Ehemalige Stiftskirche und Münster Unserer Lieben Frau in Zwiefalten  
  ZwiefaltenInnnen1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Zwiefalten.
Kreis Reutlingen (D)
Reichsstift Zwiefalten.
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz 1739
Bauherr und Bauträger
Äbte von Zwiefalten:

Stegmueller Augustin Stegmüller (reg. 1725–1744).
Mauz Benedikt Mauz (reg. 1744–1765)
 
  Der Innenraum des Münsters Zweifalten ist barockes Gesamtkunstwerk und Schlusssynthese der Wandpfeiler-Emporenbauweise.   pdf  

Zwiefalten

Ehemalige Benediktiner-Reichsabtei und Münster Unserer Lieben Frau

Klosteranlage   Die Klosterlandschaft
Münster   Das Münster Unserer Lieben Frau

Zweiter Teil: Das neue Münster

Die Meister des Bauwerks
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Joseph Benedikt Schneider (1689–1763) ) Bach bei Zwiefalten     Klosterbaumeister 1739   1753
Hans Martin Schneider (1692–1768) Bach bei Zweifalten     Klosterbaumeister 1739   1753
Johann Michael Fischer (1692–1766) Burglengenfeld (Oberpfalz) Fischer   Baumeister-Architekt 1741   1746
Johann Michael Feichtmayr (1710–1772) Wessobrunn FeichtmayerJM   Stuckateur 1747   1769
Franz Joseph Spiegler (1691–1757) Wangen im Allgäu Spiegler   Maler, Frekant 1747   1754
Johann Joseph Christian (1706–1777) Riedlingen Christian   Bildhauer 1747   1773
Martin Hörmann (1688–1782) Villingen     Kunstschreiner 1747   1755
Joseph Gabler (1700–1771) Ochsenhausen Gabler   Ogelbauer 1753   1755
Franz Sigrist (1727–1803) Alt-Breisach     Maler, Freskant 1760   1760
Andreas Meinrad von Ow (1712–1792) Sigmaringen Wikipedia   Maler, Freskant 1764   1766
Franz Ludwig Hermann (1732–1791) Ettal Hermann   Maler, Freskant 1754   1772
Giovan Pietro Scotti (1695–1761) Laino Val d'Intelvi     Maler ~1767   ~1769
Gio. Battista Innocenzo Colomba (1717–1793) Arogno Tessin Wikipedia   Maler ~1769   ~1769
Bartolomeo Scotti (1727–?) Laino Val d'Intelvi     Maler ~1769   ~1769
Nicolas Guibal (1725–1784) Luneville Wikipedia   Maler 1769   1769
Joseph Martin (um 1720–vor 1807) Hayingen     Orgelbauer 1772   1777


Umbauprojekte bis 1735
Noch 1680–1689 wird das alte Münster um eine Kapellenreihe mit sechs Altären nach Süden erweitert und im Innern neu ausgestattet. Der Vierungsturm erhält einen Oktogonaufsatz mit Zwiebelhaube. 1709 liefert Franz Beer II einen Plan für einen Chorneubau mit zwei Chortürmen.[1] Ein Neubau des erst kürzlich barockisierten Münsters ist selbst 1735 kein Thema. Denn in diesem Jahr lässt Abt Augustin Stegmüller (reg. 1725–1744) durch die Brüder Hans und Joseph Schneider, die nach ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Beer nun als Klosterbaumeister tätig sind, wieder einen Umbau des alten Münsters planen.[2] Ihr Entwurf übernimmt von Beer die zwei Chortürme und verändert das alte Münster im Querschnitt radikal, ohne aber die Dreischiffigkeit zu ändern. Zum Glück sieht der baufreudige Abt die Nachteile. Er beschliesst deshalb 1738 einen Neubau. Aktiver Widerstand im Konvent verzögert den Beginn. Erst nach einem positiven Beschluss des Kapitels kann 1739 mit dem Abbruch von Chor und Querhaus begonnen werden. 1740 wird auch das Langhaus des alten Münsters abgebrochen.

Neubau durch Johann Michael Fischer

Die Planung der Brüder Schneider, nach der nun mit dem Neubau begonnen wird, ist nicht erhalten. Kunsthistoriker stellen aufgrund von zeitgenössischen Historikerberichten fragwürdige Rekonstruktionen und Thesen auf.[3] In Wirklichkeit kann das Zwiefalter Münster der Brüder Schneider lediglich in der Querhausbreite und in der Chorlänge vom Grundriss des heutigen Münsters abweichen. Als nämlich Johann Michael Fischer 1741, zwei Jahre nach Baubeginn, die Baustelle übernimmt und eine Neuplanung durchführt, sind die beiden Chortürme und die Längswände bereits fundiert, die Breite von Schiff, Chor und Wandpfeileremporen also genau definiert. Fischer verlegt das Querhaus an die Türme, bildet mit der Vierung den Mittelpunkt und muss deshalb den Chor verlängern, der jetzt unschön den Eckflügelbau der Kapitelskapelle aus 1688 streift und den östlichen Coemeteriumflügel aus 1660 durchbricht. Seine Kirche wird rund 25 Meter länger als das alte Münster. Für das neue Zwiefalter Münster stellt aber die Berufung des bekannten Münchner Baumeisters Johann Michael Fischer (1692–1766) und die Ablösung der Brüder Schneider in der Planung und Bauleitung ein Glücksfall dar. Fischer ist in Süddeutschland der einzige Baumeister, der sich im Gewölbebau mit dem Würzburger Balthasar Neumann messen kann und dafür auch bekannt ist. Wie dieser in Vierzehnheiligen, so wird auch Fischer in Zwiefalten und kurze Zeit später in Ottobeuren durch einen schon begonnenen Bau zu Höchstleistungen angespornt. Tatsächlich scheint es die mangelnde Erfahrung der Klosterbaumeister Schneider im Gewölbebau zu sein, die zu ihrer Ablösung führt. Fischers grosse Leistung in Zwiefalten ist aber die Verwandlung eines langen Innenraumes, der ohne die Vorhalle 80 Meter Innenlänge hat, in einen weit wirkenden Festsaal. Eine Parade von Doppelsäulen an den Wandpfeilern des Langhauses empfängt den eintretenden Besucher. Das Thema der Säule steigert sich in der Vierung und trägt raffiniert zur optischen Verkürzung des Mönchschores bei. Die Seitenemporen im Langhaus schwingen aus und verleihen dem Raum Bewegtheit und Eleganz. Das einfache Halbtonnengewölbe  im Längsschiff und in den Querschiffarmen wird nur durch die «vertruckhte cupula», die in den Dachraum eingeschriebene Vierungskuppel, unterbrochen. Chor und Altarraum erhalten Muldenkuppeln. «Der Bau stellt eine Schlusssynthese der gesamten Wandpfeilerbauweise dar. Diese Bauweise ist hier mit einer Mannigfaltigkeit und mit einem Reichtum der Motive vorgetragen wie nie zuvor.»[4]
1745 ist die Kirche gedeckt.[5] 1746 sind der Altarraum, der Chor und das Langhaus eingewölbt. 1747, während das Vierungsgewölbe noch in Arbeit ist, wird im Altarraum und Chor mit der Stuckierung und der Freskierung begonnen. Fischer ist jetzt nicht mehr in Zwiefalten, obwohl sein Kirchenraum nur dank diesen Meistern der Ausstattung die oben gelobte Festlichkeit überhaupt erreicht.[6] Ohne Anwesenheit von Fischer wird 1750–1753 auch die ursprünglich nicht geplante Verlängerung des Bauwerks an die Westfassade des Konventflügels ausgeführt. Die Klosterbaumeister Schneider, 1741–1747 unter der Oberleitung Fischers tätig, vollenden nun diesen Westteil, dessen monumentale Natursteinfassade als Gemeinschaftsarbeit des Bildhauers Johann Joseph Christian mit den Brüdern Schneider gelten kann. Fischer hat dazu nichts mehr beigetragen.[7]  

Die Meister des Rokokoraums von Zwiefalten
Der architektonischen Raumschöpfung Fischers fehlt 1747 noch jegliches Leben. Wenn heute von einem «Festsaal mit prachtvollen buntfarbig polierten Doppelsäulen» und von einem «Höchstmass an festlich ausgebreiteter Pracht und sakraler Weihe»[8] gesprochen wird, ist dies nicht dem grossen Baumeister, sondern dem leitenden Meister des Künstlerensembles, dem Stuckateur Johann Michael Feichtmayr (1696–1772) und noch mehr dem seit 1744 regierenden Abt Benedikt Mauz zu verdanken. Der Abt, der Zwiefalten 1750 in die Reichsunmittelbarkeit führt, ist selbst in Baukunst und Malerei erfahren.[9] Er sieht die Architektur als tragende Hülle für die ihm viel wichtigere Inszenierung eines prächtigen, festlichen Innenraumes als Sinnbild der triumphierenden Kirche. Ganz in diesem Sinne stellt er auch die Ikonographie der Fresken und Altarausstattung unter das Motto der Gottesmutter als Beschützerin des Benediktinerordens, dies wohl weniger als katholische Zeichensetzung zum nahen protestantischen Nachbarn Württemberg, sondern eher aus tiefer Frömmigkeit. Er verdingt dazu 1747 nebst Feichtmayr den Maler und Freskanten Franz Joseph Spiegler (1691–1757). Die beiden Künstler arbeiten in Zwiefalten zum ersten Mal zusammen. Der in Augsburg lebende Wessobrunner Feichtmayr stuckiert zu dieser Zeit als leitender Unternehmer die Stiftskirche der Benediktinerabtei Amorbach. Er ist einer der hervorragenden Stuckateure und Altarbauer des süddeutschen Rokoko. Der im Zwiefalter Hof der nahen Stadt Riedlingen lebende Maler und Freskant Spiegler ist dem Abt nicht nur von seinen früheren Arbeiten in Ottobeuren und St. Blasien bekannt, sondern auch von Aufträgen im Zwiefalter Herrschaftsgebiet. In kongenialer Zusammenarbeit erstellen Feichtmayr und Spiegler nun Stuck und Fresken. Sie vollenden Altarhaus und Chor bis 1748, die Kuppel und die Querhausfelder bis 1750 bis 1752 das Gewölbe des Langhauses. Abgestimmt auf die Erdtöne der Fresken erstellt Feichtmayr die Stuckmarmorfassung der Säulenschäfte, aber auch den Hochaltar und bis 1769 alle Nebenaltäre, bei der Kanzel und das Kanzelgegenstück ist wieder Johann Joseph Christian der Plastiker. Fresken, Stuck, Stuckmarmorarbeiten und Altäre verwandeln den Innenraum vom einfach erfassbaren architektonischen Gebilde in eine begehbare sakrale Schaubühne. Auffallend ist die Verwandlung der Säulen. Feichtmayr fasst die Schäfte mit prachtvoll buntfarbig poliertem Stuckmarmor. Losgelöst vom Sockel und vom Gebälk, das Kapitell und die Basis vergoldet, bilden sie jetzt gleichzeitig These und Antithese und vor allem bildbestimmende Kulisse. Das Gesamtkunstwerk der künstlerischen Ausstattung symbolisiert nicht nur die triumphierende Kirche, sie übertrumpft tatsächlich die Architektur.[10]
1752 wird die Kirche erstmals genutzt. Im Chor hat inzwischen der ebenfalls aus Riedlingen stammende Bildhauer Johann Joseph Christian (1706–1777) mit den plastischen Arbeiten am beidseitigen Chorgestühl und an den Prospekten der Chororgel sein erstes Hauptwerk geschaffen.[11] Durch Johann Michael Feichtmayr und seinen Mitarbeitern[12] wird der Holzplastiker und Steinhauer nun in die Geheimnisse der anspruchsvolleren Stuckplastik eingeführt. Christian schafft in Zwiefalten den künstlerischen Durchbruch. Er wird zwischen 1754 und 1773 die meisten der polimentweiss gefassten Stuckplastiken im Kirchenraum schaffen. Sie zeigen sein schnelles Reifen zu einem der besten Stuckplastiker des süddeutschen Rokoko. Die beeindruckende Kanzel und ihr Gegenstück, der Ezechielbaldachin sind Glanzpunkte des Innenraumes und auch beste Beispiele der fruchtbaren Zusammenarbeit von Feichtmayr mit Christian.

Vollendung
Nachdem Franz Joseph Spiegler 1754 das Hochaltarbild[13] liefert und 1756 das Chorgitter[14] mit dem Kreuzaltar erstellt ist, wird bis zur Einweihung 1765 nur noch im Schiff und im Bereich der erst 1752 entstandenen Westvorhalle gearbeitet. Abt Benedikt Mauz, dem wir den Rokokoraum von Zwiefalten verdanken, stirbt wenige Monate vor der Einweihung im Alter von 75 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt sind die Querhausaltäre erstellt, die Fertigstellung der Langhausaltäre dauert noch bis 1769. Weiterhin sind Feichtmayr und Christian, die seit längerem auch in Ottobeuren zusammenarbeiten, ihre Schöpfer. Nur bei den Altarblättern tauchen nach dem Wegzug Spieglers neue Namen auf. Vom Konstanzer Hofmaler Franz Ludwig Hermann (1723–1791) stammt das Altarblatt des grossen südlichen Querschiffaltars. Alle anderen Blätter sind Werke der Ludwigsburger Hofkünstler Giosuè und Bartolomeo Scotti aus Laino und des Giovanni Battista Innocenzo Colomba aus Arogno. Wie die Altarblätter im Langhaus entstehen auch die Fresken in den Feldern über den Seitenkapellen und den Emporen erst unter Abt Nikolaus II. Schmidler (reg. 1765–1787). Es sind Werke des Sigmaringer Malers Meinrad von Ow (1712–1792). Einzig das Deckenfresko in der Vorhalle ist vor der Einweihung schon erstellt. Es stammt von Franz Sigrist (1727–1803).

Die Orgeln
1753–1755 baut Joseph Gabler (1700–1771) die Chororgel. Das zweigeteilte, beidseitig hinter den Chorstühlen stehende Werk mit 23 Registern und einem zweigeschossigen und fünfachsigen Orgelprospekt ist wie das Chorgestühl ein Werk von Johann Joseph Christian und Martin Hörmann. Heute ist nur noch der Prospekt erhalten.
Die Orgel auf der Westempore wird 1772–1777 vom Orgelbauer Joseph Martin von Hayingen gebaut. Das Werk mit 64 Registern ist zweigeteilt und um das Westfenster mit einer dreifachen Tiefenstaffelung so in das Tonnengewölbe eingepasst, dass es als eine einzige grosse Prospektwand in Erscheinung tritt. Die sechs Gehäusetürme schliessen mit einem mächtig geschweiften Gebälk in spätbarocker Tradition ab. Diese für den Innenraum wichtige Orgel ist heute nicht mehr vorhanden. An ihrer Stelle steht ein modernistisch nacktes Pfeifenwerk von 1958.[15]

Pius Bieri 2010

Benutzte Einzeldarstellungen:
Pretsch, Hermann Josef: Kloster Zwiefalten, Ulm 1986.
Pretsch, Hermann Josef (Hrsg.): 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, Ulm 1990.
Betz-Wischnath Irmtraut und Pretsch, Hermann Josef: Das Ende von Reichsabtei und Kloster Zwiefalten, Ulm 2001.
Pechloff, Ursula: Münster Zwiefalten, Kunstführer, Passau 2008.
Halder, Reinhold: Das Zwiefalter Münster, in: Johann Michael Fischer, Ausstellungskatalog Band I, Tübingen 1995.

Anmerkungen:


[1] Es ist ein Ovalchor mit zwei Chortürmen, der offensichtlich von Caspar Moosbruggers Kirchenentwürfen (vor 1696) beeinflusst ist. Caspar Moosbruggers Planungen sind Franz Beer bekannt, in St. Urban hat er Einsiedler Fassadenplanungen übernommen und er liefert selbst Varianten zu Moosbruggers Planungen in Einsiedeln.

[2] Joseph Benedikt Schneider (1689–1763) und Hans Martin Schneider (1692–1768) sind Söhne des Klostermaurers Benedikt Schneider (1654–1705) aus Baach bei Zwiefalten. Sie haben ihr architektonisches Handwerk in der Zusammenarbeit mit Franz Beer gelernt. Ihr bedeutendstes Werk ist der Neubau der Zwiefalter Propstei Mochental 1731–1734.

[3] Ein Rekonstruktionsversuch von Otmar Freiermuth (1955) berücksichtigt weder die maximale vorgegebene Länge des Innenraumes von den Doppeltürmen zur inneren Westflügelfassade noch die Anschlüsse an die Konventbauten. An Weingarten anlehnend und lediglich auf Chronikaussagen basierend, dürfte er kaum das Ausführungsprojekt der Brüder Schneider darstellen. (Zum Rekonstruktionsversuch). Er wird zudem in der Jochzahl falsch interpretiert: die Anzahl der Joche oder Seitenkapellen ist, wie das Überlagern der Grundrisse zeigt, identisch mit der Ausführung Fischer. Reinhold Halder (in: Johann Michael Fischer, Tübingen 1995) nimmt den Rekonstruktionsversuch allerdings ernst und schreibt: «Innerhalb der Vorarlberger Architektur leitet die Zwiefalter Klosterkirche der Gebrüder Schneider über zur Klosterkirche von St. Gallen (1755–1767)». Dass der berühmte, weitaus fortschrittlichere Entwurf für St. Gallen des Johann Michael Beer von Bleichten aus 1730 zu dieser Zeit schon zehn Jahre alt ist, entgeht ihm.

[4] Zitat Bernhard Schütz in : Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben. München 2000.

[5] Beginn der Zimmermannsarbeiten am 21. August 1745.

[6] Fischer interessiert sich wenig für die von den Kunsthistorikern noch heute despektierlich «Dekoration» genannte raumprägende und im Rokoko schlussendlich wichtigere Ausstattungstätigkeit. Man stelle sich die Kirchenräume Fischers oder Neumanns ohne farbige Stuckmarmorsäulen, ohne Deckenfresken und ohne den Rokokostuck vor! Und man stelle sich vor, wie langweilig diese Räume wären, wenn sich die Stuckateure, Bildhauer und Maler an die vorgegebene Tektonik gehalten hätten. Es ist ja gerade der Sinn des Rokoko, diese zu überspielen. Offensichtlich hat dies Abt Benedikt Mauz (reg. 1744–1765) besser erkannt als die auf grosse Architekten fixierten Kunsthistoriker. Er bestimmt, dass Fischer das Tonnengewölbe nicht mit Gurtbögen gliedern darf. Die Zeiten, als Franz Beer II es sich leisten konnte, nur Stuckateure und Freskanten zuzulassen, die sein Gewölbetektonik respektierten, sind im Rokoko endgültig vorbei.

[7] Obwohl keine Dokumente vorhanden sind, und Fischer weder vorher noch nachher in dieser Monumentalität baut, wird ihm bis heute der Entwurf zur ausgeführten Fassade zugeschrieben. Planzeichnungen der Brüder Schneider der Jahre 1749 und 1750 belegen, dass auch sie sich intensiv mit der Westfassade beschäftigt haben. Gabriele Dischinger, die Fischer-Biographin, schreibt den Entwurf sogar ausschliesslich dem Bildhauer Johann Joseph Christian zu. Die ursprünglich nicht geplante Monumentalität kann als Folge des neuen Selbstverständnisses der seit 1750 reichsunmittelbaren Abtei gesehen werden.

[8] Zitate Bernhard Schütz in: Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben. München 2000.

[9] P. Placidus Scharl (1731–1814) aus Andechs preist 1757 in einem (1868 übersetzten) Reisebericht den «grossen Vorteil, dass der Reichsprälat selbst Baumeister war und den ganzen Bau dirigierte, er war sehr gewandt im Zeichnen und verstand vorzüglich die Optik und Perspektive, wovon sich in der Kirche wahre Meisterstücke befinden».

[10] Deswegen bestreitet Stefan Kummer (Architektur und Dekoration des Zwiefalter Münsterraumes, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, Ulm 2000), dass es sich in Zwiefalten um ein Gesamtkunstwerk handelt. Nach ihm kann nur die Mitbeteiligung des Architekten ein solches garantieren. Es sind vor allem die plastischen Elemente des «Dekorateurs» Feuchtmayer, die ihn zur Aussage verleiten, dass das «dekorative» Element in Zwiefalten ein parasitäres Eigenleben führe und dass das «Gedränge» der Altäre die klare Gliederung der Wände vergessen mache. Interessanterweise nimmt er die verfremdeten Säulen von dieser Kritik aus. Zusammenfassend  bedauert er, dass im Spätbarock Maler, Bildhauer und Stuckateure nicht der Versuchung widerstehen können, die Architektur zu dominieren. Siehe dazu den Exkurs «Zwiefalten: Ein barockes Gesamtkunstwerk und die moderne Kunstwissenschaft».

[11] Schreinerarbeiten Martin Hörmann (1688–1782), Villingen.

[12] Die Mitarbeiter sind in den Zwiefalter Quellen nicht genannt. Der Wessobrunner Stuckplastiker Thomas Sporer (1710–1769) darf als leitender Mitarbeiter angenommen werden. 

[13] Das Hochaltargemälde «Josephs Traum» malt Spiegler bereits in Konstanz, seinem neuen Wohnort seit 1752. Es ist vier Meter breit und acht Meter hoch. Es bleibt das einzige Altarblatt Spieglers im Münster.

[14] Der Vorarlberger Schlosser Joseph Büssel aus Rankweil und der Fassmaler und Gehilfe Spieglers, Johann Georg Messner aus Hohentengen fertigen das Meisterwerk, das im Mittelteil mit scheinperspektivischer Architektur den Hintergrund des Kreuzaltars mit dem Gnadenbild von 1430 bildet.

[15] Das Aussehen der Martin Orgel von 1777 ist deshalb bekannt, weil Pläne existieren, die anlässlich 1807 ihres Versetzens in die Stuttgarter Hofkirche entstehen. Der barocke Orgelprospekt besteht dort nur bis 1844. Die nun auf Neugotik getrimmte Orgel ist seit dem Bombenkrieg 1944 nicht mehr vorhanden. Die Rekonstruktion wäre aufgrund der bekannten Disposition und des reichen Quellenmaterials möglich. Der Orgelprospekt ist auf den Zeichnungen 1807 wie derjenige von Obermarchtal (Holzhey 1782–1784) noch in spätbarocker Tradition ohne klassizistischen Einfluss gestaltet. Das Naturholz ist allerdings nicht gefasst, ähnlich wie die Prospekte der Chororgeln in der Stiftskirche St. Gallen (Bossart, Dirr 1768–1770) oder in Ochsenhausen (Höss 1779–1780).

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Zwiefalten

Ein barockes Gesamtkunstwerk und die moderne Kunstwissenschaft[1]

Kunsttheorie anstelle Barockforschung

1855 veröffentlicht Jacob Burckhardt seinen «Cicerone».[2] Er gliedert dieses kunsthistorische Grundlagenwerk in Architektur, Dekoration, Skulptur und Malerei. Zur Dekoration zählt er Stuck, Fresken und Ausstattung mit Altären, selbst die Stein-«Dekoration» von Wand und Fassade, nicht aber die Skulptur und die Malerei. Den Barock bezeichnet er als «verwilderten Dialekt der Renaissance». Er bedauert die Exzesse der «Dekorationen» im Barock. Die «übelsten Eigenschaften» entdeckt er dabei in den barocken Altären. So schreibt er über die Folgen des 1625 erstellten Tabernakels in St. Peter: «Berninis Frechheit stellte mit dem ehernen Tabernakel von St. Peter die Theorie auf: Der Altar sei eine Architektur, deren sämtliche Einzelformen in Bewegung geraten. Seine gewundenen und geblümten Säulen, sein geschwungener Baldachin mit den vier Giebelschnecken haben grösseres Unheil gestiftet, als die Fassaden Borrominis, welche, um Jahrzehnte später, ja vielleicht nur Weiterbildungen des hier zuerst ausgesprochenen Prinzips sind.»
Ungeahnt bezeichnet damit Burckhardt die Wurzeln des Zwiefalter Bauwerks: Berninis «Frechheit» und «die unheilvollen Fassaden des berüchtigten Borrominis» sind, auf dem böhmischen Umweg über Christoph Dientzenhofer, Grundlagen der Architektur von Johann Michael Fischer. Die sakralen Wandpfeilerräume dieses grossen Baumeisters werden noch zu Lebzeiten Burckhardts von deutschen Kunsthistorikern «entdeckt» und, was die Architektur betrifft, auch gewürdigt. Das Verdikt Burckhardts über die barocken Exzesse der «Dekorationen» hat aber ein zähes Nachleben. Denn noch 1924 schreibt Hermann Popp, dass das Rokoko von Zwiefalten und Ottobeuren «sich zu einer Unruhe und Wildheit entwickelt, ausserdem in einen Naturalismus verirrt, der bereits jenseits der Grenzen des Möglichen und Geschmackvollen liegt».[3]
Zwar ist die Beurteilung der «Dekoration» von Zwiefalten heute anders. Aber die Grundlagen Burckhardts wirken nach. Noch immer wird der Architektur und ihrem Schöpfer Priorität eingeräumt. Falls überhaupt, wird die «Dekoration» getrennt behandelt. Setzt sie sich über die Tektonik hinweg, wie dies im Rokoko fast immer und speziell in Zwiefalten der Fall ist, kann der moderne Kunsthistoriker zwar die einmalige Leistung der «Dekorateure» erkennen, bedauert aber gleichzeitig, dass im Spätbarock Maler, Bildhauer und Stuckateure nicht der Versuchung widerstehen können, die Architektur zu dominieren. Denn nur der gute und entwerfende Architekt scheint für den Kunsttheoretiker als Leiter eines Gesamtkunstwerkes geeignet. Dies erklärt auch die umfangreiche Forschung zur Sakralarchitektur von Fischer oder Neumann. Sie hat Starkultcharakter, verbunden mit einer unglaublichen Blindheit für die komplexen Kollektivplanungen im Barock, sei dies für Ottobeuren, für die Residenz von Würzburg oder für Zwiefalten.
Der zweite Schwerpunkt der Kunstwissenschaftler ist das gemalte Bild oder die Bildhaftigkeit des Innenraumes von Zwiefalten. Der damalig verantwortliche Abt Benedikt Mauz dürfte sich wundern, was die Kunstwissenschaft nach 250 Jahren alles in seine Schöpfung interpretieren muss, um den Raum zu verstehen.
Als erstes Beispiel soll eine Arbeit des Kunsthistorikers Nicolaj van der Meulen mit dem Titel «Weltsinn und Sinneswelten in Zwiefalten» dienen.[4] Eingangsthese ist die weltbewegende Feststellung, dass der spätbarocke Sakralraum nicht ohne seine Verbindung zur Liturgie zu verstehen ist. Er sieht im Innenraum von Zwiefalten eine Interaktion optischer, akustischer, taktiler und olofaktorischer Darstellungsformen, wobei die «peripatetische Perzeption» des Besuchers in Zwiefalten auf den Raum reagiert, der eine «Körpererfahrung anstrebt, die sämtliche Sinne in den Erfahrungsprozess integriert». Es wäre schön, man könnte eine Reaktion der Mönche des 18. Jahrhunderts auf solch wichtige Erkenntnisse sehen.
Eine weitere Hochschularbeit entdeckt im Thema des Langhaus-Deckenfreskos eine Totenkopfanomorphose. Die Arbeit scheint witzig, den Verfassern ist es aber Ernst.[5]
Michaela Neubert, die Spiegler-Biografin, sieht im marianischen Programm der Fresken gar eine strategische Antwort auf die zeitweilige Vormachtstellung des Jesuitenordens.[6]
Diese drei Beispiele von Bildbetrachtungen und Bildinterpretationen des Zwiefalter Innenraumes nützen höchstens ihren Verfassern. Für Zwiefalten bringen sie keine neuen Erkenntnisse. Vermisst wird dafür die praktische Bauforschung für den Gesamtkontext der barocken Schöpfung Zwiefaltens. Das entsprechende Interesse scheint sich wie überall bei barocken Klöstern auch in Zwiefalten nur auf die Kirche zu konzentrieren. Aber selbst hier fehlen zugängliche Veröffentlichungen der Restaurierungsberichte. Man betrachtet die Bauforschung, wo sie noch stattfindet, als Geheimwissenschaft. Und: Wo bleiben die Biografien der Bauäbte, die im Barock die Planung immer geprägt haben und mindestens gleiche Beachtung wie die grossen Baumeister verdienen?[7] Wo bleibt eine Würdigung der wassertechnischen Anlagen, die denen eines  Zisterzienserklosters ebenbürtig sind? Dazu ist selbstverständlich Kärrnerarbeit in verstreuten Archiven notwendig. Kaum verwunderlich, dass sich junge Kunsthistoriker bei dieser Sachlage auf die jedermann zugänglichen Bild- und Sinneswelten der Sakralräume des Spätbarock stürzen.

Gesamtkunstwerk?

Ein unbefangener Liebhaber barocker Räume und Bauwerke sieht in Zwiefaltens Rokoko-Innenraum ein Zusammenspiel der besten Kräfte mit dem Ziel, zur höheren Ehre der Muttergottes einen festlichen Raum zu schaffen, der zum Staunen anregen soll und als begehbare sakrale Schaubühne den Triumph der Kirche versinnbildlichen soll. Das «Höchstmass an festlich ausgebreiteter Pracht und sakraler Weihe» des Innenraumes von Zwiefalten darf deshalb als ein Gesamtkunstwerk des Barock bezeichnet werden. Der Kunsthistoriker Stefan Kummer[8] hinterfragt nun diese Bezeichnung bei Zwiefalten und Ottobeuren, auch bei der Hofkirche und dem Käppele in Würzburg, weil die tektonische Gestaltung des Innenraumes von den Beteiligten der Ausstattung, er nennt sie traditionell «Dekorateure», bewusst überspielt und ausser Kraft gesetzt wird. Erstaunlich, mit welchem Aufwand und Nachhall hier über einen Begriff gestritten wird, der in der Barockzeit für die meisten Räume und sogar für Klosteranlagen zutrifft und der für die Leistung des Abtes Benedikt, des Gesamtleiters Feichtmayr, des Freskanten Spieglers, des Stuckplastikers Christian und aller andern Künstlern in Zwiefalten absolute Gültigkeit hat. Wenn sich Barockexperten über die Bedeutung von Begriffen streiten und in unverständlichem Jargon Sinneswelten beschreiben, verwundert es nicht, wenn die Forschung an Ort tritt.

Pius Bieri 2010

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[1] Der hier vorliegende Exkurs kann durchaus als Pamphlet aufgefasst werden.

[2] Jacob Burckhardt: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel 1855.

[3] Zitat Hermann  Popp, in: Die Architektur der Barock und Rokokozeit, Stuttgart 1924.

[4] Nicolaj van der Meulen, Weltsinn und Sinneswelten in Zwiefalten, in: kunsttexte.de, Nr. 1, 2001. Eine weitere Arbeit von van der Meulen über das gleiche Thema in: Movens Bild – Zwischen Evidenz und Affekt, München 2008, S. 275–299.

[5] Rüdiger Blume und Gabriele Lachmann in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Heft 1/4, Berlin 1984.

[6] Diese Vormachtstellung ist, das entgeht der Autorin, 1750 längst nicht mehr bei den Jesuiten. Der massgebende Abt des Bildprogrammes ist zudem ein grosser Freund der Jesuiten. Michaela Neuberts Theorie in: Franz Joseph Spiegler 1691–1757 (Weissenhorn 2007) ist nicht nachvollziehbar.

[7] Die jüngste Quelle ist Pirmin Lindners Professbuch (1910).

[8] Stefan Kummer, in: Architektur und Dekoration des Zwiefalter Münsterraumes, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, Ulm 2000.

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ZweifaltenWiesner
Die Luftaufnahme (Bild Lucian Wiesner) zeigt das Münster von Nordosten.  
   
ZwiefaltenOG2
Plan des Klosters und des neuen Münsters auf der Höhe des ersten Obergeschosses. Die Planung von Johann Michael Fischer (1741) berücksichtigt die schon erstellten Türme und Fundamente im Langhaus. Alle Bilder für Vergrösserung bitte anklicken.  
ZwiefaltenGrRisse
Die Grundrisse des ausgeführten Bauwerks, oben auf dem Niveau der Empore (mit der heute nicht mehr vorhandenen Orgel), unten das Erdgeschoss-Niveau.  
ZwiefaltenInnen2
Die Parade der Doppelsäulen an den Wandpfeilern der Nordwand.  
ZwiefaltenInnen3
Die farblich aufeinander abgestimmten Stuckmarmorarbeiten und Fresken sind für die festliche Raumstimmung massgebend. Die Meister dieses Innenraumes sind Johann Michael Feichtmayr, Franz Joseph Spiegler und Johann Joseph Christian.  
ZwiefaltenSpiegler1
In die Vierungskuppel malt 1749–1750 Franz Joseph Spiegler das Fresko mit dem Thema der Verehrung der Gottesmutter Maria und ihres auferstandenen Sohnes durch die Heiligen.  
ZwiefaltenSpiegler2
Das Langhausfresko, 1751 von Franz Joseph Spiegler gemalt, stellt die Verehrung Mariens durch die Benediktinerheiligen dar. Das ikonographische Programm stammt von Abt Benedikt Mauz  
ZwiefaltenChristian
Johann Joseph Christian und Johann Michael Feichtmayr sind die Meister dieser Bildhauer- und Stuckarbeit, die das nördliche Gegenstück der Kanzel bildet. Sie stellt den Propheten Ezechiel dar, über dem Gottvater im Wolkenkranz schwebt  
ZwiefaltenWest
Die mächtige Westfassade, welche die ausgewogene Westfront von 1673 förmlich sprengt, ist ein gemeinsames Werk der Brüder Schneider und des Bildhauers Johann Joseph Christian von 1750–1753. An ihr ist Johann Michael Fischer nicht mehr beteiligt.  
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ZwiefaltenRek


Zwiefalten. Der Rekonstruktionsversuch von Otmar Freiermuth 1955 des Ausführungsplanes der Brüder Schneider ist in den Grundriss der Fischer-Kirche einkopiert.

 

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