Michael Beer I (um 1605-1666)

Baumeister, Begründer der Auer Zunft

Geboren um 1605 in Au-Argenau im Bregenzerwald, geht Michael Beer von 1622–1625 in die Lehre ins niederösterreichische Mistelbach an der Grenze zu Mähren. Sein Lehrmeister ist Maurermeister Hans Garttner. Die weite Distanz und der Zug nach Osten sind anfangs des 17. Jahrhunderts bei Bildhauergesellen üblich. Ihnen wird der knapp 18-jährige Beer gefolgt sein. Nach der Lehrzeit und während des ganzen Dreissigjährigen Krieges verbleibt er im Erzherzogtum Österreich, wird auch im Fürstbistum Salzburg und im Kurfürstentum Bayern gearbeitet haben. Die Klugheit und Energie, mit der er in dieser Zeit das italienische Erbe in der neuen Architektur dieser Länder studiert und aneignet, und damit die Grundlagen der Vorarlberger Schule schafft, sind erstaunlich. Sein erstes aktenkundiges Bauwerk[1] nach der Rückkehr in die Heimat ist die einfache Dorfkirche von Bludesch, 1651–1652. 1651 wird er von Fürstabt Giel von Gielsberg nach Kempten berufen, um die Stiftskirche und die Residenz zu bauen. Schon 1642 hat er sich von Jakob Kuen, der aus der fürstkemptischen Herrschaft Hohenegg stammt und nun in Bregenz wohnhaft ist, Pläne erstellen lassen. Es sind wohl diese Beziehungen zu Vorarlberg, sicher auch Referenzen aus der früheren, uns unbekannten Tätigkeit, die Fürstabt Giel von Gielsberg zur Berufung von Michael Beer bewegen. Es ist, knapp nach dem Ende des Dreissigjährigen Krieges, der grösste Bauauftrag im süddeutschen Bereich. Die kraftvolle Zusammenfassung von Elementen des süddeutschen Schlossbaus und der Sakralarchitektur von Salzburg, Innsbruck und Mailand ist nicht allein dem Vorarlberger Meister zuzuschreiben, die Architektur ist auch ein Verdienst des mitplanenden Fürstabtes. Nach dem Baubeginn am Konventgebäude wird 1652 der Grundstein zum Kirchenneubau gelegt, aber schon im Oktober 1653 trennt sich der Abt von Beer und setzt den Misoxer Baumeister Giovanni Serro an dessen Stelle. Das Langhaus ist zu diesem Zeitpunkt schon eingewölbt, wird aber von Serro wieder abgebrochen und erhöht. Über die Gründe der Trennung ist nichts bekannt, vielleicht ist es das nicht genehme, nieder angesetzte und korbbogige Gewölbe.
Michael Beer heiratet relativ spät, mit fast 50 Jahren, am 25. Januar 1654 eine Tochter aus vermögender Familie, Maria Metzler. Sie stirbt 1660 bei der Geburt des vierten Kindes, das später als Franz Beer II von Bleichten der grösste Vorarlberger Baumeister sein wird. Mit der zweiten Ehefrau Anna Seiler aus Au hat Michael Beer drei weitere Kinder.
Für den Neubau des Benediktinerpriorats Hofen bei Buchhorn (Friedrichshafen) bewirbt er sich in Weingarten mit einem «Unterangebot». Er will das Prestigeobjekt in seiner Heimatgegend nicht den Konkurrenten überlassen, die zu dieser Zeit noch immer die Misoxer Baumeister sind. Er kann das Bauvorhaben 1654–1661 ausführen.
1657 gründet er die Auer Zunft, ein Berufsverband und gleichzeitig eine kirchliche Bruderschaft, die bis 1787 insgesamt 1814 Lehrlinge ausbildet. Michael Beer selbst bildet 18 Lehrlinge aus, zu den ersten zählen die Brüder Michael und Christian Thumb.
Inzwischen ist Michael Beer ein gesuchter Baumeister im Bistum Konstanz geworden. Er baut in für die Benediktiner in Isny, für die Augustiner-Chorfrauen in Inzigkofen, für die Augustiner-Chorherren in Kreuzlingen, für die  Zisterzienserinnen in Rottenmünster, für die Jesuiten in Rottenburg am Neckar, Ebersberg und Landshut, für die Dominikanerinnen in Bludenz, aber auch für das Haus Hohenzollern in Sigmaringen.
Ein kleines, aber wichtiges Werk ist die Frauenkapelle von Fischen im Allgäu, 1664–1666 erbaut. Gekonnt verbindet er hier einen Längsbau mit einem Zentralbau, wie eine ländliche Variante der Stiftskirche von Kempten. Er kann dieses Werk nicht mehr zu Ende führen: Auf dem Heimritt von Ebersberg am 30. Mai 1666 will er die hochgehende Bregenzerache zwischen Au und Schoppernau überqueren. Pferd und Reiter werden von den Fluten mitgerissen. Michael Beer ertrinkt und wird am folgenden Tag bei Unterargenstein gefunden.

Pius Bieri 2008

Literatur:
Lieb, Norbert und Dieth Franz: Die Vorarlberger Barockbaumeister, München und Zürich 1966.


Anmerkung:
[1] Franz Dieth und Norbert Lieb (in: Vorarlberger Barockbaumeister) schreiben Michael Beer als erstes Bauwerk die Planung der Kreuzlinger Klosterkirche (1650) zu. Sein erstes nachweisbares Profanbauwerk ist der Neubau des «Kapuzinerhauses» im Damenstift Schänis. 1649 erstellt er hier einen dreigeschossigen Bau, der 1782 in den neuen Südflügel integriert wird.

Werkauswahl:

1649 Schänis (CH), Damenstift. «Kapuzinerhaus» am Konventgebäude, heute Teil des Südflügels.
1650 Kreuzlingen (CH), Augustiner-Chorherrenstift. (Zuschreibung) Planung und Leitung des Kirchenneubaus 1650/52. > Baudoku in dieser Webseite.
1651–1652 Bludesch (A), Pfarrkirche Hl. Jakobus. Neubau.
1651–1653 Kempten (D), Benediktiner-Fürstabtei. Neubau von Klosterkirche und Residenz, vollendet von Giovanni Serro. > Baudoku in dieser Webseite
1652 Isny (D), Benediktinerabtei. Planungen.
1652 Rottenburg (D), Jesuitenkolleg. Neubau Kolleggebäude.
1653–1654 Bludesch (A), Schloss Jordan. Neubau als Sommer-und Jagdsitz (Verfall nach 1808, heute Ruine).
1654–1661 Hofen Friedrichshafen (D), Benediktinerpriorat. Neubau Konventflügel (West und Eckflügel Südwest). > Baudoku in dieser Webseite.
1656 Bludenz (A), Dominikanerinnenkloster
St. Peter.
Erweiterung, Ausbau.
1656–1657 Isny (D), Benediktinerabtei. «Neuer Bau» und Konventgebäude. > Baudoku in dieser Webseite.
1656–1660 Schussenried (D)
Prämonstratenserabtei
Planung der Konvent- und Ökonomie-Neubauten, wahrscheinlich auch Leitung der Ausführung. > Baudoku in dieser Webseite.
1657–1658 Rankweil (A), Frauenbergkapelle. Erweiterung, Anbau der Loretokapelle.
1658–1659 Sigmaringen (D), Schloss der Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Wiederaufbau.
1659–1663 Inzigkofen (D), Augustinerinnen-Chorfrauenstift. Neubau Konvent und Kirche.
1660 Sigmaringen (D), Josephskapelle. Umgestaltung des Baus von  Giovanni Albertalli (1629).
1661–1669 Rottenmünster (D), Zisterzienserinnen-Stift. Neubau Kirche.
1662 Haigerloch (D), Schloss der Grafen Hohenzollern-Sigmaringen. Umbau, Erhöhung um ein Stockwerk.
1662–1665 Tübingen (D), Stipendium Martinianum, Münzgasse 13. Neubau Studentenhaus.
1664–1666 Fischen im Allgäu (D), Frauenkapelle. Neubau.
1664−1665 Kreuzlingen (CH), Augustinerchorherrenstift. Wiederaufbau Sommerschloss Seeburg.
1665–1668 Kreuzlingen (CH), Augustinerchorherrenstift. Neubau der Konventgebäude. > Baudoku in dieser Webseite.
1665–1669 Rottenmünster (D), Zisterzienserinnen-Stift. Neubau Stiftsgebäude. Fertigstellung Peter Willi und Michael Thumb.
1665–1666 Landshut (D), Jesuitenkolleg. Kollegneubau, ab 1667 durch Michael Thumb. Leiter des Baus ist Br. Heinrich Mayer SJ. Fertigstellung durch Michael Thumb.
1666 Luzern (CH) Jesuitenkirche. Planungsbeteiligung im Projektstadium, mit Michael Thumb. > Baudoku in dieser Webseite.
1666 Ebersberg (D), Jesuiten-Studienanstalt und Wallfahrtskirche. Neubau Konvent und Vorbau Kirche. Wieder mit Br. Heinrich Mayer SJ. Nur Planung. Ausführung durch Johannes Moosbrugger 1666−1668.
  Michael Beer I (um 1605-1666)  
  Biografische Daten        
  Geburtsdatum Geburtsort     Land  
  um 1605 Au-Argenau, Bregenzerwald   Vorarlberg A  
    Land 18.Jh.     Bistum 18.Jh.  
    Vorderösterreich OA Bregenz   Konstanz  
  Sterbedatum Sterbeort     Land  
  30. Mai 1666 Au-Argenau Bregenzerwald   Vorarlberg A  
    Land 18. Jh.     Bistum 18. Jh.  
    Vorderösterreich OA Bregenz   Konstanz  
  Kurzbiografie        
 

Michael Beer ist der Gründervater der Auer Zunft. Die Ausbildungspraxis der Zunft sorgt für einen ausgezeichneten Nachwuchs. Die Vorarlberger Baumeister werden zu wichtigen Vertretern des süddeutschen Hoch- und Spätbarock. Michael Beer wird mit dem Auftrag des Kemptener Kloster- und Stiftskirchenneubaus, dem grössten Bauauftrag im oberdeutschen Raum der Jahre nach dem Dreissigjährigen Krieg, auf einen Schlag bekannt. Zwar muss er diesen Bau schon nach kurzer Zeit an die noch immer besser in italienischer Baukunst ausgebildeten Misoxer abtreten. Aber bei den geistlichen Bauherren des Bistums Konstanz und vor allem bei den damals wichtigsten Aufraggebern, den Jesuiten, kann er sich anschliessend hervorragend einführen.

    BeerFischen  
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Die Frauenkapelle in Fischen ist das letzte Werk von Michael Beer. Im kleinen Bauwerk folgt auf den Gemeindesaal ein Querhaus mit zentraler und sehr hoher Kuppel, daran anschliessend ein Rundchor. Die unbekümmerte Addition mit starken Richtungsdivergenzen ist bezeichnend für die allem akademischen Denken ferne Handwerklichkeit, die seine Bauten auszeichnet.
Bildquelle: Vorarlberger Barockbaumeister1966.