Materno und Augustin Bossi, Stuckateure in Franken

Materno Bossi (1737–1802)

Hofstuckateur in Würzburg
Materno Vespasiano wird am 18. Juli 1737 als dritter Sohn der Eheleute Natale Bossi und Clara Daldini in Porto Ceresio geboren. Über seine Lehrzeit ist nichts bekannt. Um 1755 hält er sich als junger Geselle bei seinem Onkel Giuseppe Antonio in Würzburg auf. Der geniale Meister des Würzburger Rokoko wird um diese Zeit von einer psychischen Krankheit heimgesucht, die 1757 auch zu einer vorübergehende Einlieferung ins Bürgerspital führt. Vielleicht ist dies der Grund, dass er sich nach Ludwigsburg zu seinem älteren Bruder Ludovico begibt, der dort als Hofstuckateur am Schloss Monrepos arbeitet. 1762 ist er Trauzeuge von dessen Heirat in Stuttgart. Auch sein jüngerer Bruder Agostino arbeitet jetzt im Trupp Ludovicos. 1764 folgen Materno und Agostino ihrem Bruder nach Würzburg, der nach dem Tod des Onkels für die Fertigstellung der Stuckarbeiten in der Residenz bis 1766 leitender Stuckateur im Hochstift Würzburg wird. Materno, dessen frühklassizistische Entwürfe und Arbeiten in der Residenz sehr einfühlsam auf den Rokoko seines Onkels eingehen, bleibt zusammen mit seinem Bruder Agostino in Würzburg. 1769 wird er Hofstuckateur. 1771 heiratet er die Tochter des Hofkonditors, Josepha Amadey (1752–1796). Die Ehe bleibt kinderlos. Bossi wird teils durch Erbschaft, teils durch Kauf Liegenschaftsbesitzer in Würzburg. Seine Werkstatt führt er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Agostino, der sich nun Augustin schreibt. Bei vielen Ausführungen der Werkstatt Bossi, vor allem im Hochstift Bamberg, ist Augustin für Entwurf und Ausführung zuständig. Die Handschrift der Brüder ist so ähnlich, dass Unterscheidungen auch deshalb schwierig sind, weil alle Aufträge über Materno laufen. Wichtige Werkstatt-Mitglieder sind auch die Brüder Petrolli, die später die Werkstatt übernehmen.[1] Die meisten Stuckausstattungen erstellt die Werkstatt in Würzburg, für die Räume der Residenz, für Kirchen und Bürgerhäuser. Hier sind die Arbeiten sicher Materno zuzuordnen. Ein speziell erwähnenswertes Werk ist der grosse Kronleuchter im Treppenhaus der Residenz. Er ist, wie fast alle Werke in Würzburg, seit 1945 zerstört. Nur die Paradezimmer der Jahre 1767–1770 und die Zimmer des sogenannten Ingelheim-Traktes von 1776–1779 in der Residenz werden in der Nachkriegszeit rekonstruiert und zeigen die Fähigkeit Bossis, seine Schöpfungen den schon vorhandenen Werken der Vorgängergeneration anzupassen. Die zeichnet ihn gegenüber den meisten seiner Zeitgenossen aus.
Das wichtigste Werk der Brüder Bossi, das unzerstört erhalten ist, ist in Ebrach zu besichtigen. Abt Wilhelm II. Rosshirt erteilt Materno Bossi um 1775 den Auftrag für eine neue Innenraumgestaltung der frühgotischen Abteikirche. Der Umbau von 1776 bis 1787 stellt eine Meisterleistung dar, die zum Glück selbst im 19. Jahrhundert Anerkennung findet und deshalb nicht purifiziert wird. Bossi verfremdet den mittelalterlichen Raum von Ebrach unter der Bewahrung seiner Tektonik, aber im völligen Ersatz der plastischen gotischen Werkstücke. Die Dienste werden korinthische Säulen, der gotischen Vertikalbestrebung wird unter den Fenstern ein kräftiges Horizontalgesims entgegengesetzt, den Gewölbekappen verpasst er eine Kassetierung. Und im Gegensatz zur üblichen Eintönigkeit des Klassizismus herrscht hier eine festliche Farbstimmung. Auch in Ebrach integriert Bossi die vorhandene barocke Ausstattung in überlegener Weise.
Mit dem kurmainzischen Hofmaler Joseph Ignaz Appiani ist die Familie Bossi verschwägert. Im siebenten Lebensjahrzehnt findet der vom klassizistischen Gedankengut noch völlig unberührte Maler dank Fürsprache von Materno Bossi in Würzburg, Heidenfeld und Triefenstein Arbeit.[2] Diese Unterstützung des alten Appiani ehrt Materno Bossi.
Er stirbt am 28. August 1802 im 66. Altersjahr in Würzburg.[3] In der Kirche St. Peter und Paul erhält er ein schlichtes Grabmonument. Sein grosses Vermögen vererbt er der Ehefrau und den zwei Töchtern seines schon 1799 verstorbenen Bruders.

Augustin Bossi (1740–1799)

Bamberger Hofstuckateur
Agostino wird am 30. August 1740 als vierter Sohn der Eheleute Natale Bossi und Clara Daldini in Porto Ceresio geboren. Mit 15 Jahren kommt er mit seinem älteren Bruder Materno nach Würzburg, wo er in der Werkstatt des Onkels Giuseppe Antonio ausgebildet wird. Nach seiner Lehrzeit geht er, wieder mit Materno, zu Ludovico Bossi, dem in Stuttgart als Hofstuckateur tätigen ältesten Bruder. 1764 sind alle drei Brüder im Dienste des Würzburger Fürstbischofs Adam Friedrich von Seinsheim in Würzburg und Werneck tätig. Ludovico kehrt 1766 nach Stuttgart zurück, Agostino und Materno bleiben in Würzburg, wo Materno als Hofstuckateur eine erfolgreiche Werkstatt führt. 1771 wird Agostino, der sich nun Augustin nennt, eine Bestallungsurkunde als fürstlich-bambergischer Hofstuckateur ausgestellt, die allerdings nur als Titelverleihung betrachtet werden muss. Denn Augustin Bossi ist so in die Würzburger Werkstatt seines Bruders integriert, sodass eine Zuordnung seines Anteils am Schaffensprozess nicht möglich ist. Praktisch alle Werke der Bossi-Werkstatt müssen als gemeinsame Arbeiten der beiden Brüder Materno und Augustin betrachtet werden, wobei Augustin vor allem im Fürstbistum Bamberg selbstständig tätig ist. Dies trifft auch für den 1778 erstellten freistehenden Hochaltar der Wallfahrtskirche von Dettelbach zu. Dieser wird in Entwurf und Ausführung allein Augustin zugeschrieben. Hier in Dettelbach lernt Augustin die Tochter des Gotteshauspflegers Johann Heinrich Zehr, Maria Agnes (1757–1816), kennen und heiratet sie im gleichen Jahr. Wohnsitz nimmt das junge Ehepaar im elterlichen Gasthaus «Zum Wilden Mann» in der Falterstrasse. Bei vier der acht Kinder aus dieser Ehe sind Materno Bossi und dessen Ehefrau die Paten. Allerdings erreichen nur zwei Töchter und der erstgeborene Sohn das Erwachsenenalter, dieser stirbt aber noch vor dem 20. Lebensjahr. Augustin Bossi stirbt am 9. Dezember 1799 im Alter von 59 Jahren in Dettelbach.[4]

Pius Bieri 2011

Literatur:

Sedlmaier, Richard und Pfister, Rudolf: Die fürstbischöfliche Residenz zu Würzburg. München 1923.
Röhlig, Ursula: Bossi, Materno, in: Neue Deutsche Biographie 2, Seite 486. München 1955.
Friedrich, Verena: Die Stukkatorenfamilie Bossi in Franken, in: Frankenland, Zeitschrift für fränkische Landeskunde und Kultur, Heft 12. Würzburg 1999.
Visosky-Antrack, Iris: Materno und Augustin Bossi. München Berlin 2000.
Rheinfelder Konrad: Dettelbachs Stuckator Augustin Bossi und seine Nachkommen, in: Dettelbacher Geschichtsblätter Nr. 251 im 32 Jahrgang, 2006.

Links:

http://www.deutsche-biographie.de/pnd119533421.htmlhttp://www.treccani.it/enciclopedia/materno-bossi_%28Dizionario-Biografico%29/
Stammbaum der Künstlerfamilie Bossi in: www.tessinerkuenstler-ineuropa.ch

Anmerkungen:

[1] Joseph Anton Petrolli (1753–1817) und Joseph Ignaz Petrolli (1757–1828), in Würzburg geboren, als Söhne eines aus Lugano eingewanderten «Jos Petroly, civis et Scriniariy zu Lucana in Welschland». Taufpaten sind 1753 Giuseppe Antonio Bossi und Felice Bossi.

[2] Er stirbt während der Arbeit in Triefenstein 78-jährig. Die Ausführung übernimmt Januarius Zick.

[3] Auf dem Epitaph ist das Alter falsch mit 63 Jahren vermerkt. Da die Tauf- und Sterbeeinträge Materno Bossis quellenmässig belegt sind, zeigt dies die Fehlerwahrscheinlichkeit aufgrund von überlieferten Altersangaben auf Grabsteinen. Siehe auch Augustin Bossi.

[4] Der Sterbeeintrag gibt hingegen das Alter von 54 Jahren und sechs Monaten an.

 

Werke von Materno und Augustin Bossi:

Wichtige gesicherte, ausgeführte Werke und Zuschreibungen.
Jahr Arbeitsort Werk Zustand
1767–1770 Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz. Stuck der nördlichen Paradezimmer. Rekonstruiert.
1767–1769 Fuchsstadt. Kirche Mariä Himmelfahrt. Stuck, Altäre und Kanzel. Erhalten.
1770–1771 Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz. Opernsaal und Bühne im Nordblock. Zerstört.
1770–1775 Memmelsdorf. Schloss Seehof. Grotte. Zerstört.
1771 Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz. Fürstensaal im Nordblock. Rekonstruiert.
1771–1774 Veitshöchheim. Schlosspark. Gartenpavillon. Grotte. Teilzerstört.
1772–1773 Bamberg. Fürstbischöfliche Residenz.
Strassenflügel und Eingangsflügel.
Stuckausstattung der Räume 40–47, 17 und 18 im ersten Obergeschoss.  Erhalten.
1772–1774 Würzburg. Kollegienkirche (St. Michael). Stuck im Langhaus. Kanzel. Fresken Joseph Ignaz Appiani. Zerstört.
1770–1774 Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz. Treppenhaus. Hängeleuchter. Zerstört.
1772–1776 Kissingen. Obere Saline. Raumstuckierungen und Kapelle. Zerstört.
1773 Aub. Fürstbischöfliches Landschloss. Stuck und Zimmereinrichtungen. Zerstört.
1774 Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz. Kanzel in der Hofkirche. Erhalten.
1774–1788 Kissingen. Pfarrkirche St. Jakobus d. Ä. Stuck, Altäre, Kanzel. Erhalten.
1775 Forchheim. Oberamtshaus. Stuck im zweiten Obergeschoss. Erhalten.
1776–1777 Gaukönigshofen. Pfarrkirche. Stuck. Erhalten.
1776–1779 Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz. Stuck der «Ingelheim-Zimmer». Rekonstruiert.
1776–1787 Ebrach. Zisterzienserabtei. Stiftskirche Mariä Himmelfahrt. Gesamt-Neuausstattung mit Stuck, Altären und Gestühl. Erhalten.
1777–1779 Ansbach. Katholisches «Bethaus». Raumstuck und Altäre. Teilzerstört.
1778–1779 Dettelbach. Wallfahrtskirche Maria in den Weinbergen. Gnadenaltar. Erhalten.
1780 (um) Würzburg. Wohnhaus Blasiusgasse 9. Festsaal. Zerstört.
1780 Mergentheim. Deutschordensschloss. Kapitelsaal. Erhalten.
1781–1782 Eichstätt. Schönbornhof, heute Hof Walderdorff. Raumstuckierungen in der Beletage. Teilzerstört.
1783–1784 Heidenfeld. Augustinerchorherrenstift. Stiftskirche St. Maurizius Stuck. Ausstattung (heute verlegt). Fresken Joseph Ignaz Appiani. Zerstört.
1784 Würzburg. Wohnhaus Materno Bossi Theaterstrasse 20. Stuck der Beletage. Zerstört.
1784–1786 Triefenstein. Augustinerchorherrenstift. Stiftskirche St. Peter und Paul. Stuck, Altäre, Kanzel und Chorgestühl. Fresken Joseph Ignaz Appiani und Januarius Zick. Erhalten.
1786–1787 Wipfeld. Pfarrkirche St. Johannes Baptist. Stuck und Hochaltar. Erhalten.
1787–1788 Zellingen. Pfarrkirche St. Georg. Stuck, Altäre und Kanzel. Erhalten.
1788 (um) Bocklet. Kuranlagen. Fürstenbau. Stuck. Zerstört.
1789–1790 Würzburg. Kirche St. Kilian im Juliusspital. Raumstuck. Hochaltar. Kanzel. Zerstört.
1789–1790 Amerdingen. Schloss der Schenken von Stauffenberg. Raumstuck. Erhalten.
1790 (um) Würzburg. Wohnhäuser Theaterstrasse 22 und Hofstrasse 3. Stuck diverser Räume und einer Enfilade. Zerstört.
1790–1796 Kirchheim. Pfarrkirche St. Michael und St. Sebastian. Raumstuck. Altäre. Kanzel. Erhalten.
1790 Bamberg. Curia St. Pauli.  Obere Karolinenstrasse 5. Stuck der Beletage. Erhalten.
1793 Werneck. Schlosskapelle. Kanzel. Erhalten.
1793–1794 Kitzingen. Pfarrkirche St. Johannes Baptist. Kanzel Erhalten.
1794 Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz. Gesandtenbau. Stuck im Treppenhaus und in den Räumen. Zerstört.
1796–1797 Würzburg. Kollegienkirche (St. Michael). Stuck im Chor und Altäre. Zerstört.
 

 

  Materno Bossi (1737–1802)  
  Biografische Daten        
  Geburtsdatum Geburtsort     Land  
  18. Juli 1737 Porto Ceresio   Varese I  
    Land 18.Jh.     Bistum 18.Jh.  
    Herzogtum Mailand   Como  
  Sterbedatum Sterbeort     Land  
  28. August 1802 Würzburg   Bayern D  
    Land 18. Jh.     Bistum 18. Jh.  
    Hochstift Würzburg   Würzburg  
  Kurzbiografie        
  Bei allen Werken des in Porto Ceresio geborenen, aber schon mit 18 Jahren bei seinem Onkel in Würzburg arbeitenden Materno Bossi muss auch sein Bruder Augustin Bossi mit erwähnt werden. Denn die beiden Brüder arbeiten und entwerfen gemeinsam. Materno wird nur deshalb fast immer als einziger genannt, weil alle Aufträge über ihn laufen. Materno und Augustin schaffen den Übergang vom Rokoko zum Frühklassizismus spielend. Ihre Werke integrieren sich auch in barocke Umgebungen, wie die Kanzel in der Hofkirche oder die nördlichen Paradezimmer der Residenz Würzburg. Wirklicher Höhepunkt ihres Schaffens ist die Umgestaltung des (schon barockisierten) Innenraums der gotischen Stiftskirche von Ebrach.
    BossiEbrach  
  bio pdf werkliste     legende  
Materno Bossi und Augustin Bossi gestalten 1778 bis 1787 die gotische Zisterzienserkirche Ebrach frühklassizistisch um. Mit grossem Einfühlungsvermögen in die schon bestehende barocke Ausstattung schaffen sie ein unvergleichliches Meisterwerk, das glücklicherweise keiner Purifizierung zum Opfer fällt. Bild: Der Hochaltar mit Figuren von Joh. Peter Alexander Wagner.