwingungen der umlaufenden Emporen und ihrer tragenden Stuckmarmorsäulen, alle rotbraun oder bläulich marmoriert, die weissen überlebensgrossen Freifiguren zwischen den Säulenpaaren und die Vortäuschung einer Öffnung zum Himmel im Fresko der Muldenkuppel, die derart wirken. Stuckateur wird, wahrscheinlich zu Unrecht, wieder Gaspare Mola genannt. Der für die überraschende Farbigkeit mitverantwortliche Fassmaler ist Franz Joseph Saur aus Ehingen, über den sonst nichts bekannt ist. Der junge Franz Martin Kuen aus Weissenhorn malt 1744 das Deckenfresko und die Bilder an der Unterseite der Empore.[19] Ist er auch der eigentliche gestalterische Leiter? Leider wissen wir über den Auftragsablauf in Wiblingen so gut wie nichts. Dominikus Hermengild Herberger aus dem fürstkemptischen Legau ist 1745 Schöpfer der weissen Freiplastiken.[20] Noch 1750 wird stuckiert, nun sicher nicht mehr von Mola. 1757 können die 15 000 Bücher Einzug halten. Ihnen widmet der Abt den Schriftzug «in quo omni thesauri sapientiae ac scientiae» über dem äusseren Eingangsportal, hinter dem «alle Schätze der Weisheit und des Wissens liegen».

Johann Michael Fischer setzt die Kirchenachse neu und baut den verlängerten Ostflügel
Schon 1750 fährt Abt Meinrad mit dem Neubau fort. Für den Ostflügel, den eigentlichen Klausurbau, zieht er den schon berühmten Baumeister Johann Michael Fischer bei, der soeben die benachbarte Stiftskirche Zwiefalten gebaut hat und an der Stiftskirche in Ottobeuren arbeitet.[21]   Vermutlich geht dieser Ostflügelplanung Fischers eine Kirchenplanung voraus. Im Regensburger Zentralarchiv der Fürsten von Thurn und Taxis liegt bei den Beständen aus dem Kloster Neresheim der Plansatz eines neuen, detailliert ausgearbeiteten Kirchenprojektes, das sehr präzise die schon gebauten West- und Nordflügel berücksichtigt und dessen Mittelachse mit dem heutigen Bauwerk übereinstimmt. Aufgrund der architektonischen Verwandtschaft mit Zwiefalten und Ottobeuren scheint das Projekt aus dem Umfeld Fischers zu stammen. «Das Langhaus ist der Inbegriff eines kirchlichen Festsaals; es ist eine bereicherte Neufassung von Zwiefalten und im Rang sogar Neresheim vergleichbar», schreibt Bernhard Schütz über diese Planung.[22] Die Zuschreibung der Zeichnungen an Fischer wird neuestens bestritten.[23] Diese umstrittenen Pläne, die durch den Baumeister Johann Baptist Wiedemann nach Neresheim kommen, sind aufgrund der Analyse spätere Nachzeichnungen und Neuinterpretationen, vielleicht von Wiedemann selbst nach Entwürfen Fischers neu gezeichnet.[24] Der fragliche Kirchengrundriss zeigt weit in die Innenhöfe vorstehenden Querhaus-Konchen, die rund 17 Meter breiter als das Kirchenprojekt Christian Wiedemanns von 1732 sind. Wie in Zwiefalten sind zwei Osttürme und eine frei vorstehende, bewegt ausgebildete Westfassade geplant. Im Anschlussbereich an den schon gebauten Westflügel im Norden benötigt die neugeplante Kirche sechs Meter mehr Platz. Daraus ergibt sich die heute sichtbare Achsverschiebung nach Süden und die Verlängerung des Ostflügels um rund 12 Meter. Ohne ein bereits 1750 vorliegendes Kirchenprojekt «Fischer» ist diese Verlängerung nicht vernünftig erklärbar.[25] 1760 ist der Ostflügel bezugsbereit. Die Planung Fischers für den Ostflügel ist unbestritten, auch ein Honorar von 150 Gulden ist verbucht. Dem von Wiedemann vorgegebenen Mittelrisalit, in dem sich im zweiten Obergeschoss der zweigeschossige Kapitelsaal befindet, setzt er einen nochmals erhöhten und im Grundriss vorspringenden polygonalen Baukörper vor. Virtuos gestaltet Fischer vor allem dessen oberen Abschluss mit dem Dachbereich. Hier, im Kapitelsaal malt nach 1754 Franz Martin Kuen sein Deckenfresko mit dem Thema der Wiblinger Kreuzreliquie. Wie die künstlerische Ausstattung des ganzen Ostflügels, hat auch das Fresko und der Kapitelsaal unter der Kasernennutzung des 20. Jahrhundert stark gelitten. 1762 stirbt Abt Meinrad Hamberger. Unter seinem Nachfolger, dem 51-jährigen vorherigen Prior und nun neuen Abt Modest II. Kaufmann unterbleibt der nun anstehende Kirchenneubau. Abt Modest II. stirbt schon 1768 und wird als letzter Abt in der alten Kirche begraben.

Abt Roman Fehr überträgt Johann Georg Specht den Kirchenneubau
Als der neugewählte, 40-jährige Abt Roman Fehr 1768 sein Amt antritt, ist seit wenigen Jahren der aufgeklärt-absolutistisch herrschende Kaiser Joseph II. oberster Landesherr. Schon bald wird er über 700 «volkswirtschaftlich unnütze» Klöster aufheben und ihren Besitz einziehen. Die französisch geprägte Aufklärung hat inzwischen auch in geistlichen Kreisen viele Anhänger. Nicht nur in Salem oder St. Blasien ist der neue «goût grecque» als architektonisches Zeichen der Aufklärung willkommen. Mindestens in der Ablehnung der «lächerlichen Zierarten», wie der bayrische Kurfürst das Verbot von Rokokostuck begründet, stimmt ihm sicher auch der neue Abt von Wiblingen überein, der allerdings sonst alle aufklärerischen Tendenzen unterdrückt. Als er, trotz der politisch äusserst negativen Zeichen für die geistlichen Herrschaften und speziell für die Klöster in Süddeutschland, den Kirchenneubau 1771 vom Kapitel genehmigen lässt, gehört der spätbarocke Kirchenentwurf aus 1750 schon einer anderen Zeit an. Die neue Kirche plant ihm jetzt ein Baumeister aus Lindenberg im Allgäu, Johann Georg Specht.[26]  Es ist Spechts erster grosser Kirchenbau. Er muss sich in der westlichen Langhausbreite an die vorgegebenen Masse Fischers von 1750 halten, vereinfacht aber dessen bewegten Longitudinalbau in einen von einer Vierungsrotunde beherrschten Kirchensaal. Erkennbar im neuen Projekt ist der «Mass»-gebende Grundriss von 1750, aber auch Elemente der Stiftskirchenplanung Bagnatos in St. Gallen, die Specht zu kennen scheint.[27] Auf die in St. Gallen, Zwiefalten und Ottobeuren noch statisch notwendigen Wandpfeiler kann Specht zu Gunsten der gewünschten klassischen Saalwirkung verzichten, denn freitragende Gewölbe sind in Wiblingen schon in den Nachzeichnungen des Fischer-Entwurfes kein Thema mehr.[28]  Nebst Kosteneinsparungen sind auch die nun immer mehr gewünschten Flachmulden ein Grund für den Verzicht auf eine jahrhundertalte selbstverständliche barocke Gewölbebautradition.
Überraschend am Projekt Specht sind die zwei rund 73 Meter hohen Türme, die er nun nicht mehr gemäss dem Projekt «Fischer» am Chor anbringt, sondern sie abgewinkelt an die Westfront setzt. Diese machtvolle Demonstration von Grösse muss die rational argumentierenden aufklärerischen Zeitgenossen irritieren. Die Türme werden, das sei vorweggenommen, nie gebaut. Nur die nüchternen Turmsockel bleiben und geben der Westfront Festungscharakter.
Der eigentliche Kirchenbau beginnt 1772. Specht führt ihn in der traditionellen Rolle als verantwortlicher Unternehmer im Akkord durch. Schon 1774 kann er für den Dachstuhl seinen späteren Schwiegersohn Johann Georg Stiefenhofer verpflichten, das Richtfest wird Anfang April 1777 gefeiert. Im gleichen Jahr erhält Specht die letzte Zahlung und Abfindung. Die Fertigstellung seiner geplanten Doppelturmfront ist schon zu diesem Zeitpunkt abgeschrieben.

Prior Amandus Storr
1776 setzt Abt Roman den 33-jährigen, hochbegabten P. Amandus Storr als Prior ein.[29] Er überträgt ihm auch die Organisation und Leitung der Künstler für die Ausstattung des neuen Kirchenbauwerks. Storr kann als spiritus rector der klassizistischen Wiblinger Innenraumgestaltung betrachtet werden. Er ist nach seine Studien in Dillingen und Ingolstadt seit 1768 als Professor und Bibliothekar wieder in Wiblingen wird als klarer Verfechter der Klassik den Abschied vom Barock schon während der Bauphase entscheidend mitgeprägt haben. Er vermittelt für die weiteren Arbeiten den in Ehrenbreitstein wohnhaften kurtrierischen Hofmaler Januarius Zick.[30]  Die letzte Freskenarbeit von Zick liegt zwar 17 Jahre zurück. P. Amandus muss trotzdem von Zick und dessen neuesten Arbeiten in Öl derart überzeugt sein, dass dieser 1778 einen Vertrag über die Gewölbefresken von 7500 Gulden unterzeichnen kann. Ein Zusatzvertrag über weitere 1500 Gulden regelt die Lieferung von Hochaltarblatt und zwei Seitenaltarblättern, aber auch die Leitung der Stuckateure und Bildhauer, wofür er «die Verfertigung der notwendigen Risse und Zeichnungen zum Choraltar, den übrigen Altären, Beichtstühlen, der Galerie, Kanzel und Oratorien, alles nach antiquem Geschmack und den anzugebenden Gedanken auf sich nehmen» muss.

Januarius Zick als Bau- und Verzierungsdirektor
Zick arbeitet bis 1781 in Wiblingen. Er ist als «Bau- und Verzierungsdirektor» Gestalter des ganzen Innenraums. Seinen Entwürfen haben sich auch die anderen Künstler zu fügen. Seine grösseren Kuppel- und Deckenfresken sind noch immer barock-illusionistische Darstellungen mit dem Hauptthema der Kreuzauffindung.[31] Aber sie bilden nun nicht mehr, wie im Rokoko, ein Ensemble im Gleichklang mit Stuck und Plastik, sondern sind als Bildwerke mit breiten und gold-gelb gefassten Rahmen klar von der römisch-korinthischen Kolossalordnung des Stuckes getrennt. Der Stuckateur ist aus dem Gewölbebereich verdrängt und nur noch für die Gesimse und Kapitelle nach Entwürfen Zicks zuständig. Über dem Kranzgesims im Kuppelraum und im Schiff verbindet Zick die Zwischenzone zu den gelben Bildrahmen mit Grisaille- Architekturmalerei. Im Kuppelgewölbe stellt sie eine klassische Architektur auf Goldhintergrund dar. Besser als mit diesen an die Krümmung geklebt wirkenden, auf jede Illusion verzichtenden Scheinarchitekturen kann der Abschied vom Barock nicht illustriert werden. Für die Stuckaturen und Stuckmarmorarbeiten zieht Zick den Wessobrunner Benedikt Sporer bei.[32] Die raumdominierenden Vergoldungen erstellt der Wiblinger Konventualen Br. Martin Dreyer.[33]

Ausstattungen 1777−1783
Die Gestaltung der Deckenzone wirkt derart übermächtig, dass die weiteren, rein klassizistischen Ausstattungen im sogenannten Zopfstil erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden. Schon seit 1777 arbeitet Franz Joseph Friedrich Christian, der Sohn und Werkstattnachfolger des Riedlinger Bildhauers Johann Joseph Christian, am Chorgestühl.[34] Im sonst spröden Gestühl mit einem von Januarius Zick entworfenen Orgelprospekt-Aufsatz knüpfen die vergoldeten Dorsalreliefs noch an barocke Traditionen an. Die grosse Chororgel mit 24 Registern wird 1780−1781 von Johann Nepomuk Holzhey erstellt.[35] Der Hochaltar rahmt in der Form einer klassischen Säulenädikula mit Dreiecksgiebel das Kreuzigungsbild von Zick. Seine Stuckmarmorausbildung und die etwas zu grossen Evangelisten des Tiroler Bildhauers Johann Schnegg[36]  geben ihm Gewicht, während von den sieben Altären in der Rotunde in erster Linie der freigestellte Kreuzaltar dank des mächtigen spätgotischen Triumphbogenkreuzes aus dem Ulmer Münster wahrgenommen wird. Als die Kirche 1783 geweiht wird, steht der Kreuzaltar mit der Kreuzreliquie noch vor dem schmiedeeisernen Chorgitter, die Ulmer Kruzifixe hängen noch nicht in der Kirche, und im Chor steht direkt hinter dem Kreuzaltar das Abtsgestühl mit den drei Sitzen von Abt, Prior und Subprior.[37]  Zwei weitere Rotundenaltäre, ebenfalls freigestellt, zeigen Blätter von Januarius Zick, auf ihrer Rückseite von Br. Martin Dreyer. Bescheidene weisse Stuckplastiken von Johann Schnegg zieren die übrigen Altäre der Rotunde. Auch die weiteren sechs Altäre des Schiffes und seiner Seitenkapellen, teilweise mit Altarblättern von Br. Martin Dreyer, sind ohne raumbildende Wirkung. Wichtigste Ausstattungsstücke im Schiff sind die Kanzel, geschaffen von Benedikt Sporer und das Gegenstück über dem Taufstein mit der Apostelgruppe von Johann Schnegg. Die Apostelplastiken auf den Galerien sind Arbeiten des Fidelis Mock aus Sigmaringen.[38]
Seit der Übernahme der Arbeiten durch Januarius Zick 1778 bis zur Einweihung 1783 sind unter seiner gestalterischen Leitung demnach fünf weitere Künstler-Werkstätten an der Fertigstellung tätig. Nebst den erwähnten Künstlern Sporer, Christian, Mock, Schnegg und Dreyer muss hier noch die Schreinerwerkstatt des Christian Unsöld erwähnt werden, der das Kirchengestühl und die 12 Beichtstühle verfertigt.

Der Josephinismus als Vorbote der Säkularisation
Die feierliche Einweihung der Stiftskirche von Wiblingen im September 1783 findet in einem politischen Umfeld statt, das für die Klöster keine Zukunft sieht. Schon 1782 führt Kaiser Joseph II. in seinen österreichischen Ländern klosterfeindliche Massnahmen ein. In Süddeutschland hebt er 21 Frauenklöster auf, die gleiche Anzahl Männerklöster stehen seiner Abschussliste. Diese geplante Aktion führt er aber bis zu seinem 1790 erfolgten Tod nicht durch, vor allem weil sich die Einnahmen aus dem Verkauf der aufgehobenen Frauenklöster niederer als erwartet herausstellen. Die nachfolgenden österreichischen Herrscher heben zwar die josephinischen Sanktionen wieder auf, aber die Meldungen der Flüchtlinge aus Frankreich und die auch bald beginnenden Koalitionskriege lassen nicht an eine schnelle Fertigstellung der Klosteranlage denken. Zudem werden nach dem Kirchenneubau, der mit 130 000 Gulden abgerechnet wird und der im Durchschnitt knapp 7000 Gulden pro Jahr gekostet hat, kaum neue  Mittel für einen sofortigen Weiterbau bereitstehen, auch wenn die Abtei Ende des 18. Jahrhunderts kaum so unverantwortlich wirtschaftet, wie es der Historiker Raimund Waibel im offiziellen Sonderheft der Schlösser Baden-Württembergs salopp darstellt.[39] So zeigt sich Wiblingen gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch unvollendet, zwar mit jetzt abgebrochener alter Klosterkirche, aber noch ohne die an ihrer Stelle geplanten Neubauten. Der Konventuale P. Michael Braig stellt den Zustand in einer Vogelschauansicht um 1805 dar.

Säkularisation
Als 1798 Bauabt Roman Fehr stirbt, hat die Französische Revolution schon auf die nahe Schweiz übergegriffen. Aus der aufgelösten Fürstabtei St. Gallen und aus Mariastein flüchten Konventualen nach Wiblingen. Auch der Fürstabt von Muri und der Abt von Rheinau mit seinem Bibliothekar suchen kurzfristig in Wiblingen Zuflucht.[40] Sie fühlen sich in österreichischem Gebiet sicherer als in der Schweiz. Aber schon 1800 muss auch Abt Ulrich Keck aus Wiblingen flüchten, als die siegreichen Franzosen unter Napoleon die vorderösterreichischen Länder überrennen und die wertvollsten Bände der Klosterbibliothek nach Paris überführen. Mit dem Übertritt der Herrscher von Bayern, Baden und Württemberg in das napoleonische Lager ist auch das Schicksal der Abtei besiegelt. Die verbliebenen Gegner Napoleons verlieren im Oktober 1805 die Schlacht von Elchingen. Die neuen süddeutschen Herrscher von Napoleons Gnaden streiten sich in der Folge gierig um die Herrschaft Wiblingen. Als erster nimmt im November 1805 der Kurfürst von Baden, seit 1803 im Besitz der nahen ehemaligen Reichsstadt Biberach, von Wiblingen Besitz. Die badische Besatzung wird schon drei Tage später von bayrischen Truppen wieder vertrieben. Am letzten Tag des Jahres kommen auch noch die Württemberger, ziehen sich aber nach einem Scharmützel mit einigen Toten wieder zurück. Inzwischen hat der bayrische König schon Anweisungen zur Verwertung des Wiblinger Kirchensilbers getroffen, und als 1806 die Herrschaft Wiblingen im Pressburger Frieden an das Königreich Württemberg fällt, ist das Kloster mit Ausnahme der offensichtlich nicht begehrten Bücher vollständig ausgeplündert. Der reiche Bücherbestand der Bibliothek findet selbst in der Hofbibliothek in Stuttgart kaum Interesse und wird in der Folge verschleudert.[41] Die Wiblinger Klostergebäude sind nach einem Umbau bis 1808 zur Residenz von Herzog Heinrich, einem Bruder des Königs. Der Abt und die verbleibenden 30 Konventualen müssen das Kloster vorher unter unwürdigen Umständen verlassen, nur rund die Hälfte findet Pfarr- oder Lehrerstellen in der Heimat, die anderen sterben im Exil. Die ehemalige Stiftskirche wird Pfarrkirche mit Unterhaltspflicht durch Württemberg.

Schloss und Kaserne Wiblingen
Mit dem Einzug des Württembergischen Herzogs Heinrich wird unter Strafe verfügt, dass jedermann das ehemalige Kloster nun «Schloss Wiblingen» nennen muss. Die herzogliche Familie und ihre Dienerschaft bewohnen die Räume im ersten Obergeschoss der ehemaligen Gast- und Konventflügel. Im Erdgeschoss und in den ehemaligen Wirtschaftsbauten richtet sich das Militär ein. Schon 1822 zieht Herzog Heinrich in ein Stadtpalais in Ulm. Nun werden die Räume im zweiten Obergeschoss bei der Bibliothek als Pfarrwohnung hergerichtet und der Rest für Verwaltungszwecke genutzt. 1848 erfolgt der Umbau zur Kavalleriekaserne. Das Offizierskasino wird im ehemaligen Kapitelsaal eingerichtet. Nach 1913 ist Wiblingen Standort eines Bataillons des württembergischen Infanterie-Regimentes 127. Für die Unterbringung müssen zusätzliche Räume geschaffen werden. Es ist ein grosser Glücksfall, dass nun das Kriegsministerium beschliesst, die Neubauten entsprechend der fehlenden Süd- und Südwestflügel gemäss dem Plan Wiedemann zu errichten. Dabei wird vor allem auf die Übernahme der barocken Fassaden geachtet, sodass Wiblingen nach der Bauvollendung 1917 den Eindruck einer geschlossenen barocken Anlage erweckt, bei deren Kirche lediglich die Türme fehlen. Die Kasernennutzung dauert bis 1945.

Heute
1927 wird Wiblingen nach Ulm eingemeindet. Der Bau von neuen Strassenverbindungen und Brücken nach dem Zweiten Weltkrieg sorgt für den Umstand, dass das ehemalige Klosterdorf heute nicht nur administrativ zu Ulm gehört. Immerhin stellen Iller und Donau, auch deren Auenwälder noch heute ein natürliches Hindernis für eine völlige Einvernahmung durch das autogerecht wiederaufgebaute Ulm dar.
Im ehemaligen Kloster wird nach 1945 in den südlichen, neuen Flügeln ein Alters- und Pflegeheim eingerichtet. In anderen Teilen, auch in den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden, ist heute eine Akademie für Gesundheitsberufe untergebracht. Im ehemaligen Gästeflügel ist seit 2006 in teilrestaurierten Räumen ein Klostermuseum eingerichtet. Der Bibliothekssaal ist noch bis Ende der 1960er-Jahre nur über die Pfarrwohnung zugänglich, wird 1957 restauriert und ist heute im Rahmen des Museumsbesuches frei zugänglich. Die ehemalige Klosterkirche und heutige Pfarrkirche St. Martin wird letztmals 1973 innen umfassend restauriert.

Pius Bieri 2011

Anhang:
Anhang1   Die Wiblinger Wappen im 18. Jahrhundert und die Heilig-Kreuz-Reliquie
Anhang2   El Escorial und die barocken Fürstabteien in deutschen Ländern

 

Benutzte Einzeldarstellungen:
Braig, Michael: Kurze Geschichte der ehemaligen vorderösterreichischen Benediktinerabtei Wiblingen in Schwaben, Isny 1834 (redigierte Neuauflage Weissenhorn 2001).
Paulus, Karl Eduard: Beschreibung des Oberamtes Laupheim. Stuttgart 1856.
Münch, Ingrid: Kloster Wiblingen. Führer der Staatlichen Schlösser und Gärten. München und Berlin 1999.
Purrmann, Frank: Die Regensburger Planrisse für die Abteikirche Wiblingen: Forschungsrevision und Vorschläge zur Neubewertung, in: «architectura» Jahrgang 29. München und Berlin 1999.
Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hrsg.): Wiblingen, Kloster und Museum. Stuttgart 2006.
Hosch, Hubert: Wiblingen, in: Süddeutsches Barock und Rokoko in Vergangenheit und Gegenwart. Internetpublikation 2012.

Links:
http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_45827#1
http://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Wiblingen
http://de.wikisource.org/wiki/Beschreibung_des_Oberamts_Laupheim

Anmerkungen:

[1] Gebhard III. von Zähringen, Mönch in Hirsau und 1084−1110 Bischof von Konstanz, ist ein grosser Förderer der Hirsauer Reform. Zusammen mit dem Abt von Petershausen, Dietrich von Wülflingen, führt er vorerst die Reform in Peterhausen selbst durch, dann in Rheinau, gründet Mehrerau, ist Mitgründer des Hausklosters St. Peter und Alpirsbach im Schwarzwald, und durch seinen Petershausener Abt Dietrich an der Neubelebung von Zwiefalten und Neresheim beteiligt. Er weiht im August 1093 die Kirche seines Hausklosters St. Peter im Schwarzwald, im September 1093 Wiblingen und im gleichen Monat das von St. Blasien gegründete Priorat Ochsenhausen. Seine Familie steht auf der Seite der Welfen. Sein Bruder Berthold II. ist 1092−1098 Herzog von Schwaben.

[2] Nach der Darstellung in der Klostergeschichte von Michael Braig schon 1220.

[3] Die Inklusin von Fischingen wird demnach 1160 auf Kirchberg als Tochter von Eberhard I. geboren, heiratet 1179 Heinrich von Toggenburg, wird vom Toggenburger aus der Stammveste bei Fischingen in die Tiefe geworfen und überlebt wundervoll. Die in der Klostertradition Wiblingens als Mitglied der Stifterfamilie verehrte Fischinger Heilige hat zwar im 12. Jahrhundert gelebt, allerdings eher als geborene Gräfin von Thierstein-Homberg und erste Gemahlin des Diethelm von Toggenburg (gestorben um 1160). Ihr Sohn, ebenfalls mit dem Namen Diethelm (gestorben um 1207) ist 1192 Gründer der Johanniterkomturei Bubikon und liegt dort begraben. Zudem gibt es keinen Heinrich in der Genealogie der Toggenburger.

[4] Zu den Stiftungen Wiblingen, Donaustetten, Gögglingen und Harthausen kommen im 14. und 15. Jahrhundert Bihlafingen, Hüttisheim, Steinberg mit Essendorf Stetten und Weinstetten. In Gögglingen verliert Wiblingen schon früh Herrschaftsrechte an Ulm.

[5] Die Klarissinnenabtei Söflingen (nach 1773 Reichsabtei) hat bedeutendes Herrschaftsgebiet direkt vor der Reichsstadt Ulm. Wiblingen ist mit Söflingen durch diverse geistliche Bündnisse verbunden. Für das Benediktinerinnenkloster Urspring bei Blaubeuren, nur vier Wegstunden von der Gögglinger Brücke entfernt, ist nicht Wiblingen, sondern St. Georgen im Schwarzwald zuständig.

[6] Schwäbische Benediktinerkongregation, 1568 als Zusammenschluss der Klöster Ochsenhausen, Isny, Sankt Georgen, Weingarten, Wiblingen und Zwiefalten gegründet. In der nachfolgend 1603 gegründeten Oberschwäbischen Benediktinerkongregation ist auch Petershausen und Mehrerau Mitglied. 1782 müssen Wiblingen und Mehrerau auf Befehl des Kaisers Joseph II. austreten und zusammen mit St. Peter im Schwarzwald, St. Georgen im Schwarzwald, Villingen und St. Trudpert, sowie ausnahmsweise mit der Zisterzienserabtei Tennenbach die Schwäbische Kongregation zum Hl. Joseph gründen.

[7] Abt Jodokus Todt (1541−1589), von Weingarten, Konventuale in Ochsenhausen, Abt in Wiblingen 1572−1589.

[8] Abt Gottfried Munding (reg. 1616−1618) aus Obermarchtal.

[9] Gabriel Bucelin (1599−1681), Mönch in Weingarten, ist Kartograph, Zeichner und Liebhaberarchitekt,

[10] Die Bauforschung über das vorbarocke Wiblingen ist unzureichend. Die Hauptquelle, eine Dissertation von Gustav Bölz (Typoskript, Stuttgart 1922), existiert nur noch in einem vervielfältigten Exemplar. Andere spätere Beiträge sind unzugänglich. Die Gesamtgeschichte Wiblingens stützt sich noch heute auf die 1834 erschienenen Klostergeschichte des ehemaligen Konventualen Michael Braig.

[11] 3250 Untertanen um 1800.

[12] Christian Wiedemann (1678−1739), Baumeister und Stuckateur, ab 1711 in Oberelchingen wohnhaft.

[13] Tegernsee und Wessobrunn werden in Stichen von Michael Wening in der Topographia Bavariae 1701 veröffentlicht. Einsiedeln folgt 1708 als Stich von Kilian in Augsburg.

[14] P. Meinrad Heuchlinger (1654−1716), aus Tannhausen, Verfasser der Wiblinger Annalen, vielseitiger Gelehrter. «Er war sowohl für Wiblingen als für das Stift Einsiedeln wichtiger Sachwalter» schreibt August Lindner 1883.

[15] Hier ist Franz Beer II seit 1700 mit Abt Sebastian Hyller in Kontakt und liefert 1714 die Ausführungsplanung für die Kirche nach einem 1713 erstellten Riss von Johann Jakob Herkomer.

[16] Den Bauherren und Planern von Wiblingen und andere symmetrisch geplante Fürstabteien des Barock wird populistisch vereinfachend die Planung nach dem Schema des spanischen Königsschlosses El Escorial unterstellt. Siehe dazu die ausführliche Replik «El Escorial und die deutschen Fürstabteien des Barock» im Anhang.

[17] Wiblingen, zwei Höfe, Masse der Planung in Meter: Front 123 / Tiefe 89 (100 %). Tegernsee, zwei Höfe: F 137 / T 83 (103 %). Wessobrunn, zwei Höfe: F 93 / T 83 (70 %). Einsiedeln, vier Höfe: F 133 / T 152 (185 %). Weingarten, zwei Höfe: F 188 / 120 (200 %).

[18] Gaspare Mola (1684–1749) aus Coldrerio im Tessin. Er arbeitet 1727−1729 auf der Baustelle Wiedemanns in der Stiftskirche Ochsenhausen.

[19] Franz Martin Kuen (1719−1771) aus Weissenhorn, ist Schüler von Johann Georg Bergmüller (1688−1762) in Augsburg. Nach der Arbeit von Wiblingen unternimmt er eine Italienreise zu Giambattista Tiepolo.

[20] Dominikus Hermengild Herberger (1694−1760) aus Legau, hat 1742−1748 die Werkstatt in Ochsenhausen, nachher Konstanzer Hofbildhauer.

[21] Johann Michael Fischer (1692−1762) von Burglengenfeld, Wanderjahre in Böhmen und Mähren, seit 1718 in München.

[22] Bernhard Schütz in: Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben, München 2000.

[23] Die «Regensburger Risse» sind seit 1934 bekannt. 1997 schreibt sie Gabriele Dischinger als Werk Fischers ab. Die Gründe für diese Abschreibung sind teilweise nicht nachvollziehbar, so soll unter anderem die Darstellung des Wiedemann-Planes von 1732 im Deckenfresko des Kapitelsaals, das von Franz Martin Kuen nach 1754 ausgeführt wird, eine Kirchen-Neuplanung Fischers ausschliessen. Mit Recht weist Frank Purrmann 1999 diese absurde Beweisführung zurück. Auch Bernhard Schütz qualifiziert den Fund (2000) als Zeichnungen nach Entwürfen Fischers. Die bei Schütz dargestellten Rekonstruktions-Innenperspektiven von Gerd Schneider scheinen diese These zu bestätigen. Dass die heute diskutierten Pläne spätere Nachzeichnungen und in den Schnitten sogar völlige Neuinterpretationen sind, heisst nicht, dass der ursprüngliche Entwurf nicht von Fischer stammt. Ein Interpretations-Spielraum für einen anderen ursprünglichen Planer als Fischer oder dessen Baubüro gibt es nicht. Denn der (später nachgezeichnete) Grundriss liegt mit Sicherheit 1750 vor, da er, wie sein massstäbliches Einfügen in den Wiedemann-Plan zeigt, Grundlage der Verlängerung des Klostergevierts nach Süden und die Grundlage der heutigen Achsverschiebung darstellt. Die Kirchenplanung Wiedemanns ist deshalb schon 1750, trotz der späteren Darstellung im Kapitelsaal, Makulatur.

[24] Johann Baptist Wiedemann (1715−1773) ist Stadtmaurermeister in Donauwörth und vielleicht ausführender Baumeister des Ostflügels. Mit Christian Wiedemann und wahrscheinlich auch mit Michael Wiedemann (1661−1703) aus Unterelchingen, dem Baumeister des Neresheimer Klosterneubaus, ist er nicht verwandt. Er wird 1759 die Baustelle der Stiftskirche von Neresheim leiten.

[25] Fischer verlängert den Ostflügel von 123 auf 135 Meter. Seit der Dissertation von Gustav Bölz (der ja die Regensburger Risse noch nicht kennen kann) wird diese Verlängerung in allen Publikationen als Folge des neuen Wunsches nach einer möglichst langen Benutzung der alten Kirche bezeichnet. Der bis zum Umzug in die neue Kirche notwendige Weiterbestand des alten Sakralraumes, der ja auch Wallfahrtsraum ist, gehört aber zur Norm im barocken Klosterbau. Der Bauablauf (Nordtrakt – Ostflügel – neue Kirche – Abbruch alte Kirche – Süd- und Westflügel des Südtrakts) wird sich seit 1714 nie verändert haben. Wie oben geschildert, ist die Kirchenplanung im Umfeld von Johann Michael Fischer Auslöser dieser Verlängerung. Oder kann sich ein Architekturhistoriker vorstellen, dass Fischer eine neue Achse ohne den entsprechenden Grundrissnachweis für die nun notwendige Kirchenverbreiterung festlegt?. Siehe dazu auch die Planbeilage «Stand der Bauarbeiten 1750». Hier ist auch zu sehen, wie der von Wiedemann symmetrisch zur Tor- und Kirchenachse gebaute Eingangshof spätestens nach dem Bau der nun asymmetrisch liegenden Kirche und dem (noch fehlenden) Westflügel nach Süden verlängert werden muss. Dies geschieht später durch den Abbruch und Wiederaufbau von Teilen des südlichen Wirtschaftshofes, die dann 1828 nochmals teilweise abgebrochen werden.

[26] Johann Georg Specht (1720−1803) «Kaiserlicher Oberamtsbaumeister beider Grafschaften Bregenz und Hohenegg».

[27] Johann Capar Bagnato, zusammen mit Joseph Anton Feuchtmayer, liefern ihr Projekt 1750. Es bildet die Grundlage zum Kirchenmodell des Br. Gabriel Loser von 1752 und zur endgültigen Planung von Peter Thumb 1755.

[28] Schon der Plansatz des nachgezeichneten Entwurfes Fischer weist im Gegensatz zu Zwiefalten und Ottobeuren keine selbsttragenden Gewölbe auf, was vielleicht erst bei der späteren Neuinterpretation der Planung einfliesst. Fischers Klosterkirchen haben immer selbsttragende Gewölbe. Meist sind bei gemauert, aber er verwendet auch selbsttagende Bohlen-Holzgewölbe. Die Flachmulden können nur in Verbund mit dem tragenden Dachstuhl als Gipslattenkonstruktion errichtet werden. Ihr Nachteil ist die Totalzerstörung bei Dachstuhlbrand und die Anfälligkeit auf Dachstuhlbewegungen.

[29] P. Amandus (Johann Nepomuk) Storr wird 1743 in Ulm als Sohn des Obervogtes am Deutschordenshaus in Ulm geboren. Er stirbt 1818 in Unterkirchheim.
Werke und Leben siehe www.oberschwaben-portal.de

[30] Januarius Zick (1730−1797). Lehre beim Baumeister Jakob Emele in Schussenried. Mitarbeiter seines Vaters, des Malers Johann Zick in Oberelchingen, Bruchsal und Amorbach. Studien in Paris und Rom. Seit 1760 in Diensten des Kurfürsten von Trier.

[31] Ausnahmen bilden die schon rein klassizistischen Fresken in der Art von «quadri riportati», die wie Tafelbilder gemalten geschichtlichen Darstellungen in den Zwickelfresken und im Vorraum.

[32] Benedikt Sporer (1717−1803). Von ihm sind nur die Arbeiten in Wiblingen und in Buchau (1776) bekannt.

[33] Br. Martin Dreyer OSB (1748−1795), Maler, Fassmaler und Vergolder, Schüler von Franz Martin Kuen.

[34] Franz Joseph Friedrich Christian (1739−1798) aus Riedlingen. Er arbeitet 1777−1781 für Wiblingen. Sein Mitarbeiter Fidelis Mock arbeitet nach 1781 weiterhin in Wiblingen.

[35] Johann Nepomuk Holzhey (1741−1809) aus Ottobeuren. Die Orgel ist nicht mehr vorhanden und wird 1973 durch ein Werk des Biberacher Orgelbauers Reiser (2 Manuale, Pedal und 30 Register) ersetzt. Der Nordprospekt ist schon bei Holzhey blind.

[36] Johann Schnegg (1724−1784) aus Imsterberg im Tirol, arbeitet 1745−1760 in Bayreuth, bis 1769 in Potsdam und arbeitet 1781−1783 für Wiblingen. Er scheint von Januarius Zick anstelle des ihm nicht freundlich gesinnten Franz Joseph Friedrich Christian nach Wiblingen berufen worden sein.

[37] Das Chorgitter kommt 1810 nach Stuttgart. Der Abtssitz wird 1807 an eine Chorwand versetzt. Das Kruzifix ,das im 19. Jahrhundert über den Kreuzaltar gehängt wird, soll noch aus dem Ulmer Münster stammen (gemäss Dehio von Niklaus Weckmann, Ende 15. Jahrhundert). Weiter Kruzifixe befinden in der Seitenkapelle Nord (Hans Multscher, um 1430) und im Klostermuseum (Michael Erhart um 1510). Die drei Kruzifixe werden vor allem in Internetpublikationen frischfröhlich verwechselt.

[38] Fidelis Mock (1745-1820) aus Sigmaringen ist in der Werkstatt Christian tätig und arbeitet nach 1781 als selbstständiger Bildhauer.

[39] Raimund Waibel in: Die Klosterherrschaft Wiblingen, Sonderheft Schlösser Baden-Württemberg, Stuttgart 2006, nennt die Baukosten von 130 000 Gulden für die Abrechnungsphase 1772−1790 und stellt die Frage, wie die Mönche zu diesem Geld kommen. Er fügt zu, dass damit eine gewisse Masslosigkeit der Bauherren deutlich werde. Vorgängig erläutert er, das Kloster lege die den Bauern abgenommenen Überschüsse nur für den Eigenkonsum aus und hätte deswegen kein Geld mehr für wirtschaftsförderende Reinvestitionen. Diese Aussage von Raimund Waibel zeigt, wie wenig für Wiblingen geforscht und wie viel Voreingenommenheit noch heute vorherrscht. Sie beruht auf seinen Angaben der Jahreseinnahmen Wiblingens von 20 000 bis 30 000 Gulden, welche anschliessend gemäss Waibel bis auf 1000 Gulden ohne jegliche Investitionen nur «für den Konsum des Klosters» ausgegeben werden. Wäre dem tatsächlich so, müsste man das ertragsschwache Wiblingen zusätzlich als Klosterherrschaft mit der übelsten Ökonomie aller schwäbischen Benediktinerklöster bezeichnen. Zwar erwirtschaften Nachbarabteien bei ähnlicher Untertanenzahl mehr als Wiblingen. So sind die Jahreseinnahmen von Roggenburg 40 000 Gulden, von Söflingen 65 000 Gulden und von Obermarchtal gar 80 000 Gulden. Dass aber Wiblingen entgegen der Darstellung von Raimund Waibel nicht derart schlecht wirtschaftet und auch Reserven für Reinvestitionen schaffen kann, belegen die vielen Bauvorhaben in der Klosterherrschaft Ende des 18. Jahrhunderts, die mit den gleichzeitigen Krieg-Kontributionszahlungen (10 000 Gulden 1787, 12 000 Gulden 1796) und jährlichen Abgaben von 4000 Gulden an Österreich gefüllte Kassen verlangen. Zur gleichen Zeit erwirbt Abt Roman Gerichtsrechte in der Höhe von 75 000 Gulden. Man darf also auch ohne Fragestellung nach der Geldherkunft für den klösterlichen «Luxus» und der «ethischen und ökonomischen Verschwendung» ruhig davon ausgehen, dass die Wiblinger Hausökonomen wie die meisten barocken Klosterherrschaften zwar kurzzeitig für Grossbauten Geld aufnehmen, aber sicher keine bewusste Schuldenwirtschaft wie die damaligen und heutigen Landesherren betreiben. Zudem kommt jeder Gulden, der für den Kirchenneubau und die Bauvorhaben in der Herrschaft ausgegeben wird, in die Kassen regionaler Werkstätten oder ist Einkommen von Taglöhnern. Als ökonomische Verschwendung kann aus heutiger Sicht nur der Aufkauf von Gerichtsrechten bezeichnet werden.

[40] Fürstabt Gerold II. Meyer von Muri und sein Bruder, Abt Bernhard II. Meyer von Rheinau, zusammen mit P. Blasius Hauntinger, dem Bibliothekar von Rheinau. P. Blasius ist der jüngere Bruder des berühmten St. Galler Bibliothekars P. Nepomuk Hauntinger, der 1784 Wiblingen besucht und die Eindrücke in seinem Reisebericht beschreibt.

[41] Das Schicksal des Bücherbestandes zeigt, wie bei der Säkularisation Werte verschleudert werden. 1808 kommen erst 33 der noch vorhandenen wertvollsten Handschriften in die Hofbibliothek Stuttgart. Für die restlichen ursprünglich 15 000 Bände, darunter auch die beschlagnahmte Privatbibliothek des letzten Abtes, zeigt Stuttgart vorläufig kein Interesse. 8000 Bände werden als Makulatur bezeichnet und 1812 für den pfundweisen Verkauf an den Papiermüller vorgeschlagen. Zu dieser Makulatur gehören auch Handschriften. Bis 1814 geht der Bücherbestand für Stuttgart vergessen, der aus den beiden Klöstern Wengen und Wiblingen noch immer 12 000 Bände (ohne «Makulatur») umfasst. 1822 beklagt sich der Pfarrer über wilde Haufen von Büchern in den Räumen des zweiten Obergeschosses, die jedermann forttragen könne. Heute sind Bücher aus Wiblinger Beständen in 27 europäischen Bibliotheken und Archiven zu finden.

 


  Ehemalige Benediktinerabtei und Kirche St. Martin in Ulm-Wiblingen  
  Wiblingen1805
 
Ort, Land (heute) Herrschaft (18.Jh.)
Wiblingen (Ulm)
Baden-Württemberg D
Vorderösterreich
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz 1714 (1732)
Bauherr und Bauträger

ok
Abt Modest I. Huber (reg. 1692–1729)
ok Abt Meinrad Hamberger (reg. 1730–1762)
ok Abt Roman Fehr (reg. 1762–1797)
Info  Prior Amandus Storr (1743–1818)
 
  Wiblingen im Zustand 1805 auf einer kolorierten Federzeichnung.
Informationen zum Bild.
  pdf  
   
WiblingenLageplan
Bauetappenplan. Gelb: das alte Kloster. Für Vergrösserung und Legende anklicken!  
   
WiblingenBucelin
1630 zeichnet Pater Gabriel Bucelin aus Weingarten die Klosteranlage Wiblingen in einer Vogelschauansicht aus Südwesten. Die Lage der romanischen Basilika und der südlichen Dreiflügelanlage ist oben im Bauetappenplan eingetragen. Die Gebäude müssen damit nicht vor dem Bau der neuen Stiftskirche Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen werden.  
WiblingenLageplan1750
Bauzustand 1750.
Als Johann Michael Fischer 1750 für den Bau des Ostflügels beigezogen wird, ist noch immer die Planung Wiedemann gültig. Die Achse dieser hier grau angelegten Klosteranlage verläuft vom Westtor zum Ostrisalit.
Eine neue Kirchenplanung, hier violett eingetragen, bedingt durch ihre neue Breite eine Achsverschiebung nach Süden. In diese Achse kommt dann der neue Ostrisalit von Fischer zu liegen. Weder die Kirche oder der Ostflügel von 1750 noch der spätere Kirchenneubau von 1771–1783 (hier rotbraun gezeichnet) hätten den vorgängigen Abbruch der alten Klosteranlage bedingt.
Bild bitte für Erläuterung und Vergrösserung anklicken!
 
WiblingenFischer1750
Der um 1750 entstandene Grundrissplan der Kirche von Wiblingen, im Plan violett eingetragen, ist die einzige Erklärung für die Achsverschiebung durch Johann Michael Fischer. Ohne diesen Plan wäre der heutige Ostrisalit nicht achsverschoben. Der vermutlich vom ausführenden Baumeister Johann Baptist Wiedemann gezeichnete Plan muss, wenn der Ostrisalit ein Werk Fischers ist, auch entsprechende Entwürfe Fischers als Grundlage haben.  
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Der Ausschnitt aus einer Panorama-Aufnahme zeigt den Vorhofbereich mit den Baudaten 1714 (Brauhaus im Vordergrund) bis 1744 (Gästeflügel, Nordflügel).
Bildquelle: Andreas Hallerbach in Flickr.
 
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Im westlichen Gästeflügel und im Nordflügel mit der Bibliothek sind die Stuckaturen von Caspare Mola aus Coldrerio zu sehen, die er nach in den 30er-Jahren erstellt. Sie zeichnen sich durch Reliefdarstellungen in kräftigen, von Bandelwerk begleiteten Profilrahmungen aus. Das Bild zeigt die Kreuzanbetung durch die Kaiserin Helena im Treppenhaus des Gästeflügels.  
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Der Eingang zum Bibliotheksaal von Dominikus Bergmüller aus Türkheim zeigt ein Jahrzehnt nach den Stuckaturen von Mola schon die Vorherrschaft der Rocaille. In der Kartusche ist nach Colloss. 2, 3 zu lesen: In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis (verborgen).  
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Mitreissende Bewegtheit und eine leuchtende Farbenpracht empfangen den Eintretenden. Es sind die Schwingungen der umlaufenden Emporen und ihrer tragenden Stuckmarmorsäulen, alle rotbraun oder bläulich marmoriert, die weissen überlebensgrossen Freifiguren zwischen den Säulenpaaren und die Vortäuschung einer Öffnung zum Himmel im Fresko der Muldenkuppel, die derart wirken.  
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In die Dreiergruppen der marmorierten Holzsäulen setzt Dominikus Hermengild Herberger acht lebensgrosse und polimentweiss gefasste anmutige weibliche Allegorien der Wissenschaft und der klösterlichen Tugenden. Auf dem obigen Bild hält die Darstellung der Theologie Schrifttafel und Zepter in den Händen, trägt als Kopfbedeckung das Biret und hat einen Adler zu ihren Füssen. Herberger ist auch Schöpfer der Säulenkapitelle. Vergolder und Fassmaler, damit auch für Farbenpracht verantwortlich, ist der unbekannte Franz Joseph Saur aus Ehingen.  
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Die Figur der Jurisprudenz an der nördlichen Längsseite ist mit Schwert und Waage ausgezeichnet.  
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An den unteren Längsseiten des Deckenfreskos ist mittig je eine Wappenkartusche angebracht. Auf der Nordseite ist das Wappen des erst 1762 gewählten Abtes Modest II. Kaufmann angebracht (in Feld 2 ein Geviert von Rot und Silber). Die Felder 1 und 4 sind neuere Klosterwappen, das Feld 3 ist die Kirchberger Mohrin (Stifterwappen). Im offiziellen Führer wird dieser Schild falsch als «Wappen des Konventes» bezeichnet. Siehe dazu die Erläuterungen zu den diversen wechselnden Klosterwappen.  
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Franz Martin Kuen malt das Hauptfresko 1744. Es ist auf die Antithese des bösen Altertums gegenüber dem segensreichen Christentum ausgerichtet. Im lichten Mittelpunkt schwebt die göttliche Weisheit, dem Eintretenden zugewandt. Dem hier die terrestrische Szene über der nördlichen Längsseite Betrachtenden kehrt sie den Rücken. Der Ausschnitt zeigt in der Mitte über dem Wappenschild einen Berg mit den Allegorien der sieben Gaben des Heiligen Geistes, darüber das Lamm Gottes. Links werden Benediktiner unter der Leitung des Augustinus von Canterbury durch Papst Gregor dem Grossen zur Missionierung Englands ausgesandt. Rechts ist die Missionierung Amerikas dargestellt. Hochaufragende Scheinarchitekturen bilden den Hintergrund und die Abgrenzung zu den landschaftlichen Themen.  
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Die göttliche Weisheit mit Buch und Lamm, im Himmelsmittelpunkt thronend, wie sie vom eintretenden Besucher wahrgenommen wird.  
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Am westlichen Ende über dem Eingang ist zentral die Mission der Benediktiner in den vier Erdteilen dargestellt, rechts begrenzt durch die Aussendung der Benediktiner nach England (siehe oben) und links die Verbannung des Dichters Ovid durch Kaiser Augustus.  
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1750 wird der Bau mit dem Ostflügel fortgesetzt. Die Planung wird vorgängig von Johann Michael Fischer überarbeitet. Ihm ist der Mittelrisalit in der neuen Kirchenachse zu verdanken. Siehe dazu den Plan Bauzustand 1750 oben.
Bildquelle: Andreas Hallerbach in Flickr.
 
WiblingenKircheGrundriss1922
Erst 1772 wird der Kirchenneubau begonnen. Baumeister ist jetzt Johann Georg Specht. Er muss die von Fischer gesetzte neue Achse übernehmen, verändert den bewegten Longitudinalbau Fischers in einen von einer Vierungsrotunde beherrschten Kirchensaal. Zudem setzt er jetzt die von Wiedemann und Fischer noch am Chor geplanten Doppeltürme an die Westfront und dreht sie diagonal ab.  
WiblingenTurm
Die stolze Doppelturmfront wird nicht mehr gebaut. Die heutige Westfassade Wiblingens ist ein Torso. Zwei Drittel der Höhe fehlen. Um sich die Türme vorstellen zu können, bitte Mausbewegung über das Bild. Grundlage bildet der Originalplan von Johann Georg Specht im Regensburger Archiv Thurn und Taxis.  
> Zum Fassadenplan Johann Georg Specht
Wiblingen12
Der Innenraum ist vom Gestaltungswillen des «Bau- und Verzierungsdirektors» Januarius Zick geprägt. Der Gewölbebereich wird von seinen noch immer barock-illusionistischen Fresken geprägt. Aber ihre breiten, gold-gelb gefassten Rahmen und die gleichfarbigen, bis zum Gewölbeansatz reichenden Dekorationsmalereien zeigen eine radikale Abkehr vom Barock.  
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Das Vierungsfresko schildert die Wiedergewinnung des Kreuzes durch Kaiser Heraklius und Kreuzerhöhung vor dem Tempel.  
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Deutlich sichtbar ist der Einbruch des Klassizismus im Chor. Das Hochaltarblatt, eine Kreuzigung von Zick, ist zwar heute durch ein spätgotisches riesengrosses Kruzifix verdeckt. Es soll das Triumphbogen-Kreuz des Ulmer Münsters sein, wo seit 1880 eine Kopie aufgehängt ist. Es gehört aber nicht zur Ausstattung der Klosterkirche und steht an der Stelle des 1810 abgebrochenen Chorgitters hinter dem Kreuzaltar. Dieser ursprünglich vor dem Gitter stehende Altar ist eine Neuschöpfung. Am Übergang zum Chor ist der ursprüngliche Raumeindruck deshalb nicht mehr vorhanden.  
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Im Eingangsbereich malt Januarius Zick unter die Empore die Stiftung Wiblingens durch die Grafen von Kirchberg, die 1199 an Abt Werner von Ellerbach die (1632 mirakulös wieder aufgefundenen) Kreuzpartikel und den Grundriss der Klosterkirche überreichen.  
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Die Kanzel (um 1783) ist ein Prachtstück frühklassizistischer Bildhauer- und Fassmalerkunst. Sie wird Benedikt Sporer zugeschrieben, obwohl sie nicht (wie im Führer behauptet) in Stuckmarmor ausgeführt ist. Sicher ist nur, dass sie auf älteren Entwürfen von Januarius Zick beruht und die Fassungen von Br. Martin Dreyer stammen.  

«Ansicht des vorderösterr. Benedikt. Stiftes Wiblingen an der Iller nächst Ulm in Schwaben, so weit es im Jahr 1805 erbaut war»
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Kolorierte Federzeichnung von Pater Michael Braig 1813.
Original in der Universitätsbibliothek Ulm, ohne weiteren Quellennachweis in diversen Veröffentlichungen.

Beschrieb:
Die Vogelschauansicht stellt das Kloster aus Westen dar. Die symmetrisch um den Vorhof angeordneten Ökonomiegebäude (1714–1727), der Nordtrakt (1732–1750), der Ostflügel (1750–1760) sind fertig gestellt. Die Türme der Stiftskirche (1771–1783) fehlen. Deutlich ist die Achsverschiebung der ab 1714 gebauten Ökonomiegebäude und des Tores zur Kirchenachse (entstanden mit der Planung Fischer 1750), zu sehen.

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