Johann Friedrich Nette wird am 5. Juli 1673 als Sohn des Königlich Preussischen Hoforgelbauers Johann Nette in Bernau bei Berlin geboren. 1685 bis um 1700 wohnt die Familie in Dresden und zieht dann nach Berlin. In Dresden besucht der junge Nette die Kreuzschule und studiert anschliessend bis um 1695 an der Universität Wittenberg. Nachher verlieren sich die Spuren. Er muss sich in Dresden und später in Berlin, vielleicht schon dort Militärangehöriger, in Zivilbaukunst ausgebildet und Praxiserfahrung gesammelt zu haben. Während des Spanischen Erbfolgkrieges ist er 1706 als Ingenieur-Hauptmann im Regiment des Generalmajors von Sternenberg in Balingen stationiert. Sternenberg empfiehlt den 23-jährigen Nette seinem Schwager Georg Friedrich von Forstner, einem Jugendfreund des Württemberger Herzogs Eberhard Ludwig.[1] Forstner leitet als Oberhofmarschall das württembergischen Bauwesen und nimmt Nette in seine Dienste. Der offensichtlich gut ausgebildete Ingenieur-Hauptmann löst am Hof von Stuttgart den Mathematiker und Theologen Philipp Joseph Jenisch ab, der hier seit 1703 als Landbaumeister wirkt.[2] Jenisch baut zu dieser Zeit das Corps de Logis des neuen Erlachhofes, ein nördlich von Stuttgart gelegenes Jagdquartier der Herzöge, dass nun zu einer Dreiflügelanlage vergrössert werden soll. Der entstehende Schlossbau wird seit 1704 Ludwigsburg genannt. Für das Bauvorhaben, das infolge des Spanischen Erbfolgekrieges erst bis zum Erdgeschoss gewachsen ist, erstellt Nette schnell Neuplanungen. Er liefert 1707 eine Serie von neuen Entwürfen, nach denen er das Corps de Logis bis 1709 im Rohbau erstellt und die beiden Flügelbauten beginnt. 1708 und 1709 reist Nette zweimal nach Prag, um Fachkräfte für den beginnenden Innenausbau zu gewinnen. Er lernt hier wegweisende Bauwerke des barocken Sakral- und Residenzbaus kennen und findet mit den Stuckateuren Soldati und Frisoni sowie den Freskanten Colomba und Stevens von Steinfels ausgewiesene Meister, die bereit sind, nach Ludwigsburg zu ziehen.[3] 1712, inzwischen sind die beiden Flügelbauten auch unter Dach, wird von Nette bereits ein Erweiterungsprojekt mit Flügelverlängerungen nach Süden erstellt. Eine Stichserie, die Nette in Augsburg in Druck gibt, zeigt die Dreiflügelanlage und die von ihm entworfenen Gärten. Dieser erste, schon grosszügig wirkende Schlossbau mit den nördlichen Gartenanlagen ist 1714 weitgehend fertig. Der Friedensschluss mit Frankreich gibt Nette die Möglichkeit, eine Studienreise nach Paris zu unternehmen. Sie wird unter anderem durch die seit Jahren dauernden Intrigen des entlassenen Jenisch gegen seinen offensichtlich erschöpften Nachfolger ausgelöst, der mit der Reise Distanz gewinnen will.[4] Auf der Rückreise, um die ihn dann der Herzog selbst bittet, stirbt er am 9. Dezember 1714 unerwartet im Alter von erst 41 Jahren in Nancy an einem Schlaganfall.
Sein Wirken während der achtjährigen Tätigkeit für den württembergischen Hof darf sich sehen lassen und wird von ihm auch laufend bei Wolff in Augsburg veröffentlicht. 1710 folgen erste Stiche der Ludwigsburger Anlage und unter dem Titel: «Adeliche Land- und Lust:Häusser nach Modernen Gout» auch weitere Bauten in Ludwigsburg, Stuttgart und in Bad Teinach. Schon 1709 ist er Verfasser des ersten Gesamtplanes für die neue Barockstadt Ludwigsburg. Sein Name ist allerdings fast ausschliesslich mit dem Schlossbau der Residenz, aber auch mit dem zermürbenden Kampf gegen seine Feinde in der Stuttgarter Baudeputation verbunden.
Pius Bieri 2011
Literatur:
Höper, Corinna: Das Glück Württembergs. Ausstellungskatalog. Stuttgart 2004.
Merten, Klaus: Die Baugeschichte von Schloss Ludwigsburg bis 1721, in Schloss Ludwigsburg. Stuttgart 2004.
Anmerkungen:
[2] Philipp Joseph Jenisch (1671–1736), aus Marbach. Er geht 1727 nach Blaubeuren und wird dort Abt.
[3] Die in Prag angeworbenen Meister sind: Tommaso Soldati (1665–1743), aus Ponna im Val' Intelvi, er arbeitet um 1700 am Palais Toskana und 1704−1707 am Palais Lobkowitz; Donato Giuseppe Frisoni (1683–1735) aus Laino im Val d'Intelvi, der Schwager Soldatis, er wird 1714 Nachfolger von Nette in Ludwigsburg; Luca Antonio Colomba (1674–1737) aus Arogno. Er ist Schwager von Carlo Innocenzo und Diego Francesco Carlone; Johann Jakob Stevens von Steinfels (1651–1730) aus Prag. Er ist einer der frühen deutschen Freskanten.
[4] Die Gründe zur Reise werden von deutschen Historikern nicht hinterfragt, obwohl eine solche Reise eigentlich vom Oberhofmarschall als Verantwortlicher für das Bauwesen genehmigt oder sogar in die Wege geleitet wird. Nicht nachvollziehbar ist die Darstellung von Klaus Mertens, dass Bildungseifer der Antrieb des schon kranken Baudirektors für einer solche Reise ist. Glaubhaft schildert hingegen der italienische Historiker Remo Boccia die Angelegenheit. Auslöser der Flucht nach Paris ist demnach eine vom Umkreis des Theologen Jenisch erhobene Falschanklage wegen Unterschlagung. Diese Anklagen sind damals das übliche Mittel, um Konkurrenten loszuwerden.
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