Philipp Joseph Jenisch (1671−1736)

Theologe, Mathematiker und württembergischer Landbaumeister

Geboren 1671 als Sohn des Chirurgen Paul Ludwig[1] und dessen Ehefrau Christine Hunn in Marbach am Neckar, kann er mit einem Stipendium 1689 an der württembergischen Universität in Tübingen Theologie studieren.[2] Unterstützt von Herzog Eberhard Ludwig beginnt er 1699 an der Universität Altdorf bei Nürnberg mit dem zusätzlichen Studium der Mathematik. Der Herzog muss sein Landeskind sehr schätzen, denn 1703 ermöglicht er ihm eine Studienreise zur praktischen Erlernung der Architektur. Nach der Rückkehr ernennt er ihn zum Landbaudirektor und Leiter des gesamten Bauwesens, 1704 auch zum Professor am Stuttgarter Gymnasium. Im gleichen Jahr findet die Grundsteinlegung des Corps de Logis eines neuen Lust- und Jagdschlosses statt, das der Herzog an der Stelle des Erlachhofes nördlich von Stuttgart bauen lässt. Er nennt das Schloss jetzt Ludwigsburg. Die Pläne hat ihm sein neuer Landbaudirektor Jenisch erstellt. Er plant unter Einbezug des vier Jahre vorher begonnenen «Neuen Herrschaftsgebäudes» eine Dreiflügelanlage. Dieses dreigeschossige Gebäude soll den freigestellten Ostflügel bilden. Den 11-achsigen Nordflügel, das Corps de Logis, plant Jenisch mit einem doppelten Treppenhaus in der Art des Rastatter Schlosses, das ihm sicher bekannt ist.[3] Das Ludwigsburger Corps de Logis ist 1706 im Erdgeschoss fertiggestellt und ein grosser Teil der südlichen Gartenanlage ist schon terrassiert, als der Herzog das Vertrauen in die künstlerischen und organisatorischen Fähigkeiten seines Landbaudirektors verliert. Für das Bauvorhaben in Ludwigsburg stellt er Ende 1706 einen neuen, besser geschulten und erstmals nicht einheimischen Baudirektor ein. Jenisch behält seine Funktionen im Stuttgarter Bauwesen, muss aber die Baustelle Ludwigsburg dem baukünstlerisch weit überlegenen brandenburgischen Ingenieur-Hauptmann Johann Friedrich Nette überlassen. Jenisch, mehr Wissenschaftler als kreativer Gestalter, kann diese verständliche Zurücksetzung nicht überwinden und wird treibende Kraft der Machenschaften gegen Nette und gegen dessen Anwerbung italienischer Baufachleute und Künstler für Ludwigsburg. Nette flüchtet deshalb nach Paris und stirbt bei der Rückkehr 1714 in Nancy. Die Stuttgarter Baudeputation favorisiert Jenisch als Nachfolger, doch der Herzog setzt sich über die Empfehlungen hinweg und bestimmt den Italiener Donato Giuseppe Frisoni zum neuen Baudirektor. Der nun nochmals übergangene Jenisch ist seit seiner Anstellung als Landbaudirektor und Professor in Stuttgart wohnhaft. Er unterrichtet 1705−1707 den Erbprinzen. Gleichzeitig mit der festen Anstellung am Hof hat er auch die zwölf Jahre jüngere Regine Sophie Spohn geheiratet. Zwischen 1704 und 1717 werden dem Ehepaar in Stuttgart elf Kinder geboren.[4] In dieser Zeit ist Jenisch nebst seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und seinem Lehramt am Gymnasium in seiner Funktion als Landbaudirektor auch für Planungen und Überwachungen von öffentlichen Bauten zuständig. Das Werk ist das 1712 eröffnete Stuttgarter Waisenhaus, das 1705 als Kaserne begonnen wird.[5] Die Ausführung übernimmt der herzogliche Werkmeister Johann Ulrich Heim.[6] Weitere Planungen von Philipp Joseph Jenisch sind nicht bekannt. 1727 tritt er von seinen Ämtern zurück, weil er als Abt ins ehemalige Benediktinerkloster Blaubeuren berufen wird. Seit der Reformation ist das Kloster evangelische Ausbildungsstätte angehender Theologen und Vorstufe zur Aufnahme ins Tübinger Stift. Auch als evangelischer Abt und ist er weiterhin als Wissenschaftler und Forscher literarisch tätig. Er stirbt am 20. Juni 1736 im Alter von 65 Jahren in Blaubeuren.

Pius Bieri 2012

Literatur:
Ossenberg, Horst: Was bleibt, das schaffen die Baumeister. Das Württembergische Hof- und Staats-Bauwesen vom 15. bis 20. Jahrhundert. Norderstedt 2004.
Höper, Corinne: Das Glück Württembergs. Ausstellungskatalog. Stuttgart 2004.

Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Joseph_Jenisch

Anmerkungen:

[1] Paul Ludwig Jenisch 1648−1694, aus Münchingen, Chirurg in Marbach.

[2] Die ausschliessliche Herrschaft der protestantischen Konfession bildet den Grundsatz des württembergischen Staates. Der Herzog hat zwar die Kirchenhoheit und das Kirchenregiment inne, überlässt diese Funktionen aber in der Regel dem Geheimen Rat. Wer in Württemberg etwas werden will, ergreift deshalb das Studium der Theologie, denn in keinem andern Land Deutschlands haben Theologen ein derart bedeutende Stellung und einen derart grossen Einfluss.

[3] Das Corps de Logis des Rastatter Schlosses, ein Bau des Italieners Domenico Egidio Rossi, ist 1704 schon fertig. Jenisch muss sich schon während seiner Altdorfer Zeit für die Zivilbaukunst interessiert haben. Tatsächlich ist aber weder über seine bautechnische Ausbildung noch über seine Studienreise 1703 irgendetwas bekannt. Planzeichnungen von Jenisch sind nicht mehr vorhanden, sodass seine Ludwigsburger Planung nur auf Grund der weiterführenden Projekte seines Nachfolgers beurteilt werden kann.

[4] Nach <http://www.bessarabia.kilu.de/>

[5] Die Vierflügelanlage wird 1788 durch Heinrich Ferdinand Fischer und 1922 von Paul Schmitthenner umgebaut. Nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut, ist es heute das Institut für Auslandsbeziehungen.

[6] Johann Ulrich Heim (um 1669−1737) ist von 1695−1706 württembergischer Werkmeister. Bis zur Übernahme der Baustelle durch Frisoni ist er auch in Ludwigsburg tätig. Er gehört wie Jenisch zur Fraktion der Gegner von Nette und der zugezogenen italienischen Stuckateure.

  Philipp Joseph Jenisch (1671−1736)  
  Biografische Daten        
  Geburtsdatum Geburtsort     Land  
  1671 Marbach am Neckar   Baden-Württemberg D  
    Land 18.Jh.     Bistum 18.Jh.  
    Herzogtum Württemberg   Ehemals Speyer  
  Sterbedatum Sterbeort     Land  
  20. Juni 1736 Blaubeuren   Dep. Meurthe-et-Moselle F  
    Land 18. Jh.     Bistum 18. Jh.  
    Herzogtum Württemberg   Baden-Württemberg D  
  Kurzbiografie        
  Von Herzog Eberhard Ludwig gefördert, kann der Theologe Philipp Joseph Jenisch Mathematik und Baukunst studieren. 1704 zum Leiter des württembergischen Bauwesens ernannt, plant er die Erweiterung eines bestehenden Jagd- und Lustschlosses zu einer Dreiflügelanlage, die jetzt Ludwigsburg genannt wird. Er kann aber nur die Erdgeschoss-Umfassungsmauern des späteren Alten Corps de Logis bauen und wird 1706 durch den erfahrenen Ingenieur-Hauptmann Johann Friedrich Nette abgelöst. Jenisch wird treibende Kraft einer unschönen Feindschaft der einheimischen Württemberger gegen die Auswärtigen, zu denen auch die von Nette beigezogenen «Italiener» zählen. Als Abt von Blaubeuren widmet sich Jenisch nach 1727 vermehrt der Wissenschaft.     StuttgartWaisenhaus  
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Philipp Joseph Jenisch hat als württembergischer Landesbaumeister wenig Spuren hinterlassen. Nur das Waisenhaus in Stuttgart, eine grosse Vierflügelanlage mit ungleichen Flügellängen, geht noch auf seine Tätigkeit zurück. 1705 beginnt er hier eine Kaserne und baut sie bis 1712 als Waisenhaus um. Schon im 18. Jahrhundert wird sie erstmals und dann 1922 nochmals radikal umgebaut. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erfolgt ein Wiederaufbau. Das Luftbild (Google-Earth) zeigt die heute zweiseitig vom Verkehr umflutete Anlage und den westlich anschliessenden beim Alten Schloss gelegenen Karlsplatz.