«D. Josephus Greissing faber lignarius et architectus, superioris Magistratus assessor»[1]
Joseph Greissing[2] wird am 9. Januar 1664 auf dem Hof Schönstein im vorarlbergischen Hohenweiler (nördlich von Bregenz) geboren.[3] Er erlernt den Beruf des Zimmermanns. Bis zu seinem Wegzug aus der Heimat im Alter von 29 Jahren nichts über die Berufstätigkeit und Ausbildung bekannt. Gesellentätigkeit beim Bregenzer Baumeister Johann Georg Kuen in Einsiedeln (bis 1684) und bei Br. Heinrich Mayer SJ in Ellwangen (bis 1690) werden von seinem Biografen Johannes Mack vermutet. Vor allem mit den Bauwerken von Br. Heinrich Mayer SJ ist er vertraut. 1693 beantragt er in Bregenz einen Pass für das folgende Jahr nach Brünn in Mähren. Er wird sich einem Graubündner Bautrupp angeschlossen haben. Misoxer bauen zu dieser Zeit in Wien und Mähren für die Fürsten von Liechtenstein und den Grafen Kaunitz. Auch über seine Tätigkeit in Mähren sind wir nicht informiert. Er muss zwischen 1695 und spätestens 1697 nach Würzburg gekommen sein, denn 1698 stirbt der Stadtzimmermeister Adam Nick, bei dem Greissing als Palier tätig ist. Er arbeitet zu dieser Zeit am Neubau des Schlosses Schillingsfürst. In den wenigen Jahren in Würzburg hat er sich einen guten Namen geschaffen, denn noch im gleichen Jahr wird ihm trotz des Widerstandes der einheimischen Zünfte der Meistertitel verliehen, damit er 1699 die Nachfolge Adam Nicks als Stadtzimmermeister antreten kann. Das Jahr 1699 ist noch aus weiteren Gründen für die Karriere Joseph Greissings wichtig. Am 1. Juni 1699 heiratet er die Würzburger Forstmeisterstochter Anna Dorothea Füsser (1675–1745), mit der er fünf Söhne und fünf Töchter hat. Mindestens drei sterben schon im Kindesalter, der Sohn Johann Leonhard (1711-1782) wird Nachfolger des Vaters als Hofzimmermeister und Stadtzimmermeister. Ebenfalls 1699 wird Johann Philipp II. von Greiffenclau Fürstbischof des Hochstifts Würzburg. Greiffenclau scheint schon bei der Ernennung Greissings zum Stadtbaumeister im Hintergrund mitgewirkt zu haben. Der Fürst will auch das Bauwesen im Hochstift neu gestalten. Hier ist der nach dem Dreissigjährigen Krieg eingewanderte Baumeister Antonio Petrini (1631–1701) zusammen mit dem ausführenden Maurermeister Valentino Pezzani führend. Mit ihnen pflegt Greissing eine gute Zusammenarbeit. Als, noch immer im Jahre 1699, das Juliusspital brennt, stellt der Fürstbischof dem betagten Petrini seinen Schützling Greissing als Planer und «baw meister» zur Seite. Erst ein Jahr nach dem Tod Petrinis wird der Fürstenbau des Juliusspitals von Grund auf neu erstellt. Planer und Baumeister ist Joseph Greissing. In den nächsten zwei Jahrzehnten, bis zum Tod des Fürstbischofs, prägt Greissing das Bauwesen des Hochstifts. Er führt nun den Titel «Hochfürstlich Würzburgischer Stadt- und Landbaumeister».
Exkurs: Greissing, Moosbrugger und die Planung im Kollektiv
Wenn die Spekulation des Verfassers der neuesten Greissing-Biografie zutrifft, haben die beiden angehenden Baumeister, Br. Caspar Moosbrugger als Steinmetz und Joseph Greissing als Zimmermann, beim Bau der Beichtkirche von Einsiedeln zusammengearbeitet. Auch wenn dies nur eine Möglichkeit bleibt, herrscht doch eine Wesensverwandtschaft der beiden Vorarlberger. Beide sind für die geistlichen Herrschaften ideale Planer, die ihr Programm verantwortungsvoll, und dies auch mit Einbezug von Konkurrenzentwürfen zeitgenössischer Kavaliersarchitekten verwirklichen. Es ist um 1700 durchaus üblich, dass der in Architektur meist gebildete Bauherr vor und noch während der Bauphase weitere Planer und Berater beizieht, oft gleichzeitig mehrere. Er beauftragt jeden ausgewiesenen Fachmann, der ihm etwas zu bieten hat und nimmt, was ihm dienlich scheint. Er lässt auch ausgeführte Bauwerke kopieren. Ein Urheberrecht für Bauten und Planungen ist zu dieser Zeit zum Glück unbekannt und würde auch nicht verstanden. Viele Bau- und Stuckaturentwürfe sind aus Bildbänden französischer oder italienischer Autoren entnommen, die der Bauherr in seine Bibliothek kauft. Joseph Greissing und Br. Caspar Moosbrugger verarbeiten so bei vielen Bauten Vorlagen und Konkurrenzentwürfe und setzen diese in praktische Ausführungsunterlagen um, indem sie durchwegs eine Neuplanung auf Grund neuer Erkenntnisse durchführen. Sind es bei Greissing Planungen von Maximilian von Welsch, Johann Dientzenhofer und von Balthasar Neumann, die er verarbeitet, so sind es bei Moosbrugger solche von italienischen Architekten. Dieses kollektive Planen ist bei der Residenz in Würzburg noch nach der Ära Greissing zu beobachten. Neumann erhält vom soeben gewählten Johann Philipp Franz von Schönborn 1719 zwar den Titel «Fürstbischöflicher Baumeister», was den Fürstbischof aber nicht daran hindert, für die Neubauplanung auch wieder Johann Dientzenhofer, Maximilian von Welsch und Johann Lucas von Hildebrandt beizuziehen. Dies zeigt die Schwierigkeit, einen grösseren Bau dieser Zeit einem einzigen Baumeister-Architekten zuzuordnen. Das Verdienst steht aber denen zu, die diesen vom Entwurf bis zur Ausführung betreut haben, in erster Linie also dem in der Baukunst gebildeten geistlichen Bauherrn[4] und dann dem planenden und ausführenden Baumeister, nicht seinen Beratern und Ideenlieferanten.
Die Werke
Die Werkliste von Joseph Greissing ist aber auch dann noch lang, wenn man nur die nachweislich von ihm geplanten und ausgeführten Neubauten und Umbauten auflistet. Als wichtigste seien genannt:
1700–1714 | Würzburg, Juliusspital, Fürstenbau und angrenzende Hofflügel, nach dem Tod von Antonio Petrini (1701) mit Pietro Magni und Balthasar Esterbauer. Zu Antonio Petrini siehe die Biografie in dieser Webseite. |
1705–1709 | Wilhermsdorf bei Fürth, evangelische Patronats- und Pfarrkirche, im Auftrag der Gräfin Maria Franziska Barbara von Hohenlohe-Schillingsfürst. Einweihung 1714. |
1707–1715 | Grosscomburg bei Schwäbisch Hall. Ritterstiftskirche St. Nikolaus. Neubau als Freipfeilerhalle mit Querhaus und Vierungskuppel, mit Einbezug dreier romanischer Türme. |
1710–1712 | Zisterzienserabtei Schöntal an der Jagst. Stiftskirche. Zimmerarbeiten und Gestaltung der Turmaufbauten. Zu Schöntal siehe den Beschrieb in dieser Webseite. |
1711–1721 | Würzburg, Kollegiatsstiftskirche, heute Neumünster. Erweiterung durch Zentralbau mit Kuppel und Schiffsverlängerung nach Westen. Die Fassade ist eine Planung von Joseph Greissing mit Beteiligung von Br. Kilian Stauffer OFM und den beiden Bildhauern Balthasar Esterbauer und Jacob van der Auwera. Zum Neumünster Würzburg siehe den Beschrieb in dieser Webseite. |
1713–1715 | Friesenhausen, Schlosskirche Mariä Himmelfahrt. Sie gilt als Urtyp der fränkischen spätbarocken Einturmfassadenkirchen. |
1715–1720 | Ebrach, Zisterzienserabtei. «Neuer Bau», Neuplanung des von Johann Leonhard Dientzenhofer begonnenen Neubaus, vielleicht mit Einfluss der 1715 erfolgten Planungen seines Schülers Balthasar Neumann. Zu Ebrach siehe den Beschrieb in dieser Webseite. |
1715–1724 | Obertheres, Benediktinerabtei. Neubau der Klosterkirche und vermutlich Planung der neuen Abtei, die 1724–1740 gebaut wird. Nach Greissings Tod führt sein Palier Johann Leonhard Stahl die Arbeiten weiter. Die Kirche wird 1809 abgerissen, die Abtei ist heute «Schloss». Zu Obertheres siehe den Beschrieb in dieser Webseite. |
1717–1721 | Würzburg, Neubau der Pfarrkirche St. Peter und Paul unter Einbezug des gotischen Chores und der romanischen Türme. Zerstörung 1945, Wiederaufbau 1953–1959. |
1718–1726 | Münsterschwarzach, Benediktinerabtei, Neubau der Konventanlage. Sie wird 1810–1837, zusammen mit der 1727–1743 erstellten Stiftskirche von Balthasar Neumann, abgebrochen. Zu Münsterschwarzach siehe den Beschrieb in dieser Webseite. |
Von den vielen Amtshöfen und Amtsschlössern und Schlössern ist das Ebracher Amtsschloss in Burgwindheim erwähnenswert, das er 1720–1725 nach dem Vorbild von Vaux-le-Vicomte baut. Der schlossartige Amtshof wird noch heute einer Planungsüberarbeitung durch Balthasar Neumann zugeschrieben.[5] Dies deshalb, weil die Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts die aussergewöhnliche Architektur nur einem «grossen» Namen zuschreiben wollen und sich nicht vorstellen können, dass man nach Stichwerken «abkupfern» kann.
Die Landkirchen Greissings, nebst einer gleichen Anzahl von Zuschreibungen und Umbauten sind zehn Kirchen sein sicheres Werk, zeichnen sich durch gut proportionierte, plastisch gestaltete Eingangsfassaden aus. Es sind immer Einturmkirchen. Das schönste dieser Bauwerke ist die oben erwähnte evangelische Pfarrkirche von Wilhermsdorf bei Fürth. Wo bei seinen Kirchen der Turm in der Front sitzt, wie in Steinbach bei Lohr, Gereuth bei Ebern, oder bei der Schlosskirche von Friesenhausen, weisen sie in ihrer anspruchsvollen Gestaltung der Turmfassade bereits auf das kommende Rokoko hin. Kein Wunder, dass die Kirche von Steinbach (1718–1721) wie auch das benachbarte Schloss (1725–1728, posthum nach Entwurf Greissings durch Nachfolger Johann Leonhard Stahl ausgeführt) lange Zeit dem neuen fürstbischöflichen Baumeister Balthasar Neumann zugesprochen werden.
Greissing und Neumann
In der Tat zeigen sich grosse Gemeinsamkeiten zwischen dem etablierten hochfürstlichen Stadt- und Landbaumeister und dem 1714 in die hochfürstlich-würzburgische Schloss-Leibkompanie des Fürstbischofs eintretenden talentierten 27-jährigen ehemaligen Giessers aus Böhmen. Beide werden vom Fürstbischof Johann Philipp II. von Greiffenclau gefördert. Für Balthasar Neumann öffnet sich nebst der Militärkarriere als Ingenieur und den entsprechenden Ausbildungen in Vermessung und Tiefbau auch die Möglichkeit, das zivile Bauwesen zu studieren. Sein Lehrer und Artilleriehauptmann Andreas Müller kann ihm diese Ausbildung nicht bieten, deshalb vermittelt der Fürstbischof die Architekturausbildung bei Joseph Greissing. Vieles, was später die grossen Schöpfungen Balthasar Neumanns auszeichnet, hat seinen Ursprung im Zeichnerbüro Greissings. Hier lernt er auch den Gewölbebau kennen, auch die Gewölbesicherungstechnik mittels Diagonalankern vom Gewölbeansatz zu den Zugbalken, die Greissing immer verwendet und die Neumann später perfektioniert.[6] Der aus dem Zimmermannshandwerk mit seinen hohen Ansprüchen an die Statik herausgewachsene Joseph Greissing führt bei der Aufstockung und Einwölbung der Freipfeiler-Hallenkirche von Grosskomburg auch das den Seitenschub vermeidende Hufeisengewölbe ein, das die Italiener nicht kennen und das erst im 19. Jahrhundert im Tunnelbau grosse Verwendung findet.
Letzte Jahre
1719 stirbt Fürstbischof Johann Philipp II. von Greiffenclau. Ein Neffe des mächtigen Kurfürsten und Fürstbischofs von Mainz aus der Familie der Schönborn wird Fürstbischof. Die Greiffenclau-Gefolgsleute werden skrupellos mit Prozessen eingedeckt, meistens wegen Entgegennahmen von Schmiergeldern, eine Praxis, die vor allem die Schönborns perfekt beherrschen. Um seinen Kopf zu retten, zahlt der ehemalige Direktor der Hofkammer und kaiserliche Hofkammerrat Johann Gallus Jacob von Hohlach die unglaublich hohe Summe von 640 000 Gulden, fast die Höhe der Jahreseinnahmen des gesamten Hochstifts. Damit kann der neue Fürstbischof den Residenzbau in Würzburg beginnen. Im Hintergrund zieht sein Onkel in Mainz die Fäden. Dieser kennt Balthasar Neumann und Joseph Greissing. Während Neumann als Militärangehöriger sofort befördert wird und dann zu einem Studienaufenthalt nach Paris kommt, wird Greissing vor allem wegen seiner Unabkömmlichkeit wieder als Hofzimmermeister bestätigt. Noch 1719 baut sich Joseph Greissing ein neues Wohnhaus im Burkarderviertel unter der Festung von Würzburg. Das Haus Burkarderstrasse 23, ein freistehender dreigeschossiger Stadtpalais, ist seit 1945 zerstört. Bereits das bisherige Wohnhaus, Innerer Graben 15, ist ein fünfachsiges und dreigeschossiges, reich gegliedertes Gebäude. Das Haus wird, obwohl es 1945 wie durch ein Wunder die Bombennacht unversehrt übersteht, 1960 aus kommerziellen Gründen abgebrochen. Beide Häuser dokumentieren auch den Wohlstand des Würzburger Baumeisters.
Er stirbt am 12. Dezember 1721 in seinem neuen Haus an der Burkarderstrasse im Alter von 57 Jahren und wird auf dem Friedhof von St. Burkard begraben. Die Witwe heiratet 1723 den aus Böblingen stammenden langjährigen ersten Palier Johann Leonhard Stahl. Dieser führt als würdiger Nachfolger nicht nur den Betrieb weiter, sondern wird auch zum Hofzimmermeister ernannt. Er bildet die noch unmündigen Kinder aus, den Sohn Johann Leonhard Greissing nimmt er in die Lehre. Dieser wird später selbst Hofzimmermeister und Stadtzimmermeister.
Pius Bieri 2009
Lieb, Norbert und Dieth Franz: Die Vorarlberger Barockbaumeister, München-Zürich 1966.
Hengelhaupt, Uta: Exemplum Virtutis. Überlegungen zu Entstehung und Ausstattung der Festsäle in den Zisterzienserklöstern Ebrach und Bronnbach. St. Ottilien 2006.
Mack, Johannes: Der Baumeister und Architekt Joseph Greissing, Würzburg 2008.
[1] Der vollständige Sterbeeintrag in St. Burkard, Würzburg lautet: D:[ominus] Josephus Greissing faber lignarius et architectus, superioris Magistratus assessor aet:[atis] 57. a~[nn]orum .11. mensium .3. dierum. confessus et s.[acro] viatico refectus, extremaeque unctio~[n]is Sacramento roboratus.
[2]Er schreibt sich Greissing, auch ein Sohn nennt sich so. Die falsche Schreibweise Greising ist aber vor allem in Würzburg noch weit verbreitet.
[3] Er ist kein «Vorarlberger Baumeister», dazu fehlen die Eintragungen in den Zunftbüchern.
[4] Die Briefe dieser Zeit zwischen dem Baumeister und dem Bauherrn zeigen nur schon in der Terminologie, dass der Bauherr fast immer in der Baukunst gebildet ist.
[5] Dehio, Bayern I, Franken, 1999.
[6] In: Johann Jacob Schübler, Sciagraphia Artis Tignariae, Bd. 2, 1736, einem zeitgenössischen Werk zu Holzbaukunst, werden gleich zwei solche Beispiele von Balthasar Neumann aufgenommen. Die Technik ist bereits den Misoxer Baumeistern bekannt, Greissing könnte sie von ihnen oder von Br. Heinrich Mayer in Ellwangen kennen gelernt haben. Br. Heinrich Mayer wendet sie bei allen seinen Gewölben an. Vergleiche: Kraus, Franz Xaver: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden, Erster Band, Freiburg 1887, Seite 133. Siehe auch Beitrag Klosterkirche Fischingen.
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