Die Meister des Bauwerks
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Franz Beer I (1659–1722) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1693   1703
Peter Beer (1652–nach 1713) Au Vorarlberg     Steinmetz und Baumeister 1693   1703
Johann Jakob Rischer (1662–1755) Au Vorarlberg     Baumeister-Architekt 1714   1750
Philipp Winterhalder (1667–1727} Kirchzarten     Bildhauer 1700   1722

Gengenbach

Ehemalige Benediktiner-Reichsabtei St. Maria

Klostergründung am Ausgang des Kinzigtales
Die Kinzig, ein südlich von Freudenstadt entspringender Fluss, bildet einen markanten Quergraben im Schwarzwaldmassiv. Ihn nutzen schon die Römer für ihre Strasse von Augsburg nach Strassburg.[1] Zwei Wegstunden vor dem Kastell Offenburg quert diese Römerstrasse bei Gengenbach die Kinzig. Spuren der Römer finden sich auf dem Kastelberg oberhalb Gengenbachs. Der Ort scheint aber schon den Kelten als Kultstätte gedient zu haben und wird in christlicher Zeit der heiligen Einbetha geweiht.[2] Am Fuss der Kultstätte, vielleicht an ebenso alter Siedlungsstätte, soll sich schon vor der Klostergründung eine Siedlung mit Kirche und Friedhof befinden. Die spätere Leutkirche und heutige Friedhofskirche St. Martin, 300 Meter nördlich der Stadtmauer gelegen, könnte als Eigenkirche eines fränkischen Adeligen in einer alemannischen Siedlung schon um 700 bestanden haben.[3] Die Gründung des Klosters soll, vielleicht als Stiftung der gleichen fränkischen Adelsfamilie, in der ersten Hälfte des 8. Jahrhundert erfolgt sein.[4] Ein fränkischer Gaugraf, «Ruthardus dux», wird als legendärer Stifter erwähnt. Legendär ist die auch Verbindung der Klostergründung mit dem von 727 bis 755 im Elsass tätigen Pirmin, dem Gründer der Klöster Reichenau, Murbach und Hornbach. Pirmin wird die Einführung der Benediktinerregel[5] in der schon ein Jahrhundert bestehenden nahen Reichsabtei Schuttern zugeschrieben. Im gleichen Zeitraum, zwischen 746 und 753, mag dies auch für Gengenbach möglich sein. Allerdings widerspricht die Pirminslegende dem ersten in einer zeitgenössischen Klosterchronik genannten Datum.[6] Denn 761 sendet Bischof Chrodegang von Metz aus seinem Reformkloster Gorze Mönche nach Gengenbach. Der Franke, einer der Baumeister der karolingischen Reichskirche und Vertrauter von König Pippin III., sendet drei Jahre später auch Mönche zur Gründung von Lorsch. Wenn Gengenbach vielleicht nicht wie Lorsch eine völlige Neugründung ist, so ist doch die Besiedlung mit Mönchen aus Gorze der eigentliche Beginn seiner monastischen Geschichte. Obwohl es 817 im «capitulare monasticum» des Kaisers Ludwig des Frommen im Gegensatz zu Lorsch und Schuttern nicht als Reichsabtei erwähnt wird, hat der Gengenbacher Konvent nach Gedenkbüchern in St. Gallen und auf der Reichenau um 826 knapp 100 Mönche und gehört damit im 9. Jahrhundert zu den grösseren Benediktinerklöstern. Aber schon im 10. Jahrhundert ist Gengenbach, inzwischen Reichskloster, in desolatem Zustand und büsst auch alle Urkunden über seine Anfänge ein. Sein kaiserlicher Schutzherr übergibt die Abtei, zusammen mit Schuttern, 1007 als Lehen zur Ausstattung seines neu gegründeten Hochstifts Bamberg. Die beiden Klöster gehören kirchenrechtlich zum Bistum Strassburg, sind jetzt aber nach Bamberg lehenspflichtig. Energischer Druck des Bamberger Bischofs führt 1117 zur Annahme der Hirsauer Reform und zu einer Konsolidierung der zerrütteten Zustände in Kloster und Wirtschaft.

Die neue Stiftskirche
Vielleicht noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wird der Grundstein für eine grössere Stiftskirche gelegt.[7] Das romanische Bauwerk, eine dreischiffige Basilika mit Querschiff, ist Hirsauer Vorbildern verpflichtet. Dies zeigt sich im Verzicht auf Gewölbe, Vierungsturm und Krypta. Hingegen weisen die fünf Chorapsiden auf cluniazensischen Ursprung.[8] Auch der Stützenwechsel von quadratischen Pfeilern zu Säulen, der Einflüsse aus dem Elsass zeigt, ist bei Hirsauer Bauwerken unbekannt. Die mittelalterliche Gengenbacher Klosterkirche ist ein bemerkenswerter und grosser Sakralbau mit Merkmalen der Hirsauer Reform. So zeigt der Innenraum nur an den Kämpfern der Säulen und Pfeiler plastischen Schmuck, und an Stelle von Türmen sitzt ein einfacher Dachreiter über der Vierung. Die Wirkung des Kirchenraumes der Kirche Gengenbachs im 13. Jahrhundert muss man sich ähnlich demjenigen der Klosterkirche Alpirsbach vorstellen.[9]

Reichsabtei und Reichsstadt
Vor dem Westeingang des Klosterbezirks entsteht schnell eine Marktsiedlung. Sie hat 1230 Stadtrecht. Mit zwei weiteren Städten der Ortenau, Offenburg und Zell, erhält die Stadt 1366 Reichsfreiheit. Die kleinen Städte verdanken dies dem Gengenbacher Abt Lambert von Brunn, der als Bischof und Berater des Kaisers grosses Ansehen im Reich hat.[10] Der aus niederadeliger Familie stammende Abt ist verantwortlich für einen neuen kurzen wirtschaftlichen Aufschwung der Städte und des Klosters, das durch Rodungen und Ansiedlungen talaufwärts seine Einnahmenquellen vergrössert. Aber schon im 15. Jahrhundert beginnt ein erneuter Niedergang, verstärkt durch den Beschluss des Klosterkapitels, nur noch Adelige aufzunehmen. Das Kloster wird zur Versorgungsanstalt des Ortenauer Adels. Konflikte zwischen der Stadt und der Abtei sind nun an der Tagesordnung. Die Rechte des Klosters werden von der Bevölkerung als Unterdrückungen des Adels betrachtet. Tatsächlich saugt jetzt das Kloster die Landschaft schamlos aus. 1523 wandeln Abt und Konvent die Abtei in ein adeliges Chorherrenstift um. Die Benediktinerregel ist schon lange vergessen. Das Vorhaben, vom Papst schon abgesegnet, wird von Kaiser Karl V. verhindert. Inzwischen ist die Reformation in der Ortenau unter dem Kastvogt Graf Wilhelm von Fürstenberg eingeführt. Der verweltlichte Konvent, nur noch aus Abt und acht Konventualen bestehend, ist im Begriff, sich selbst aufzulösen. Die von Vogt und Reichsstadt eingeleitete Säkularisation verzögert sich wegen der Reichsunmittelbarkeit der Abtei, ist aber gleichzeitig der Grund für deren Verschonung im Bauernkrieg. Langsam stirbt der Adelskonvent aus, 1539 sind nur noch Abt und Prior im Kloster. Mit dem Augsburger Interim und dem Übergang der Ortenau an Österreich siegt Mitte des 16. Jahrhunderts die Gegenreformation. Die inzwischen mit dem Ortenauer Adel kaum mehr besetzbare Abtei erhält 1556 auf österreichischen Druck einen bürgerlichen elsässischen Abt, Gisbert Agricola aus der Abtei Maursmünster. Seine Einsetzung bedeutet das Ende des unsäglichen Adelsprivilegs und damit nach 150 Jahren Unterbruch den Wiederbeginn von klösterlichem Leben. Der Konvent umfasst wieder ein Dutzend Mitglieder und erholt sich langsam. Auch die vorher arg vernachlässigte Bibliothek nimmt einen stolzen Umfang an.[11] Die Aufbauzeit dauert nur kurz. Seit 1608 ist der Strassburger Bischofsstuhl von Österreich besetzt. Leopold von Österreich[12] zwingt als erstes Gengenbach und die anderen Klöster zum Austritt aus der Bursfelder Kongregation, der sie kurz vorher beigetreten sind. Er will die Klöster unter seiner Kontrolle und gründet deshalb die Strassburger Kongregation. Auch in der Besetzung seiner Nachfolge durch Familienmitglieder ist er erfolgreich. Dadurch wird Gengenbach schon sehr früh in den Dreissigjährigen Krieg hineingerissen. 1622 ist es Hauptquartier der Truppen Leopolds zur Rückeroberung des Elsass. Verheerende Durchzüge folgen in den folgenden Jahren regelmässig. Kaiserliche profitieren von Quartier und Kontributionen. Der schwedisch-französische Gegner verwüstet 1643 Kloster und Stadt. Erholungszeit bleibt kaum. Schon der nächste Krieg um die Hegemonie am Rhein vernichtet das Wiederaufgebaute. 1689 brandschatzen französische Truppen systematisch alle rechtsrheinischen Städte und Klöster, auch Gengenbach wird vollständig zerstört. An der faktischen Herrschaft Vorderösterreichs über Stadt und Kloster ändert nach den Kriegen nichts, auch nicht, als 1701–1772 die Ortenau ein Lehen des Markgrafen von Baden-Baden ist. Die Reichsunmittelbarkeit besteht im 18. Jahrhundert nur soweit, wie dies Österreich genehm ist.

Die Abtei in der Barockzeit
Das früher reiche und angesehene Stift, zuerst durch seine unkluge Politik mit dem Festhalten am Adelsprivileg vor und während der Reformation beinahe untergegangen, wird im Dreissigjährigen Krieg und in den Kriegen des Sonnenkönigs nochmals schwer getroffen. Zwar hilft die Abtei Einsiedeln mit der Entsendung von Lehrkräften und bewirkt damit die Stabilisierung der regen internen Bildungskultur. Geistesleistungen oder Schulen, mit denen sich die süddeutschen Klöster dieser Zeit rühmen können, kann Gengenbach trotzdem nicht vorweisen. Die Abtei ist mit ihrer Wirtschaftskraft dazu auch kaum in der Lage. Noch Ende des 18. Jahrhunderts leben auf ihrem kleinen Territorium nur 360 Untertanen. Die Bemühungen der Äbte Augustin Müller und Benedikt Rischer für die Wirtschaftsförderung mit der Gründung einer Glashütte und einer Kobalt-Farbenfabrik sind erst spät von Erfolg gekrönt. Dafür hinterlassen die beiden Äbte und ihr Vorgänger Abt Placidus Thalmann ein bleibendes Vermächtnis als verdienstvolle Bauäbte.

Der barocke Klosterneubau
Abt Placidus Thalmann[13] beginnt 1690 vorerst mit Wiederherstellungsarbeiten an der Stiftskirche. 1693 schliesst er den «Hauptverdüng über dem newen Klosterbaw dess Gotthaus Gengenbach mit dem ehrenvösten Herrn Frantz Behren, Mauer und berüehmten Bawmeistern in dem Bregentz-Waldt, Feltkürcher Herrschafft[14] Der Verding für die südlich der Kirche zu bauende Dreiflügelanlage mit einem zusätzlich an den Osttrakt rechtwinklig angesetzten Gartenflügel lautet auf 11 000 Gulden, die neue Josephskapelle und der Wiederaufbau des beschädigten Kirchengiebels sind darin enthalten. Der Akkord mit Beer umfasst demnach fast ausschliesslich den vollständigen Wiederaufbau des anscheinend vollständig zerstörten Klosters, im Verding «Gotthaus» oder«Gottshaus» genannt. Grundlage bilden die Pläne Beers, die wegen ihrer klaren Anlage überzeugen.[15] In Franz Beers Trupp arbeitet der 1652 geborene Bruder Peter als Steinmetz sowie als Palier der spätere Heidelberger Baumeister Johann Jakob Rischer. Die Klostergebäude sind nach sechs Arbeitssommern Ende 1699 fertiggestellt. Sie bestehen aus dem dreigeschossigen Abteiflügel im Westen, dem ebenfalls dreigeschossigen Konventflügel im Süden und einem zweigeschossigen östlichen Verbindungstrakt mit dem bis zur Stadtmauer vorstehenden Gartenflügel. Beer überhöht die Klostergebäude mit seinen betonenden Quer- und Endgiebelabschlüssen. Es sind mächtige, in drei Abteilungen gestaffelte Volutengiebel mit Obelisken am Ende der teilenden Horizontalgurten. Zwei zeichnen die Abteifassade aus, einer krönt den östlichen Giebelabschluss des Konvents und einen weiteren finden wir noch heute als Südabschluss des Kirchenquerschiffes, das Beer gemäss Vertrag wieder hochführen muss. Seit 1696 ist Abt Augustin Müller für den Bau verantwortlich, deshalb befindet sich sein Wappen, getragen von zwei Putten, prominent über dem Haupteingang. Abt Benedikt Rischer[16] nimmt Mitte des Jahrhunderts nochmals Umbauten an die Hand. Er lässt beim bestehenden Haupteingang ein neues, grösseres Treppenhaus bauen und dieses mit reichem Rokokostuck und Gemälden ausstatten. Der zierliche Balkon über dem Eingang ist Teil dieses Umbaus. Er lässt auch Innenräume, so unter anderem das Refektorium, mit Rokokostuck neu gestalten.

Die barocke Stiftskirche
Die romanische Basilika des 12. Jahrhunderts ist in gotischer Zeit mit Ausnahme der Fenstervergrösserungen in den Seitenschiffen und neuen Fenstern im Chor kaum verändert worden, sieht man vom 1505 erfolgten Anbau der spätestgotischen Marienkapelle mit dem Heilig-Grab am nördlichen Seitenschiff ab. Unklar ist der Zeitpunkt des Verschwindens der zweigeschossigen Westvorhalle, «Paradies» genannt. Nach den Verwüstungen des Dreissigjährigen Krieges meldet der Chronist nur den Abbruch des gotischen Lettners, aber dafür die notwendig gewordene vollständig neue Altarausstattung, die bis 1672 fertig ist. Gleichzeitig ist erstmals von einem Turmneubau im südwestlichen Seitenschiffjoch die Rede, vielleicht als Fortsetzung eines schon begonnenen Turmstumpfes der Spätgotik. Der Klosterbrand von 1689 scheint auch die Kirche schwer getroffen zu haben. Vielleicht fällt das brennende Dach mangels Gewölbe in die Kirche und zerstört so auch die neue Ausstattung des 17. Jahrhunderts. Im Hauptverding über den Klosterneubau von 1693 mit dem Vorarlberger Baumeister Franz Beer I ist zwar die neue südlichen Josephskapelle an Stelle des alten Kreuzgangnordflügels mit genauen Massen festgelegt.[17] Auch die Wiederaufrichtung des offenbar brandgeschädigten südlichen Querschiffgiebels wird vereinbart. Aber kein Wort über neue Obergaden oder Obergadenfenster, auch nicht über die Ummantelung der Säulen, ist zu finden.[18] Dies ist verständlich, denn zum Zeitpunkt des Verdings von 1693 sind in der Kirche schon sechs neue Altäre eingerichtet. Falls die barocken Obergadenfenster und die Ummantelung nicht aus der ersten Barockisierungsphase nach 1650 stammen, muss Abt Placidus Thalmann für diese umfangreichen Maurerarbeiten nicht genannte Meister in Vertrag genommen haben.[19] Es könnte sich bereits um Franz Beer I handeln. Erwähnt wird aber nur sein Bruder, der gleichzeitig mit dem Konventneubau für Steinmetzarbeiten an der Kirche unter Vertrag genommen wird.[20]

Stuck und Ausstattung der barocken Stiftskirche
Aus wenigen Fotoaufnahmen der 1890er-Jahre können wir das Aussehen der barockisierten Kirche zum Zeitpunkt ihrer Zerstörung erahnen. Sie zeigen ein Mittelschiff, dessen Wände dank ummantelten Säulen nun beruhigte Wandscheiben mit Bogenöffnungen zu den Seitenschiffen bilden. Ein flaches Stichkappengewölbe mit Gratbetonungen und kreisrunden einfachen Deckenspiegeln lässt kaum vermuten, dass es eine Stuckateurarbeit des Hochbarocks sein könnte. Nur der Deckenspiegel der Vierung ist reicher gestaltet. Das Gewölbe ist nicht gemauert.[21] Deckenfresken scheinen nicht vorhanden zu sein. Betonende Fassungen sind vielleicht bis zum Zeitpunkt der Fotoaufnahmen schon übertüncht. In dieser ruhigen und einfachen Raumhülle befindet sich eine reiche barocke Ausstattung, an der bis 1730 gearbeitet wird. Am Übergang von der Vierung zum erhöhten Chor befindet sich zentral der freistehende baldachingekrönte Hochaltar.[22] Zwei hohe Seitenaltäre im beginnenden Rokoko stehen schräg vor den Vierungspfeilern am Mittelschiff. Weitere Altäre müssen sich in den Querhausarmen und in den Seitenschiffen befinden, denn Abt Thalmann weiht bis 1696 acht Altäre. Die Chorausstattung der Jahre 1730–1733 ist das eigentliche Schmuckstück. Ein bemerkenswertes Régence-Chorgestühl, zweireihig in der Höhe gestuft angeordnet, füllt beidseits das Chor-Mittelschiff. Es ist mit dem die ganze Ostwand ausfüllenden prachtvoll geschnitztem Orgelprospekt verbunden. Diese Orgel ist heute eine Hauptattraktion im Augustinermuseum von Freiburg und gibt einen Eindruck des Reichtums im Chor von Gengenbach. Heute ist in an den Aussenwänden der dortigen Chorseitenschiffe nur noch ein reduzierter Teil des Chorgestühls in falscher Aufstellung zu finden.

Kirchturm-Neubau 1714–1716
Abt Augustin Müller[23] schliesst 1702 einen weiteren Vertrag mit Franz Beer I, der mit seinem Trupp offensichtlich zur Zufriedenheit des Bauherrn gearbeitet hat. Um diese Zeit arbeitet Johann Jakob Rischer bereits als selbstständiger Baumeister, hat in Gengenbach geheiratet und in Heidelberg Wohnsitz genommen.[24] Rischer ist Planer und Baumeister aller weiteren Arbeiten in Gengenbach, auch des Kirchturmes, den er 1714–1716 ausführt. Rischer führt den Turm von Grund auf neu in die Höhe und schliesst die drei Sockelgeschosse mit einem Oktogon ab, das er mit Zwiebelhaube und Laterne bekrönt.[25]

Mediation und Säkularisation
1803 wird Gengenbach badisch. Für die herrschenden Familien der ehemaligen vorderösterreichischen Reichsstadt bedeutet es einen Abschied vom althergebrachten Stadtregime mit seinen Privilegien, auch das Ende von kostspieligen Prozessen der Reichsstadt gegen die Reichsabtei vor dem Reichskammergericht. Für die Landschaft ist es ein Aufbruch in eine neue Zeit. Für die alte Reichsabtei ist es das Ende. Schon 1802 ergreift Baden Besitz von allem Klosterbesitz. Obwohl schon 1803 der wertvollste Teil der Fahrhabe versteigert oder in staatlichen Besitz überführt wird, wird das Kloster erst 1807 formell aufgehoben. Die gegen 30 Konventualen nehmen Pfarrstellen an oder erhalten Pensionen. Der neue Besitzer, das Grossherzogtum Baden, hat für die Gebäude keine Verwendung. Der östliche Verbindungstakt mit dem bis zur Klostermauer reichenden freien Flügel wird sofort abgebrochen. Die beiden verbleibenden Flügel und die Wirtschaftsgebäude haben ein gnädigeres Schicksal. Zusammen mit der noch immer erhaltenen Klostermauer bilden sie heute ein eindrückliches Ensemble, das zudem gut unterhalten ist.

Umbau der ehemaligen Stiftskirche 1892–1906
Die ehemalige Stiftskirche St. Maria wird 1807 anstelle der Martinskirche neue städtische Pfarrkirche. Während Jahrzehnten bleibt die barocke Ausstattung unberührt, obwohl im 19. Jahrhundert für mittelalterliche Kirchen die Entfernung alles Barocken die Regel ist. Nur knapp entgeht ein ähnlich umgestaltetes Bauwerk, das Konstanzer Münster, dem Abbruch seiner barocken Gewölbe. Der Umbau des Kircheninnenraums von Gengenbach ist weniger umstritten. Er erhält 1892–1906 anstelle des barocken Kleides und der barocken Ausstattung ein neuromanisches Aussehen. Nur die gotischen Veränderungen und die grossen Fenster der Barockzeit werden belassen. Die zeigt, dass nicht eine Rekonstruktion oder gar eine Restaurierung des mittelalterlichen Zustandes geplant sind. Das Ziel ist eine Neugestaltung im Geiste des Mittelalters, so wie die damalige Künstler-, Architekten- und Historikerzunft die Periode der Kathedralen verklärend sieht.[26] Der mit dem Umbau beauftragte Baudirektor Max Meckel[27] ist einer der besten deutschen Kirchenarchitekten der Neugotik und der Neuromanik. Er entfernt alle nachmittelalterlichen Elemente im Innern der ehemaligen Stiftskirche. Der so vom Barock gereinigte Innenraum erhält anstelle der Gewölbe flache Holzdecken. Die romanischen Steinhauerarbeiten werden freigelegt und wenn nötig neu erfunden. Die verachtenswerten barocken Ausstattungen, selbst die grosse Chororgel, verschwinden und machen neuromanischen Schöpfungen Platz. Für die bunte Schablonenmalerei, die heute den Innenraum prägt, ist der Gründer der Beuroner Kunstschule, P. Desiderius Lenz, beratend zuständig. So entsteht in Gengenbach zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein neuer Kirchenraum, der zwar mit allem bisher gebauten, auch mit der mittelalterlichen Basilika, wenig gemein hat, aber trotz allen umbaubedingten Verlusten eine singuläre Leistung darstellt.

Pius Bieri 2011

Benutzte Einzeldarstellungen:
Gothein, Eberhard: Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften. Strassburg 1892.
Wingenroth, Max: Die Kunstdenkmäler des Kreises Offenburg in: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogtums Baden. Tübingen 1908.

Links:
http://mortenau.de/index.php?n=Territorium.KlosterGengenbach
http://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Gengenbach

Anmerkungen:

[1] Sie führt von Augusta Vindelicum (Augsburg) über Area Flaviae (Rottweil) nach dem Kastell Offenburg über den Rhein nach Argentorate (Strassburg).

[2] Die Jungfrau Einbetha mit den Gefährtinnen Warbethe und Wilbethe sind keltischen Ursprungs und werden in christlicher Zeit in Nothelferinnen verwandelt. Die Einbethenkapelle auf dem «Jacobi- oder Castellberg» wird 1681 neu gebaut. Sie wird 1682 der Jungfrau Einbetha und den Märtyrerinnen Perpetua und Felicitas gewidmet. Der Dreifrauenkult heidnischer Abstammung ist später offensichtlich nicht mehr geheuer, denn erst im 20. Jahrhundert wird sie nach einer Nennung des 13. Jahrhunderts als Jakobskapelle bezeichnet.

[3] Die Annahme stützt sich auf das fränkische Patrozinium und die Lage abseits der späteren Stadt und des Klosters. Es sind allerdings weder archäologische Nachweise noch Quellen vorhanden.

[4] Auch hier sind keine Quellen vorhanden. Die Gründung erfolgt auf königlichem Fiskusboden. Völlig irreführend bezeichnet der Autor der Online-Stadtgeschichte deshalb den (merowingischen) König als Stifter.

[5] Wahrscheinlich noch die Mischregel Benedikt-Kolumban.

[6] Lorscher Annalen (Annales Laureshamenses) 703–803.

[7] Weder über Bau noch über die Einweihung sind Quellen vorhanden. Die Angabe eines Baubeginns 1120 ist nicht belegt.

[8] Zwei spätere Kirchen in der Nachfolge von Cluny II sind vor allem in der Chorausbildung fast identisch mit Gengenbach. Es ist dies die Kirche des Cluniazenserpriorats Rüeggisberg (um 1170) und die Kirche der Benediktinerabtei Schwarzach. Die Stiftskirche der Benediktinerabtei Schwarzach, neun Wegstunden nördlich von Gengenbach am Rhein gelegen wird fast hundert Jahre später, aber mit gleichem Grundriss und in ähnlicher Grösse wie Gengenbach erbaut. Mit ihrem Vierungsturm und den Gewölben über Chor und Seitenschiffen weist sie mit  grosser Stilverspätung noch immer zu den Bauten der Cluniazenser.

[9] Die Klosterkirche von Alpirsbach, 1131 geweiht, wird im Gegensatz zu Gengenbach später architektonisch wenig verändert. Wie Alpirsbach hat auch Gengenbach anfänglich ein «Paradies», wie die Westvorhalle genannt wird. Sie ist in Gengenbach zweigeschossig mit zum Mittelschiff geöffneter Empore. Dies erklärt auch Unstimmigkeiten an der Westfassade.

[10] Lambert oder Lampecht von Brunn (um 1320–1399) stammt aus elsässischem Niederadel und ist 1354–1374 Abt in Gengenbach, gleichzeitig Bischof von Speyer und Strassburg. Als Bischof von Speyer und Berater des Kaisers erwirkt er die Reichsfreiheit der drei Ortenaustädte. 1374 verzichtet er auf den Abtswürde, nachdem er als Fürstbischof von Bamberg gewählt wird. Er hat wegen seiner niederadeligen Herkunft Feinde in allen Domkapiteln und auch im Konvent.

[11] Grossen Zuwachs erhält sie 1595 durch den Prior des von Württemberg aufgehobenen Hirsauer Priorats Klosterreichenbach, der «seine» Bibliothek nach Gengenbach bringt.

[12] Leopold V. Ferdinand (1586–1632), Erzherzog von Österreich, Fürstbischof von Passau 1598–1625 und Strassburg 1608–1625, Landesfürst von Tirol, auch Fürstabt von Maursmünster. Er tritt 1625 zugunsten seines Neffen von den kirchlichen Ämtern zurück und heiratet in Innsbruck Claudia von Medici.

[13] Abt Placidus Thalmann regiert 1680–1696. Er stammt aus Wil oder Jonschwil, beides Orte der Fürstabtei St. Gallen.

[14] Mit Frantz Behren ist Franz Beer I (1659–1722) gemeint. Der von den Kunsthistorikern genannte Franz Beer II (1660–1726) ist nicht mit ihm verwandt. Dieser arbeitet um diese Zeit an seinen ersten Aufträgen für die Abteien Obermarchtal und Zwiefalten, wo er die Arbeiten des 1690 verstorbenen Michael Thumb übernimmt. Ausschlaggebend für die Zuweisung an Franz Beer I ist auch die Mitarbeit seines Bruders Peter als Steinmetz.

[15] «Soll Behr bei seinem gegebenen Abrüss verbleiben, welcher wegen seiner sauberen Stellung genehm gehalten wordten»

[16] Benedikt Rischer, regiert 1743–1763, ist Sohn des als Palier am Klosterneubau arbeitenden Johann Jakob Rischer.

[17] Der neue Innenhof wird jetzt grösser gebaut, ein nur im Erdgeschoss liegender Kreuzgang in mittelalterlicher Art ist im 17. Jahrhundert unerwünscht.

[18] Dies wäre ausdrücklich im Verding, in dem alles detailliert aufgeführt ist, vermerkt. Irrtümlich folgert Wingenroth aus dem Artikel 3 des Verdings, der vorschreibt «Soll er alle Mauern dess gantzen verbrantten Gottshaus völlig niederwerffen und dem Boden gleich machen», dass damit anstelle des Klosters (Gottshaus) die Kirche (Kürchen) gemeint sei. Hier stolpert ein verdienstvoller Forscher über eine süddeutsche Bezeichnung von «Kloster» und spätere Historikergenerationen folgen ihm blind.

[19] Es ist Pflicht eines Abtes, als erstes für den Gottesdienst zu sorgen. Auch wenn bis 1693, dem Weihejahr von sechs Altären, nur ein Teil der Kirche benutzt werden kann, müssen doch mindestens in diesem Teil die vergrösserten Obergadenfenster schon vorhanden sein. Wingenroth glaubt, dass der Chor noch 1693 um 20 Fuss höher gemauert wird, allerdings in der falschen Annahme, dass der Verding von Franz Beer auch diese Arbeit umfasst.

[20] Er erhält 7 Batzen 6 Kreuzer als Taglohn bei freier Kost am Konventtisch.

[21] Der Gewölbeansatz in der oberen Hälfte des Obergadens ist bei einem gemauerten Gewölbe statisch nicht denkbar. Vergleiche die Ausführung der gemauerten Gewölbe des Münsters von Konstanz der Jahre 1680–1683.

[22] Der Chronist P. Augustin Dornblueth vermeldet in der Chronik, dass drei «Arbeiter» für 90 Gulden während 10 Tagen bei Kost und Logis an der Fassung des aus «Gibbs-Marmor» erstellten Altars arbeiten. Die «Arbeiter» sind vermutlich Fassmaler.

[23] Augustin Müller regiert 1696–1726, er stammt aus Wil, einer Stadt in der Fürstabtei St. Gallen. Er wird vom jüngeren Klosterchronisten P. Augustin Dornblueth als unmässig verfressen beschrieben, während ihn Max Wingenroth 1908 als «gänzlich unfähig» bezeichnet. Das Negativurteil erklärt sich aus der Finanzsituation der Abtei nach Abschluss der Bauarbeiten.

[24] Johann Jakob Rischer (1662–1755), vermutlich aus Au im Bregenzerwald. Er ist zu dieser Zeit noch Baumeister für den Markgrafen von Baden-Baden, wechselt dann aber nach Auseinandersetzungen mit dem Rastatter Hofbaumeister Rossi nach Heidelberg. Die letzte Zusammenarbeit Rischers mit Franz Beer I datiert von 1696–1704. Die beiden erstellen in Frauenalb den ersten Teil des Konventneubaus. Der Sohn Benedikt ist zu dieser Zeit Konventuale in Gengenbach und wird 1743 zum Abt gewählt.

[25] Entgegen den lokalhistorischen Angaben aufgrund einer barocken Idealdarstellung ist in Gengenbach nie ein zweiter Turm gestanden und ist ein frühestens im 16. Jahrhundert begonnener Turmstumpf an heutiger Stell nie über zwei Geschosse gewachsen.

[26] Führender Theoretiker ist Eugène Viollet-le-Duc (1814–1879), der viele französische Kathedralen und Schlösser rettet, diesen aber auch seinen Stempel vom reinen Mittelalter aufdrückt.

[27] Max Meckel (1847–1910), verdienstvoller Kirchenarchitekt des Historismus. Er beginnt als Steinmetz am Dombau von Köln. Sein letztes Werk ist die Heiliggeistkirche in Basel.

 

  Ehemalige Benediktiner-Reichsabtei Gengenbach  
  Gengenbach1803  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Gengenbach
Ortenaukreis Baden-Württemberg D
Reichsabtei Gengenbach
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Strassburg 1693
Bauherr und Bauträger

ok
Abt Placidus Thalmann (reg. 1680–1696)
ok Abt Augustin Müller (reg. 1696−1726)
ok Abt Benedikt Rischer (reg. 1743−1762)
 
  Eine Geometer-Aufnahme aus 1803 zeigt die Gebäude des Klosterareals im Zustand vor der Säkularisation. Für Erläuterungen Bild bitte vergrössern.   pdf  
   
Gengenbach1
Der SO-Eckbau mit Volutengiebel und der Turm vom heutigen Ostzugang gesehen.  
   
Gengenbach2
Der Turm, 1714–1716 durch Baumeister Rischer erbaut, vom Innenhof gesehen. Am zweigeschossigen Verbindungsbau südlich der Kirche fehlt das Mittelstück (siehe auch Grundriss), das dem Kirchenumbau 1892–1906 zum Opfer fällt.  
GenegnbachKirche
Die romanische Stiftskirche des 12. Jahrhunderts hat, lehnt sich zwar, die Vergleiche (> anklicken) zeigen, an Hirsau an, übernimmt aber in der Apsidenausbildung des Chores das Vorbild von Cluny II. Noch im 13. Jahrhundert baut die nahe Benediktinerabtei Schwarzach eine romanische Basilika in der Art Gengenbachs.  
GengenbachGoogle
Die Google-Earth-Aufnahme Gengenbachs zeigt den noch weitgehend intakten mittelalterlichen Stadtgrundriss der freien Reichsstadt im Westen und dem Areal der Reichsabtei im Osten. Auf der Vergrösserung ist der Planausschnitt 1803 des Klosterareals markiert..  
Gengenbach3
Der Haupteingang am Westflügel entsteht in der heutigen Form zur Rokokozeit unter Abt Benedikt Rischer, dessen Wappen über dem Türsturz und dessen Monogramm im Gitter zu finden ist. Das Wappen über dem Balkonausgang ist noch dasjenige von Abt Augustin Müller, das um 1700 angebracht wird (siehe auch unten).  
Gengenbach4
An den Innenhoffassaden fasst eine Architekturmalerei der Bauzeit um 1700 die Fenstergewände und zeichnet sie mit Sprenggiebeln aus. Die weiss abgesetzten steinfarbenen Fassungen haben ihre Herkunft in den Sgraffiti der Alpenländer.  
Gengenbach5
Das Wappenrelief über dem Haupteingang nimmt Bezug auf den Vollender der Klosteranlage, den Abt Augustin Müller. Es ist ein Werk des nach 1695 in Gengenbach ansässigen Bildhauers Philipp Winterhalder. Das von zwei Putten getragene Wappen zeigt in Rot ein goldenes Mühleisen, besetzt von einem goldenem Hauszeichen.  
Genegnbach6
Um 1750 baut Abt Benedikt Rischer das Eingangs-Treppenhaus um. Damit hält das Rokoko in Gengenbach Einzug. Während die Stuckaturen eines unbekannten Meisters aus der Zeit stammen, werden die Gemälde 1901 ersetzt.  
Gengenbach7
Über dem Ausgangstor des Treppenhauses zum Hof ist das Wappen von Abt Benedikt Rischer angebracht. Rokokostuck rahmt das fantasievolle persönliche Wappen, das in Rot über goldener Säule mit goldenem Stern ein goldenes Sprengwerk zeigt, überhöht von einem schwarzen geflügelten Hirschen.  
GengenbachTreppe
Der Treppenausplan zeigt auch in Grundriss und Schnitt die ausserordentliche Eleganz des Rokoko-Einbaus.
Bildquelle: Kunstdenkmäler Baden 1908.
 
Gengenbach8
Mit dem Kirchenumbau von 1892–1906 geht die wertvolle Barockausstattung verloren. Die 12 Meter hohe Orgel (1733) wird abgebrochen. Nur das Prachtgehäuse des Prospektes wird gerettet, das Werk des Strassburger Orgelbauers Merckel geht verloren. Erst 1923 wird der Prospekt im Freiburger Augustinermuseum wieder aufgestellt, erhält 1934 ein neues Werk, überlebt auch den Weltkrieg und wird 2005 restauriert. Sie hat heute zwanzig klingende Register und zeigt eindrücklich die Qualität der verschwundenen barocken Ausstattung der Kirche Gengenbach.
Bildquelle: Wikipedia by author Axel Kilian.
 
Gengenbach9
Eine Schwarzweiss-Aufnahme zeigt den barocken Chor vor dem Abbruch der Ausstattung 1892. Ebenso wie die Orgel stammt auch das Régence-Chorgestühl von 1733. Die Ausstattung ist deutlich französisch beeinflusst.
Bildquelle: Wikipedia (Fig. 219 in Kunstdenkmäler Baden, Kreis Offenburg, 1908).