Ein Lustschloss im Fasanengarten ersetzt das Jagd- und Lustschloss «Ludwigsburg»
Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg baut seit 1704 einen neuen Schlossbau als «Maison de Plaisance» auf dem Platz des erst kürzlich wieder aufgebauten Erlachhofes im herzoglichen Jagdgebiet nördlich seiner Residenz Stuttgart. Den entstehenden Bau nennt er «Ludwigsburg». Schon nach 1710 reift bei ihm der Entschluss, das Schloss nicht als Lust- und Jagdschloss, sondern als Residenz zu nutzen. Die gleichzeitig entstehende Stadt westlich des Schlosses sollte Residenzstadt werden. 1715 löst Donato Giuseppe Frisoni den verstorbenen Hofbaumeister Johann Friedrich Nette ab.[1] Die Residenzverlegung von Stuttgart nach Ludwigsburg ist nun beschlossen. Frisoni plant sofort eine bedeutend grössere Dreiflügelanlage, erhält aber auch den Auftrag, nun ein Lusthaus in der Fasanerie im Norden des Schlossneubaus zu planen.
Das neue Lustschloss Favorite
1717 beginnt der mit Frisoni verwandte Bauunternehmer Paolo Retti mit dem Neubau, der 1718 unter Dach ist und nun schon den Namen «Favorita» trägt. Es wird ein architektonisch und städtebaulich aussergewöhnlich originelles Bauwerk. Endpunkt der langen Süd-Nord-Achse und mit seiner phantastisch bühnenhaft gestalteten Schaufront eigentlicher «Point de vue» gegenüber der neuen Residenz, ist es klar böhmischem Architekturgut verpflichtet. Frisoni hat sein Handwerk bei seinem Landsmann in Prag, Giovanni Battista Alliprandi, gelernt und ist mit der böhmischen Architektur vertraut.[2] Es muss deshalb nicht verwundern, dass der Grundriss der Ludwigsburger Favorite schon in 1677 in Abraham Leuthners Säulenbuch vorhanden ist.[3] Es ist eine Kopie der Villa rustica im dritten Buch von Sebastiano Serlio 1540 und damit ein schöner Beleg für die italienischen Wurzeln des böhmischen und süddeutschen Barocks. Frisonis Umsetzung seiner böhmischen Erfahrungen am Lustschloss Favorite «zählt mit seiner reichen Silhouette, seiner raffinierten Anordnung und der ausladenden Freitreppe zu den originellsten Schöpfungen barocker Lustschlossarchitektur in Deutschland».[4]
Für die Innenräume zeichnet Frisoni detaillierte Ausführungsrisse. Er gibt jedes Detail vor, an das sich die auch an der Residenz tätigen Landsleute halten müssen. Carlo Ferretti erstellt die Fassadenskulpturen.[5] Stuckateur ist Donato Riccardo Retti.[6] Giacomo Antonio Corbellini ist für die Stuckmarmorarbeiten verantwortlich.[7] Diego Francesco Carlone liefert die Stuckplastiken für den Kamin im Saal.[8] Luca Antonio Colomba ist der Schöpfer aller Deckenfresken.[9] Von dieser reichen Ausstattung sind heute nur noch der Bandelwerkstuck des Südwestzimmers und zwei Deckenfresken Colombas erhalten. Dank der erhaltenen Detailplanung Frisonis können wir uns auch den Saal der Barockzeit vorstellen.
Zum Typus des barocken Lustschlosses
In Italien, woher der Bautypus stammt, wird er als «Villa suburbana» bezeichnet. Dem damaligen deutschen Begriff des «Lusthauses» kommt die französische Bezeichnung des «Maison de plaisance» näher. Nicht diese bekannten französisichen Landschlösser des Sonnenkönigs, wie Marly oder Clagny, sind Vorbild für die Favorite. Donato Giuseppe Frisoni plant das herzogliche Lusthaus nach Vorbildern in Böhmen, die wiederum eine lange italiensiche Renaissance-Tradition fortführen. Mehr zum Gebäudetypus der Lustschlösser und Lustgartengebäude.
Klassizistische Umbauten durch Thouret[10]
Im Auftrag des Herzogs Friedrich II. baut der spätere Hofbaumeister Nikolaus Friedrich von Thouret 1798−1801 die Innenräume klassizistisch um. Obwohl die Neugestaltung ein hohe Qualität aufweist, muss doch der Verlust der barocken Einheit bedauert werden. Die barocke Umgebungsgestaltung mit den vom Gebäude ausstrahlenden acht Wegachsen wird gleichzeitig zugunsten eines englischen Landschaftsparks verändert.
Heute
Das Schloss wird schon im 19. Jahrhundert kaum mehr genutzt und bleibt auch nach dem Ende des Königreichs dem Publikum nicht zugänglich. Dies ändert sich nach der umfangreichen Restaurierung, die 1972−1982 stattfindet. Besichtigungen sind seither möglich.
Pius Bieri 2011
Benutzte Einzeldarstellungen:
Merten, Klaus: Die Baugeschichte von Schloss Ludwigsburg bis 1721, in: Schloss Ludwigsburg. Stuttgart 2004.
Pozsgai, Martin: Der Architekt Donato Giuseppe Frisoni und seine Kompetenz für die Inneneinrichtung, in: Architekt und / versus Baumeister. Zürich 2009.
Links:
www.schloss-favorite-ludwigsburg.de/
Anmerkungen:
[1] Donato Giuseppe Frisoni (1681/83–1735) aus Laino im Val d'Intelvi, Stuckateur und ab 1715 württembergischer Hofbaumeister.
[2] Giovanni Battista Alliprandi (um 1670–1720), aus Laino im Val d'Intelvi. Er ist 1685 Lehrling bei Baumeister Francesco Martinelli (1651–1708) und 1696–1702 als Baumeister im Dienst der Familie Czernin, vorerst in Wien, dann in Böhmen. 1699 baut er das Schloss Liblice. Alliprandi «stiehlt» dafür allerdings einen Entwurf von Johann Bernhard Fischer von Erlach für ein Lustgartengebäude, das Johann Friedrich Nette 1710 in seinem Stichwerk veröffentlicht. In Prag ist Alliprandi Architekt des Palais Sternberg (1698–1708) und das Palais Lobkowitz (1704–1707).
[3] Abraham Leuthner von Grundt (1639–1701), Prager Baumeister. Er errichtet 1668–1677 für Caratti das Palais Czernin auf dem Hradschin. 1677 veröffentlicht er ein Lehrbuch «Grundtliche Darstellung, Der Fünff Seüllen», in dem Beispiele von Bauten und Stuckaturen vorgestellt werden. Er ist einer der frühesten selbstständigen Baumeister böhmischer Herkunft. Alle Dientzenhofer-Brüder arbeiten bei ihm.
[4] Michael Wenger 2004.
[5] Carlo Ferretti (geb. 1689) aus Castiglione, Bildhauer und Stuckateur, Sohn eines Vetters von Frisoni.
[6] Donato Riccardo Retti (1687–1741) aus Laino, Stuckateur, Sohn der Schwester von Frisoni.
[7] Giacomo Antonio Corbellini (1673–1742) aus Laino, Bildhauer, Stuckateur, in zweiter Ehe Schwager von Frisoni.
[8] Diego Francesco Carlone (1674–1750) aus Scaria, Bildhauer und Stuckateur, mit Frisoni verschwägert.
[9] Luca Antonio Colomba (1674–1737) aus Arogno, Hofmaler, verheiratet seit 1712 mit Anna Maria Carlone, einer Schwester Diegos.
[10] Nikolaus Friedrich von Thouret (1767−1845). Der Umbau des Schlosses Favorite ist eine der ersten Arbeiten des 1800 zum herzoglichen Hofbaumeister ernannten Klassizisten.
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Grundriss des Hauptgeschosses der Favorite. > Vergrössern. | |
1727 erscheint in Augsburg eine Stichserie mit den Ludwigsburger Werken von Donato Giuseppe Frisoni, darunter auch die Vogelschauansicht der Favorite von Süden. Das Lusthaus steht in einem Rondellplatz. Radialkonzentrisch durchschneiden mehrere Schneisen die umgebenden Bosketts. Derart besteht die Umgebung des Lusthauses bis 1757. |
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Der Plan von Georg Peter Schreyer (1775), der hier genordet ist, zeigt das Lusthaus Favorite im neuen oktogonalen, von Bosketts geformten Platz, als nördlicher Teil des Schlossgartens (unten). 1800 wird der Barockgarten der Favorite zu einem englischen Garten umgestaltet, wie er heute noch besteht. Die Verbindung zum Residenzschloss wird im 20. Jahrhundert einer mehrspurigen Strasse geopfert. | |
Der Grundriss der Favorite ist eine nur geringfügige Abwandlung des Landhauses, das Sebastiano Serlio 1544 veröffentlicht, hier in einer Nachzeichnung im 1677 erschienenen Säulenbuch des Prager Baumeisters Abraham Leuthner. | |
Die Südseite, wie sie sich dem heutigen Besucher präsentiert. | |
Auch die Architekturdetails sind böhmisch beeinflusst. Die geschwungene Freitreppe ist ähnlich an der Favorite von Rastatt zufinden, die der böhmische Baumeister Johann Michael Rohrer 1710–1723 baut. |