Die Castelli aus Melide
Eine
Tessiner Stuckatorenfamilie des 17. und 18. Jahrhunderts[1]
Castelli oder de Castello, wie der Name in lateinisch abgefassten Kirchenbüchern auch geschrieben wird, ist ein verbreiteter Familienname im südlichen Tessin und im angrenzenden Oberitalien. Verschiedene Familienstämme wirken als Baumeister und Stuckateure ausserhalb ihrer engeren Heimat. Die meisten der bekannten Meister stammen aus Bissone und Melide. Die beiden Dörfer am Luganersee sind noch im 18. Jahrhundert mit einer Fähre verbunden. Der wohl berühmteste des Familienstamms Castelli-Brumini aus Bissone ist Francesco Castelli (1599–1667), der in Rom unter dem Namen Borromini Architekturgeschichte schreibt. Die Stuckateure und Baumeister mit Namen Castelli oder Castello, die im Norden der Alpen erwähnt werden, stammen meist aus Melide. Sie sind alle hier geboren. Sofern sie nicht eine Stelle am Fürstenhof, eine Familiengründung oder dringende Winterarbeiten zum Bleiben veranlasst, halten sie sich vom November bis März in ihrer Heimat auf.
Giovanni Pietro wird 1670 in Melide als Sohn des Paolo und der Maria Francesca Lucchese Wir hören erstmals von Giovanni Pietro, als er 1695 bei einer Bewerbung für das Schloss Ehrenburg in Coburg abgewiesen wird. Die ebenfalls aus Melide stammenden Altersgenossen Bartolomeo und Carlo Domenico Lucchese werden für den Auftrag vorgezogen. Bartolomeo nennt Giovanni Pietro «Vetter Hofstuccador zu Eisenach» und weist damit auf die Verwandtschaft mütterlicherseits hin. Die Lucchese sind um die Jahrhundertwende die wichtigsten Stuckateure des Hochbarock in Südthüringen und in der Oberpfalz.[2] Sie sind verschwägert mit dem in Franken wirkenden Stuckateur Giovanni Battista Brenni aus Salorino.[3] In seinem Trupp und zusammen mit Paolo Gerolamo Brenni, dem Neffen von Giovanni Battista, scheint Giovanni Pietro Castelli bis um 1698 tätig zu sein.[4] Den Verbindungen zur Familie Brenni und damit zum Münchner Hofbaumeister Enrico Zuccalli könnte er seine ersten nachgewiesenen Aufträge zu verdanken haben.[5] So kann er in Bonn 1699–1700 in der Michaelskapelle auf dem Godesberg und in der Schlosskapelle des neuen kurfürstlichen Schlosses, einem Bauwerk von Enrico Zuccalli, die Stuckausstattung erstellen. Nach Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges und der Besetzung Kurkölns durch kaiserliche Truppen geht Castelli 1702 wieder nach Thüringen. Als Hofstuckateur zu Eisenach ist sein Trupp hauptsächlich in der Residenz beschäftigt. Er arbeitet getrennt vom Trupp der Lucchese, die in Römhild und anschliessend am Schlossbau von Meiningen arbeiten und bei denen ein Cipriano Castelli aus Bissone vermerkt ist. Aber fast immer ist nun sein Bruder Carlo Antonio mit erwähnt. Ihre Wirkungsstätten sind Weissenfels (Schloss und Fürstenhaus, um 1708), Arnstadt (Schloss 1709–1710), Altenburg (Schloss und Teehaus 1711–1712), Gotha (Schloss Friedrichsthal 1710–1714). Im Trupp sind nun auch seine Söhne Carlo Pietro und Giovanni Domenico, um diese Zeit noch als Lehrlinge.[6] Ein wichtiges Werk dieser Periode ist das kurmainzische Statthalterpalais in Erfurt, das nach Plänen von Maximilian von Welsch 1711–1720 gebaut wird und dessen Stuckausstattung 1717–1719 durch die Werkstatt des Giovanni Pietro Castelli ausgeführt wird. Um diese Zeit beginnen sich seine Arbeiten vom plastischen Hochbarock den feinen französischen Laub-und-Bandelwerk-Grotesken nach dem Vorlagewerk der Franzosen Jean Berain und Daniel Marot zu nähern.[7] Um 1720 arbeitet der Castelli-Trupp erneut für den aus dem französischen Exil zurückgekehrten Kölner Kurfürsten am Residenzbau in Bonn.[8] 1723 werden die Brüder Castelli nach Würzburg gerufen, wo Maximilian von Welsch die Planung der Residenz für Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn leitet.[9] Vorerst ist Carlo Antonio zusammen mit dem Pariser Architekten Germain Boffrand an der Planung der Innenräume des Nordblockes tätig, wofür auch Modelle erstellt werden.[10] 1724–1726 wird die Régence-Stuckausstattung durch den Trupp der Castelli ausgeführt.[11] Sie stuckieren für Fürstbischof Christoph von Hutten gleichzeitig Räume des «Huttenschlösschens» und des Juliusspitals, 1727–1728 auch das von Balthasar Neumann für Füstbischof von Hutten gebaute Schloss Steinbach. 1728–1730 arbeiten die Castelli im kurkölnischen Schloss Augustusburg in Brühl, wo sie unter der Leitung von François de Cuvilliés und Michael Leveilly stuckieren.[12] Die Arbeiten in Brühl sind bereits ein Gemeinschaftswerk seiner Söhne mit ihrem Compagnon Carlo Pietro Morsegno. Wie weit die beiden Brüder, Vater Giovanni Pietro und Onkel Carlo Antonio um diese Zeit mitwirken, ist trotz ihrer Namensnennungen bei Bauten noch bis 1734 unklar. Giovanni Pietro Castelli stirbt 1732.
Pius Bieri 2011, rev. 2015
Er ist der 1672 geborene, jüngere Bruder von Giovanni Pietro und arbeitet meist an den gleichen Orten. Offensichtlich ist er gleichberechtigter Partner, wie dies 1723 seine alleinige Anwesenheit in Würzburg zeigt, wo er die Residenzausstattung mit Germain Boffrand plant. Auch von ihm fehlen nähere Lebensdaten.
Pius Bieri 2011
Benutzte Literatur: |
Baier-Schröcke, Helga: Der Stuckdekor in Thüringen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Berlin 1968. |
Döry, Ludwig Baron, Die Tätigkeit italienischer Stuckateure 1650–1750 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme von Altbayern, Schwaben und der Oberpfalz, in: Arte e artisti dei laghi lombardi, Como 1964. |
Döry, Ludwig Baron: Castelli, in: Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 21 (1978). |
Freivogel, Thomas: Der Stuckzyklus von Antonio Castelli im Schloss Spiez – Versuch einer Deutung, in: ZAK Band 46, Heft 1, Zürich 1989. |
Jahn, Wolfgang: Sukkaturen des Rokoko, Sigmaringen 1990. |
Rinn, Barbara: Stuckateure des 17. Und 18. Jahrhunderts nördlich des Mains, in: Tagungsbericht ICOMOS, Würzburg 2008. |
Links: |
Historisches Lexikon der Schweiz |
Tessiner Künstler in Europa |
Anmerkungen:
[1] Die Forschung über die in Deutschland tätigen Stuckateure der Familien Castelli aus Melide und Bissone ist noch sehr rudimentär. Für die verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Familienstämme siehe den Stammbaum in der private Webseite von Ursula Stevens:
Tessiner Künstler in Europa, Stammbaum Castelli (pdf).
[2] Der Name Lucchese hat sich für Luchese oder Lucchesi in der deutschen Kunstgeschichte eingebürgert. Bartolomeo ist entwerfender und führender Maler-Stuckateur, Carlo Domenico Stuckateur. Ihr Geburtsort ist Melide. Sie sind mit Jahrgang 1663 und 1666 nur wenig älter als ihr Cousin Giovanni Pietro Castelli.
[3] Giovanni Battista II Brenni (1649–1712) aus Salorino bei Mendrisio, übernimmt 1694 Aufträge in Ebrach anstelle seines verstorbenen Neffen Giulio Francesco. Die Mitglieder der Familie Brenni werden in der deutschen Kunstgeschichte als Brenno geschrieben.
[4] Nach Lucia Pedrini Stanga in HLS (2003). Die Angaben der Wirkungsorte Würzburg, Schillingsfürst und vor allem Bielefeld sind aber nicht nachvollziehbar. Paolo Gerolamo Brenni (1673–1698) ist Sohn des Giovanni Prospero Brenni (1638–1696) aus Salorino.
[5] Giovanni Prospero Brenni stuckiert zwischen 1675 und 1681 unter der Leitung von Enrico Zucalli in der Theatinerkirche und in der Residenz von München.
[6] Die Lebensdaten der Söhne Carlo Pietro und Giovanni Domenico sind nicht erforscht. Sie gründen 1723 eine Werkstattgemeinschaft mit Carlo Pietro Morsegno aus Lugano und sind bis 1753 in Kurköln mit Werken vertreten. Ihre Geburt muss zwischen 1695 und 1705 liegen (Das Geburtsdatum des Vaters ist von Ursula Stevens mit 1670 erforscht worden). Sie können um 1710–1715 nur als Lehrlinge tätig sein.
[7] Die Vorlagen von Jean Berain (1640–1711) werden 1703 bei Jeremias Wolf 1703 in Augsburg veröffentlicht. Das Vorlagenwerk von Daniel Marot (1661–1752) erscheint 1712 in Amsterdam. Eugenio Castelli ist Stuckateur im Schloss Oranienstein an der Lahn, das 1704–1708 nach Plänen von Daniel Marot barock umgebaut wird.
[8] Bauherr ist der Erzbischof und Kurfürst Joseph Clemens von Bayern (1671– 1723), der nach Aufhebung der Reichsacht gegen seine Person ab 1715 die Residenz in Bonn mit Robert de Cotte weiterbaut. Die Söhne Carlo Pietro und Giovanni Domenico führen nach 1723 die Tätigkeit der Castelli-Werkstatt in Bonn weiter, nun als Werkstattgemeinschaft mit Carlo Pietro Morsegno, und jetzt unter dem neuen Kurfürsten Clemens August von Bayern.
[9] Der Stuckateur Carlo Antonio Castelli wird vom Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn dem aus Wien empfohlenen Stuckateur Giovanni Maria Antonio Tencalla (aus Bissone, dem Nachbardorf von Melide) vorgezogen, weil der «noch letzthin zu Bonn sehr gute Proben von seiner Geschicklichkeit gegeben» habe.
[10] Germain Boffrand (1667–1754), Mitglied der Königlichen Architekturakademie und «Premier architecte» des Herzogs von Lothringen.
[11] Nach klassizistischem Umbau und Zerstörung 1945 heute nur noch rudimentär erhalten. Ein Dutzend Ausführungspläne von Giovanni Pietro Castelli geben Ausschluss über die Arbeiten.
[12] François de Cuvilliés (1695–1768), Hofbaumeister am Münchner Hof, Schöpfer der Amalienburg mit den Stuckaturen von Johann Baptist Zimmermann.
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Jahr | Ort und Bauwerk | Werk, Bemerkungen | Zustand |
1698 (vor) |
Schillingsfürst. Altes Schloss. |
Stuckaturen. Mit Paolo Gerolamo Brenni. | Zerstört. |
1698– 1699 |
Bonn. Michaelskapelle auf dem Godesberg. | Gewölbe-Stuckaturen und Stuckmarmor-Altäre. | Erhalten. |
1699– 1700 |
Bonn. Kurfürstliches Schloss. |
Stuckaturen im neuen Schlossbau der Architekten Enrico Zuccalli und Antonio Riva. Die letzten noch erhaltenen Arbeiten werden 1944 zerstört. | Zerstört. |
1701– 1706 |
Würzburg. Dom. | Stuckaturen, als Mitarbeiter im Trupp von Pietro Magno. Zerstörung 1945. | Zerstört. |
1703 |
Mergentheim. Maria-Hilf-Kapelle. |
Stuckmarmor-Hochaltar und Stuck. Stichvorzeichnung (Innenraum) «Petrus Castelli fecit et delineavit» ist erhalten. | Zerstört. |
1705 | Eisenach. Alte Residenz. | Stuckaturen im Saalbau. | Zerstört. |
1708 |
Weissenfels bei Naumburg. Schloss Augustusburg |
Stuckaturen, mit Abondio Minetti. | Zerstört. |
1709 |
Eisenach. Fürstlicher Lustgarten. |
Grottierarbeiten. | Zerstört. |
1709– 1710 |
Arnstadt. Schloss Neideck. Schlosskirche. | Stuckaturen mit Bruder Carlo Antonio. Das Schloss ist heute Ruine. | Zerstört. |
1710 | Gotha. Schloss Friedenstein. |
«4 Oraten in den fürstlichen Gastgemächern». (nicht mehr erhalten, die erhaltene hochbarocke Stuckausstattung 1686–1697 durch Giovanni Battista Garove aus Bissone). | Zerstört. |
1710 |
Jagdschloss Friedensthal bei Freyburg. | (Carlo Antonio). Das Jagdschloss ist heute vollständig verschwunden. | Zerstört. |
1710 (1714) |
Gotha. Schloss Friedrichstal. |
Stuckaturen in Galerie und Grotte. Durch Umbauten zerstört. | Zerstört. |
1711– 1712 |
Altenburg. Schloss und Lusthaus (heute Teehaus) im Schlossgarten. |
Stuckaturen im Südteil des Westflügels. Zuschreibung auch an Sohn Giovanni Domenico. Siehe dazu Lebensdaten. Die Deckenbilder von Carlo Ludovico Castelli. | Erhalten. |
1717– 1719 |
Erfurt. Kurmainzisches Statthalterpalais. | Stuck in Festsaal, drei Audienzräumen und Wohnräumen. | Erhalten |
1719 |
Bonn. Poppelsdorf. Schloss Clemensruh. |
Stuckaturen im Neubau des Architekten Robert de Cotte. 1945 zerstört. Speisesaal 2002 rekonstruiert. | Teilweise rekonstruiert. |
1720– 1722 |
Gera-Untermhaus. Schloss Osterstein. | (Carlo Antonio). Stuckaturen in Hauptflügel. Das Schloss wird 1962 gesprengt. | Zerstört. |
1723– 1724 (um |
Bonn. Kurfürstliche Residenz. |
Régence-Stuck im Erdgeschoss, in Zusammenarbeit mit den Söhnen. Bis 1944 erhalten. |
Zerstört |
1723– 1725 (um) |
Würzburg. «Huttenschlösschen». | Régence-Stuck, 1945 zerstört. Das Original der Festsaal-Stuckdecke, seit 1905 im Nationalmuseum München eingebaut, wird 1957 wieder in das rekonstruierte Huttenschlösschen versetzt. | Teilweise erhalten. |
1723– 1726 |
Würzburg. Fürstbischöfliche Residenz, Nordblock. | Régence-Stuck in den Appartements des Hauptgeschosses. 1723 nur Carl Antonio. Beim Umbau 1776 werden nur die Decken belassen, aber 1945 zerstört. Nachkriegs-Rekonstruktion einzelner Zimmer. | Zerstört, Decken teilweise rekonstruiert. |
1724 |
Werneck. Fürstbischöfliches Sommerschloss. | Stuckaturen. Nach Neubau ab 1734 nicht mehr erhalten. | Zerstört. |
1726 | Würzburg. Juliusspital. | Stuckaturen, Kaminaufsatz im Gartenpavillon. Nach der Kriegszerstörung 1945 erfolgen im ganzen Juliusspital keine Rekonstruktionen. | Zerstört. |
1726– 1728 |
Lohr am Main. Schloss Steinbach. |
Stuckaturen im Schlossneubau von Balthasar Neumann. Ausführung mit Söhnen? | Zerstört. |
1727– 1730 |
Altenburg. Schloss. | Stuckaturen in 12 Zimmern. Letzter Vertrag mit Giovanni Pietro 1730 für den Festsaal (1864 abgebrannt). Ausführung durch Söhne? | Teilweise erhalten. |
1734 (um) |
Erfurt. Neuwerkskirche. | Zuschreibung des Stuckes an Carlo Antonio Castelli. | Erhalten |
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