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Das repräsentative Treppenhaus im süddeutschen Barock

Pommersfelden
Das Treppenhaus im Schloss Weissenstein zu Pommersfelden, geplant vom Bauherrn Lothar Franz von Schönborn und seinem Baumeister Johann Dientzenhofer. Ausschnitt aus dem Stich von Salomon Kleiner 1728.
     
  Inhalt
Inhalt1 Freiteppen und Zwecktreppen im Frühbarock
Inhalt2 Die Inszenierung der Innentreppe
Inhalt3 Treppenarten und Treppenräume
Inhalt4 1. Die Treppe als Ort der Inszenierung des Emporschreitens
Inhalt5 2. Die Freitreppe im grossen Treppenraum
Inhalt6 Die Gesandtentreppe in Versailles
Inhalt7 Beispiele von Treppenräumen im süddeutschen Barock
Inhalt8 1. Rastatt 1699
Inhalt9 2. Pommersfelden 1712
Inhalt10 3. Ebrach 1715
Inhalt11 4. Bruchsal 1732
Inhalt12 5. Würzburg 1744
Inhalt13 Glossar Treppe

Freitreppen und Zwecktreppen im Frühbarock

Die repräsentative Treppe im Innenraum, die ausschliesslich zum «Piano Nobile» oder zur «Beletage» im ersten Stock einer Fürsten- oder Klosterresidenz führt, ist für die Baumeister und Architekturtheoretiker der Renaissance und des frühen Barocks noch kein Thema. In ihren Villen, Palästen und Rathäusern übernimmt die äussere Freitreppe diese Aufgabe des Empfanges, beim Rathaus ist ihr oberstes Podest zusätzlich Handlungsplatz von Zeremonien. Noch bis ins 18. Jahrhundert bleibt die äussere Freitreppe bei Lustschlössern der Hauptzugang zum Piano Nobile.Die inneren Treppenanlagen sind in den Traktaten des 16. Jahrhunderts vielfach recht phantasievoll dargestellte Zwecktreppen. So zeigt Palladio 1570[1] nebst einer Anzahl runder, ovaler und quadratischer Treppenhäusern auch zwei gegenläufige Treppenanlagen, darunter die grosse Wendeltreppe nach Entwurf von Leonardo da Vinci in Chambord. Diese aufwändigen Anlagen der Renaissance sind zwar von hohem künstlerischen Wert, aber für die bewusste Inszenierung des Empfangs nicht geeignet, da sie mehrere Stockwerke erschliessen. Das gleiche gilt für das 1615 erschienene Architekturtraktat «L’idea della architettura universale di Vincenzo Scamozzi», wo auf Seite 314–317 die wichtigsten Treppentypen beschrieben werden, aber alle in einem durchgehenden Treppenschacht dargestellt sind.

Palladio1570   Scamozzi1   Scamozzi2
Treppen der Renaissance 1: Andrea Palladio beschreibt 1570 in seinem Traktat die doppelte Wendeltreppe des Schlosses Chambord, deren Entwurf  Leonardo da Vinci zugeschrieben ist. Das frei in den Innenraum gestellte Meisterwerk erschliesst mehrere Geschosse und kann deshalb kein Vorbild für barocke Inszenierungen sein.   Treppen der Renaissance 2: Vincenzo Scamozzi beschreibt 1615 in seinem Traktat die wichtigsten Treppenarten. Er stellt auf Seite 316 mehrere gewendete und gegenläufige Treppentypen vor, die aber als Zwecktreppen mit Schachtwänden gefasst sind. Nur die vierläufige Treppe mit grossem Treppenauge zeigt Grosszügigkeit.   Treppen der Renaissance 3: Auf Seite 317 zeigt Vincenzo Scamozzi an dritter Stelle die geradläufig gewendete Doppeltreppe mit je drei Läufen. Im geschlossenen Treppenschacht dient sie zur Erschliessung mehrerer Geschosse. In Pommersfelden finden wir 1712 diese Treppe, nun frei im Raum und gleichsinnig doppelt geführt.
TroyaPrag
Die Freitreppe am Schloss Troja bei Prag (Jean-Baptiste Mathey 1685) ist eine Doppeltreppe mit symmetrisch angeordneten, ovalen und zweiläufigen Armen. Sie beginnt achsial im Erdgeschoss und endet achsial im Balkonpodest des Hauptgeschosses. Noch liegt diese repräsentative Treppe aussen. In einen grossen Innenraum verlegt, würde diese Treppe alle Anforderungen an eine Inszenierung des zeremoniellen Empfangs erfüllen.
Bild: Lady Rowana in Wikipedia.

Die Inszenierung der Innentreppe

Erst nach dem Dreissigjährigen Krieg wird die Inszenierung der Innentreppe als Ort des höfischen Empfangs auch für deutsche Fürsten von Bedeutung. Die repräsentativen Räume ihrer Residenz liegen meist im ersten Obergeschoss, dem «Piano Nobile» oder der «Beletage». Das nun immer wichtiger werdende Treppenhaus muss deshalb zentral liegen und wenn möglich mit der Kutsche über das Vestibül erreichbar sein. Zudem müssen die Treppen im «Piano Nobile» in einem lichten und geräumigen Treppensaal enden oder gar als Hauptbühne dieses Raumes  dienen. Die Inszenierung des Empfangs in diesem wichtigen Vorraum zu den Empfangszimmern und zu den Festsälen, er wird deshalb auch als Antisala bezeichnet, ist eine Erfindung des französischen Hofes. Ein Gemälde von Jean-Léon Gérôme zeigt einen Empfang des Sonnenkönigs im Jahr 1674. Das strenge Zeremoniell, bei dem die Treppe nur Bühnenstaffage ist, findet bei den absolutistisch regierenden Herrschern Europas Anklang.

Versailles1
Ein Gemälde von Jean-Léon Gérôme zeigt den Empfang des Grand Condé durch Louis XIV 1674. Der Sonnenkönig erwartet den hochrangigen Verwandten auf dem Treppenpodest der neuen Gesandtentreppe von Versailles. Das strenge Versailler Zeremoniell, bei dem die Treppe nur Bühnenstaffage ist, findet bei den absolutistisch regierenden Herrschern Europas Anklang. Jean-Leon Gérôme zeigt mit seinem Gemälde (1878, Musée d’Orsay) dieses Treppenraum-Zeremoniell in eindrücklicher Weise.

Treppenarten und Treppenräume

Die meisten der in der Renaissance bekannten Treppenarten wären für die Inszenierung des Empfangs geeignet, sofern sie nur den «Piano Nobile» erschliessen und dort ohne Schachtwände enden. Wichtiger als die gewählte Treppenart wird aber im Barock die Lage der Treppe als Mittel der Rauminszenierung.
Hier sollen zwei Arten solcher Treppeninszenierungen betrachtet werden.

Die erste Art führt den Besucher vom Empfangsraum oder Vestibül des Erdgeschosses in die Helle und die Pracht der Empfangshalle im Piano Nobile. Man kann diese Art als Inszenierung des Emporschreitens bezeichnen.

Die zweite Art legt die Treppe frei in einen grossen und mehrere Geschosse umfassenden Treppenraum. Sie wird zur Bühne der Empfangs-Inszenierung.

1.    Die Treppe als Ort der Inszenierung des Emporschreitens

1.1  Die geradläufige Treppe
Die Höhe des Erdgeschosses in Residenzen erlaubt die geradläufige Treppe wegen ihrer Länge selten. Sie kann, vor allem mit zusätzlichen Mittelpodesten als mehrläufige Treppe, bei hohen Erdgeschossen sehr lang werden und wird selten angewendet. Im Palais Daun-Kinsky in Wien erschliesst eine solche Treppe die Antisala der Festräume im dritten Obergeschoss (Johann Lucas von Hildebrandt 1713).

1.2  Die gekrümmte Treppe
Die gekrümmte oder gebogene ein- oder zweiläufige Treppe wird bei grosszügigen Rundräumen, meist in Ovalform, angewendet. Das schönste Beispiel ist die Treppe der Residenz Bruchsal (Balthasar Neumann 1732).

1.3.  Die Treppe mit Richtungswechsel
Die bekannte Treppe mit zwei oder vier geraden Läufen, die ab dem Wendepodest die Richtung wechseln, also gegenläufig sind, ist bei wenig breiten Treppenräumen beliebt. Ihr oberster Lauf endet in der hohen Halle des Piano Nobile. Vielfach wird diese Treppe mit Richtungswechsel symmetrisch an die beiden Längsenden eines langgezogenen Treppenraums gesetzt. Die Residenz in Rastatt (Domenico Egidio Rossi 1699) und der Palazzo Madama in Turin (Filippo Juvara 1718) besitzen solche Empfangstreppen. Eine frühe derartige, vorbarocke Lösung ist die Treppe im nördlichen Kaiserhofflügel der Residenz München (1615).[2]

DaunKinski   TurinMadama   BruchsalGrRiss
Johann Lucas von Hildebrandt baut 1713–1716 im Palais Daun-Kinsky in Wien eine geradläufige Prachttreppe. Sie erschliesst den Treppensaal der repräsentativen, um das Mezzaningeschoss erhöhten Beletage.
Längsschnitt und Grundriss aus: Palastbauten des Barockstils in Wien 1883.
  Die zweiläufige U-Treppe, symmetrisch an die beiden Längsenden eines langgezogenen Treppenraums gesetzt, ergibt eindrückliche Empfangsräume, wie hier im Palazzo Madama von Turin (Filippo Juvara 1718).   Balthasar Neumann führt in Bruchsal (1732) die gekrümmte Doppeltreppe entlang den Abschlusswänden des Ovalsaals. Sie ist eines der schönsten Beispiele für die Inszenierung des Emporschreitens in die Pracht des Empfangsraumes. Gleichzeitig zeigt sie auch, dass die Synthese von Treppenart, Raumarchitektur und Ausstattung für das Gesamterlebnis entscheidend ist. Nur deswegen wird der Treppensaal von Bruchsal als der Höhepunkt des deutschen Barocks bezeichnet.

1.4.  Die Kaisertreppe
Verbreitet ist der dreiarmige Typ der «Kaisertreppe».[3] Sie beginnt im Vestibül mit einem geraden, ein- bis zweiläufigen Treppenarm. Ab dem Wendepodest in halber Höhe führen zwei parallele Treppenarme in die Gegenrichtung. Erstmals wird diese divergierende Treppe 1584 im Escorial angewendet. Im 17. Jahrhundert ist ihre Anwendung selten. Frühestes Beispiel ist die 1608/18 gebaute Treppe zum Teatro Farnese im Palazzo della Pilotta von Parma. Domenico Martinelli baut 1690 die Prachttreppe im Wiener Palais Harrach in der Freyung. Die absolutistischen Fürsten fördern die Verbreitung der Kaisertreppe im 18. Jahrhundert. Sie wird zum wichtigsten Treppentyp in Prunktreppenhäusern. Höhepunkt ist das Treppenhaus der Residenz Würzburg (Balthasar Neumann 1737). Die Wirkung der «Kaisertreppe» beruht auf dem Raumerlebnis beim Emporschreiten von der Eingangshalle in die Helle und Pracht des Treppenraumes im Piano Nobile.
Eine Sonderlösung dieser Treppe ist der umgekehrte Beginn mit zwei Treppenarmen und das Ende mit einem Arm. Antoine Le Pautre stellt diese konvergierende Treppe in seinem 1652  erschienenen Werk (discours sixième, Tafel 9) vor. Im Prager Palais Czernin baut sie Francesco Caratti 1669. Johann Lucas von Hildebrandt erstellt 1739 eine derartige Treppe im Kloster Göttweig. Mit der Erweiterung des Treppenlichtes durch die Hinzufügung von zwei Zwischenläufen ist die Treppe von Göttweig bereits eine Freitreppe im grossen Treppenraum.

Wuerzburg   WuerzburgGrRiss
In der Residenz Würzburg baut Balthasar Neumann 1744 eine dreiarmige gespaltene Treppe in E-Form, welche im Erdgeschoss einarmig beginnt und im Hauptgeschoss zweiarmig endet. Sie ist der Höhepunkt dieser als «Kaisertreppe» bekannten Treppenart und vor allem mit ihrer Grösse und ihrer freien Lage im oberen Treppensaal beindruckend.
Foto: Treppenraum Richtung Süden. {{Bild CC BY SA 3.0 DE}} by Graham Fellows in Flickr.
Plan: Ausschnitt aus dem Erdgeschoss-Grundriss von Rudolf Pfister 1922. Süden ist oben.
 A = Vestibül. B = Gartensaal. 1 = Treppe.

2.     Die Freitreppe im grossen Treppenraum

«Es scheint geradezu, als ob der Baukörper sich nach und nach die opulenten Aussentreppen einverleibte», schreibt Adolf Reinle über die als Freitreppen gebauten ersten barocken Innentreppen. Für den Zugang zum Piano Nobile der Fürstenresidenz oder zu den repräsentativen Räumen der Abtei wird ein eigener zweigeschossiger Raum als Treppenhaus ausgeschieden, oft nach aussen als Mittelrisalit betont. Ihre Wirkung verdanken diese Treppen der freien Führung im grossen Raum.

2.1.   Treppenführung zum zentralem Balkon im oberen Geschoss.
Selten werden die geradläufigen Rathaus-Freitreppen in der Art der Kapitolstreppe in Rom in einen grossen Treppenraum «verpflanzt». Vielfach wird die böhmische Freitreppenlösung bevorzugt, wie sie 1685–1703 am Schloss Troya bei Prag gebaut wird. Diese Doppeltreppe beginnt in der Eingangsachse des Erdgeschosses mit symmetrisch angeordneten gebogenen und zweiläufigen Armen, die im Hauptgeschoss wieder in der Eingangsachse in einem betonten Balkonpodest enden.
Meist sind die achsial-symmetrischen Treppen aber geradläufig gewendet, mit drei Läufen und zwei Eckpodesten. Sie können aber wie in Prag auch ovalförmig mit zwei oder mehreren Läufen ausgebildet werden.
Beispiele für geradläufige gewendete Doppeltreppen mit je drei Läufen sind die Treppen im Schloss Weissenstein bei Pommersfelden (Lothar Franz von Schönborn und Johann Dientzenhofer 1712), in der Abtei Ebrach (Joseph Greissing 1715) oder in der Abtei Oberzell bei Würzburg (Balthasar Neumann 1744).
Beispiele für Doppeltreppen mit bis zu fünf und teilweise oval gebogenen Läufen sind die Treppen im Landhaus Dresden (Krubascius 1770) oder in der Abtei Prémontré (1731, heute zerstört).

OmmersfeldenGrRiss   Pommersfelden2   Ebrach   Oberzell
Die Doppeltreppe im Schloss Weissenstein zu Pommersfelden (Kurfürst Lothar Franz von Schönborn und Johann Dientzenhofer 1712) unterscheidet sich nur in der gleichsinnigen Laufrichtung von der Treppenart im Traktat Scamozzis (1615). Trotzdem liegt der Bauherr richtig, wenn er sie als neue «Invention» bezeichnet. Ihre arkadenbesäumte Freistellung im dreigeschossigen Treppenraum ist tatsächlich ohne Vorbild. Noch heute verblüfft die «Invention» des Kurfürsten.
Bildquellen: Salomon Kleiner 1728.
  Joseph Greissing gestaltet 1715 die Doppeltreppe der Abtei Ebrach nach dem Vorbild Pommersfelden. Der ähnlich hohe Treppenraum öffnet sich hier in Richtung der Repräsentationsräume.   Eine geradläufig gewendete Doppeltreppe von der Art Pommersfelden und Ebrach plant Balthasar Neumann 1744 auch für die Abtei Oberzell bei Würzburg.
Bildquelle: Hermann Popp 1924.
Premontre   DresdenLandhaus
In der Abtei Prémontré baut Nicolas Bonhomme 1731 eine vielbewunderte Treppe. Die grosse gewendete Doppeltreppe gehört zur Art der Treppe in Oberzell und entsteht zeitgleich mit dem Treppenraum von Bruchsal. Ihre technische und schon ins 19. Jahrhundert weisende Eleganz im klassizistischen Treppenraum zeigt eindrücklich, wie gross inzwischen der Unterschied in der Raumauffassung des süddeutschen Barocks gegenüber dem französischen Frühklassizismus geworden ist. Die Treppe von Prémontré wird in der Französischen Revolution zerstört. Bildquelle: BNF Paris.   Auch die Treppe im Landhaus Dresden ist französisch geprägt. 1770–1775 von Friedrich August Krubsacius erbaut, ist sie mit Prémontré mehr verwandt als mit Pommersfelden. Sie zeigt, dass die grossen barocken Treppen erst den Anfang einer sich im Klassizismus und im Neubarock des 19. Jahrhunderts entfaltenden Zeit der monumentalen Prachtstreppen bilden. Nur ihre Zeichensprache ändert. Sie prägen jetzt die Haupträume der grossen europäischen Opernhäuser, der Museen und der Stadthäuser.
Foto: Richard Peter by Deutsche Fotothek.

2.2.   Gespaltene Treppenführung ab einem Bühnenpodest im unteren Geschoss.
Ein anderer mehrläufiger Treppentyp, der sich nach einem kurzen Lauf am bühnenartig ausgebildeten zentralen Podest in zwei Arme spaltet, macht ebenfalls Geschichte. Diese divergierende T-Treppe wird schon in einem Traktat von Francesco di Giorgio Martini um 1480 beschrieben.[4] Verwirklicht wird sie erstmals als monumentale innere Ehrentreppe 1651 im Königspalast von Neapel. Die Treppe in Neapel spaltet sich nach dem zentralen Bühnenpodest in gewinkelte Arme.[5] Claude Perrault plant 1670 eine solche Treppe für den Louvre. Wie in Neapel sind die Arme der Louvre-Treppe gewinkelt. Perrault stellt sie aber als achsial-symmetrische Doppeltreppe frei in den Treppenraum, den er im Hauptgeschoss mit Kolonnaden öffnet. Johann Bernhard Fischer von Erlach verwendet die gespaltene T-Treppe im Stadtpalais des Prinzen Eugen von Savoyen 1698. Einzigartig formt sie Carlo Antonio Carlone nach 1680 im Stift St. Florian bei Linz, wo er die Treppen an die Westwand des innenhofseitigen Mittelrisalites legt und sie an der Fassade mit Loggien öffnet. Deutlicher als in St. Florian kann die Verwandtschaft mit der vorbarocken äusseren Freitreppe nicht ausgedrückt werden. Diese italienische Art der nach innen verlegten Freitreppe wird im deutschen Sprachbereich eher selten angewendet. Sie erlangt aus einem andern Grund Berühmtheit. 1670 lässt Louis XIV in Versailles eine solche in einen zweigeschossigen Innenraum verlegte dreiläufige Freitreppe für den Empfang der Gesandten bauen. Der Raum mit der Gesandtentreppe in Versailles wird nicht wegen der Treppenart, sondern wegen ihres szenografischen Einbezuges in das absolutistische Hofprotokoll für viele deutsche Fürsten zum Vorbild.

SanktFlorian   NeapelTreppenhaus
Carlo Antonio Carlone plant 1680 für das Augustiner-Chorherrenstift Sankt Florian eine divergierende T-Treppe mit Loggia-Öffnungen zum Hof. Eigentlich ist sie eine integrierte äussere Freitreppe. Mit ihrer Einbindung in das Gebäudevolumen definiert sie Länge und Tiefe des Mittelrisalites. Ihre Herkunft will sie mit den offenen Loggien nicht verleugnen.
Bild: Wikipedia by user Iswal.
  Die divergierende Treppe im grossen Treppenhaus des Palazzo Reale von Neapel wird 1651 nach den Plänen von Domenico Fontana von Francesco Antonio Picchiatti gebaut. 1837 brennt der Palast. Gebäude und Treppenhaus werden anschliessend klassizistisch mit Marmor verkleidet. Die Treppe könnte Vorbild der gleichartigen Gesandtentreppe in Versailles sein.
Bild: Wikipedia by user Irureta.


Die Gesandtentreppe in Versailles

Innentreppen liegen in den barocken Schlossbauten Frankreichs meist dezentral. Auch in Versailles fehlt das zentrale repräsentative Treppenhaus. Deshalb lässt Louis XIV im linken nördlichen Seitenflügel für Empfangsinszenierungen die «Escalier des Ambassadeurs» oder Gesandtentreppe bauen. Der Eingang liegt im zweiten Innenhof, dem Cour de Marbre. Das Treppenhaus ist 1670–1674 im Bau und beim Umzug des Hofes nach Versailles 1682 fertig ausgestattet.[6] Es dient einzig dem höfischen Zeremoniell des Sonnenkönigs.[7] Die dreiarmige und auch dreiläufige T-Treppe steht in der Art einer Freitreppe an der Wand gegenüber der Eingangsfront des zweigeschossigen, marmorbekleideten Raumes, der zudem mit einer Scheinloggia und einem Plafond von Le Brun festlich ausgestattet ist. Vom ersten Podest, das wie im Palazzo Reale von Neapel bühnenartig um elf Stufen erhöht ist und in der Eingangsachse liegt, ist beidseitig je ein langer Treppenlauf im rechten Winkel angeschlossen. Das Treppenhaus, vor allem aber die erstmals mit einer Treppe verbundene Inszenierung der Macht und Grösse nach strengem Protokoll, verfehlt seine Wirkung auf die Fürsten Europas nicht.
Als architektonisches Vorbild hat sie aber ebenso wie das Schlossgebäude von Versailles für den süddeutschen Barock keine Bedeutung. Seit der 1661 erfolgten Abkehr Frankreichs vom römischen zum klassizistischen Barock sind die Vorbilder der süddeutschen und österreichischen Prachttreppenhäuser italienisch und böhmisch geprägt. Einzig die barocke Ausstattung der Versailler Gesandtentreppe durch Le Brun hat mit der eindrücklichen Szenografie und der mit ihr verbundenen Ideologie auf die späteren Treppenhaus-Säle im deutschsprachigen Süden Einfluss. Und erst der frankophile König Ludwig II. von Bayern baut 1878 im Schloss Herrenchiemsee eine getreue Kopie der Treppe von Versailles.

Versailles2   Herrenchiemsee
Die vom französischen klassizistischen Barock geprägte Gesandtentreppe von Versailles besteht 1674 bis 1752. Sie ist Staffage für das höfische Empfangsprotokoll des Sonnenkönigs. Seine Inszenierungen der absolutistischen Macht finden viele Bewunderer und Nachahmer bei den Fürsten des Reiches. Deshalb wird die Treppe von Versailles ideologisches Vorbild. Für die Architektur der Treppen und Treppenräume im süddeutschen Barock hat sie keinen Einfluss.
Bildquelle: Charles le Brun, Description. 1725.
  Erst 1878 baut der bayrische König Ludwig II., ein grosser Verehrer des französischen Sonnenkönigs, in seinem Schloss Herrenchiemsee eine getreue Kopie der Gesandtentreppe von Versailles. Nur die Mittelzone der hochbarocken  Deckengestaltung, in Versailles von Charles le Brun gestaltet, lässt er durch ein Glasoberlicht ersetzen.


Bild: Fotochromlithographie by Library of Congress, Washington DC.


Beispiele von Treppenräumen im süddeutschen Barock

Rastatt 1699
Domenico Egidio Rossi koppelt zwei geradläufig gewendete U-Treppen beidseits an die zentrale Eingangshalle, der «Entrada». Die Treppenläufe definieren die Tiefe der «Entrada», welche die Fassadenlänge des Mittelrisalites beansprucht. Beide seitlichen Treppen sind mit einem Durchbruch bis ins Mezzaningeschoss geöffnet. Sie enden in der festlichen «Antisala» über der «Entrata». Von hier gelangt der Besucher in den grossen Festsaal. Die grosszügigen Stiegen und die «Antisala» nehmen elf Achsen der hofseitigen Fassade ein und sind entsprechend lichtdurchflutet.
Der hochbarocke, symmetrische Treppenraum von Rastatt hat italienische Wurzeln. Als Baumeister des Gartenpalais Liechtenstein in Wien wird Rossi 1692 durch seinem Landsmann Martinelli ersetzt. Die beiden Prunkstiegen des Palais Lichtenstein könnten sogar noch von Rossi geplant sein.[8] Sie sind ihm aber sicher bekannt und sind damit eines der Vorbilder für Rastatt. Das Motiv der Durchbrüche ins Mezzaningeschoss dürfte von den Stiegen des Palazzo Torfanini in Bologna stammen, welche Rossi aus seinem langjährigen dortigen Aufenthalt bekannt sind.

Bild:Wikipedia by Martin Kraft // photo.martinkraft.com

  Rastatt

 

Pommersfelden 1712
«Meine stieg muess bleiben, als welche von meiner Invention undt mein meisterstück ist».
Mit diesen Worten begleitet Kurfürst Lothar Franz von Schönborn eine Sendung von Planunterlagen seines Baumeisters Johann Dientzenhofer im März 1712 an die «Herren Virtuosi, Curiosi und Somptuosi zu Wien». Es handelt sich um Pläne zu seinem bereits begonnenen Neubau des Schlosses Weissenstein ob Pommersfelden, die er an seinen Neffen, dem Reichsvizekanzler Friedrich Carl von Schönborn zustellt. Die architektonische Erstmaligkeit und Einmaligkeit der geplanten Treppenanlage im Mittelpavillon ist ihm offensichtlich bewusst und er will sie sich von Johann Lucas von Hildebrandt, dem Vertrauensarchitekten seines Neffen, nicht ausreden lassen.
Der Treppentyp zweier beidseits der Eingangsachse symmetrisch angeordneten und dreiläufig gewendeten Treppen ist seit Palladio bekannt, wird aber im barocken Schlossbau bisher selten angewendet. Die Architekturtraktate zeigen diese Treppen immer in einem geschlossenen Schacht mit meist engen Treppenaugen. Wenige Stichveröffentlichungen zeigen auch Entwürfe mit grossem Treppenlicht. So veröffentlicht Nicodemus Tessin 1709 eine Stichfolge seines abgelehnten Entwurfes für Roissy-en-France, in dem die Treppenlösung von Pommersfelden schon enthalten ist. Auch diese Treppe ist noch in einem geschlossenen Treppenhaus ohne Freistellung angeordnet.[9]   Lothar Franz von Schönborn ist mit Sicherheit im Besitz der neuesten Architekturtraktate, welche zum theoretischen Rüstzeug selbst von weniger baubegeisterten gebildeten Adeligen gehören. Er kennt zudem seit seiner Kavaliersreise viele gebaute Residenzen in Frankreich und im Reich. Offensichtlich ist ihm auch den Stich des Entwurfes für Roissy bekannt. Und wahrscheinlich kennt er die Treppenentwürfe von Perrault für den Louvre. Wenn er sich 1712 trotzdem für seine «Invention» der Treppe mit den Umgängen wehrt, müssen wir ihm dies glauben, denn in keinem bisherigen Bau und in keiner bisherigen Veröffentlichung ist eine derart freigestellte geradläufig gewendete Doppeltreppe zu finden. Ähnlich einer Freitreppe in der Art von Schloss Troya erschliesst sie einzig die Beletage. Sie ist tatsächlich eine «Invention» des Bauherrn in Zusammenarbeit mit seinem planenden Baumeister Johann Dientzenhofer.

Bild: Hermann Popp 1924.

  Pommersfelden

 

Ebrach 1715
Abt Wilhelm I. Sölner steht der Zisterzienserabtei Ebrach 1714–1741 vor. Sofort nach seinem Amtsantritt führt er die seit 1702 unterbrochenen Arbeiten am Klosterneubau weiter. Ebrach soll ein Schloss-Stift in der Sprache des nahen Schlosses von Pommersfelden werden, das 1714 bereits unter Dach ist. Er beruft dazu den fürstlich-würzburgischen Baumeister Joseph Greissing. Assistent ist Balthasar Neumann, der hier 1715 als Fähnrich der Artillerie das Praktikum in Zivilbaukunst absolviert. Greissing baut im Mittelrisalit des Nordflügels eine symmetrische, geradläufige und gewendete Doppeltreppe mit je drei Läufen. Der Mittelrisalit bildet im Gegensatz zu Pommersfelden eine dreiseitige Begrenzung der Treppe, deren Treppenraum im Hauptgeschoss heute leider nicht mehr die Grosszügigkeit der Erbauungszeit aufweist.

Bild: Verfasser

  Ebrach

 

Bruchsal 1732
Für die Treppe im Mitteloval seines Residenzneubaus erreicht der Bauherr Damian Hugo von Schönborn 1728 die Mitarbeit des Würzburger Oberstwachtmeisters Balthasar Neumann. Erst im Januar 1731 kann Neumann nach Bruchsal kommen. Neumann plant bis zu seiner Rückkehr im März eine einmalige Treppenschöpfung und beweist in Bruchsal ein erstes Mal, dass er vor allem unter sehr schwierigen Vorgaben architektonische Höchstleistungen erreicht. Ein bereits gebauter, ovaler Treppensaal liegt im Zentrum des Corps de Logis der Residenz.[10] Im ebenfalls schon gebauten Vestibül beginnen zwei symmetrische Treppenarme beidseits eines Durchgangs. Nach einem geraden kurzen Lauf gehen die Arme beim ersten Podest in eine gekrümmte Form über und folgen der Saalwand. Auf dem Niveau des Vestibüls baut Neumann zwischen den beiden Treppenarmen einen runden Grottenraum. Die beiden Treppenarme sind zu ihm mit Arkaden geöffnet. Die Treppen erreichen nach dem Mittelpodest die Helligkeit des kuppelgewölbten Mittelsaales im Hauptgeschoss. Neumann erreicht mit dieser Inszenierung des Emporschreitens mittels zweier an die Rundwände anschliessenden Treppenschächte gleichzeitig den Eindruck, dass die Saalplattform frei im Raum schwebe und nur durch zwei Brücken mit den Nachbarsälen verbunden sei. Vor allem als Gesamtkunstwerk in Verbindung mit den Stuckaturen von Johann Michael Feichtmayr und dem Deckenfresko von Johann Zick wird der Treppensaal von Bruchsal als der Höhepunkt des deutschen Barocks bezeichnet.[11]

Bild: Hans Rott 1913 (Ausschnitt Nikolaus Pevner 1943)

  Bruchsal

 

Würzburg 1744
Höhepunkt des Typus der sogenannten Kaisertreppe ist das Treppenhaus der Residenz Würzburg. Balthasar Neumann wölbt den Raum 1743 mit einem Muldengewölbe. Die Spannweite beträgt 19 Meter und die Länge 32,5 Meter. Neumann ist auch Planer der Treppe. Sie beginnt mit einem Arm im Erdgeschoss als zweiläufige Schachttreppe und spaltet sich am Wendepodest wie üblich in zwei gegenläufige Arme. Genial ist die völlige Freistellung der zentralen Treppenvertiefung im grossen Treppensaal des Hauptgeschosses. Genial sind auch die Tiepolo-Fresken von 1752/53. Dass dieser Treppenraum trotzdem nicht als wichtiges Gesamtkunstwerk des deutschen Barocks bezeichnet wird, ist der frühklassizistischen Wandgestaltung von 1765 zu verdanken. Ludovico Bossi entfernt dabei nicht nur Rokokostuck und Bildhauerarbeiten, er schliesst auch die Arkadenöffnungen der Treppenschachtwände.

{{Bild CC BY SA 3.0 DE}} by Graham Fellows

  Wuerzburg

 

Anmerkungen:
[1] I quattro libri dell'architettura di Andrea Palladio, Venetia, 1570, Libro Primo, Seite 60–66.

[2] Ihr erster Lauf wird noch in einem Schacht geführt. Siehe auch zu ihrer Bezeichnung «Kaisertreppe» die folgende Anmerkung.

[3 ]Der Begriff Kaisertreppe für die dreiarmige E-Treppe vom Typ «Escorial 1584» wird, vor allem in Österreich, auch für Prachttreppen verwendet, die zu Kaisersälen führen, aber nicht die dreiarmige E-Form aufweisen. Den Escorial-Typ der eigentlichen «Kaisertreppe» plant im süddeutschen Bereich erstmals Enrico Zuccalli 1701/04 für Schleissheim, wahrscheinlich in Kenntnis der Wiener Treppe von Domenico Martinelli. Sie wird hier, wie später auch in der Residenz Würzburg, seitlich des Mittelsaales angeordnet. Hildebrandt setzt sie 1721 im Oberen Belvedere in Wien in die Achse des Mittelpavillons und fördert ihre Verbreitung durch Stichveröffentlichungen.

[4] Francesco di Giorgio Martini (1439–1501). Er stellt die Treppe in einem Entwurf für ein Rathaus (Palazzo della Repubblica) vor.

[5] Bau des Königspalastes 1600–1602 von Domenico Fontana (1543–1607), die Treppe wird erst 1651 von Francesco Antonio Picchiatti (1619–1694) gebaut. 1837 brennt der Palast. Gebäude und Treppenhaus werden anschliessend klassizistisch renoviert.

[6] Architekten sind Le Vau und d’Orbay. Ausstattung durch Le Brun. Das Treppenhaus wird 1752 abgebrochen.

[7] Die Gesandten werden hier am Fuss der Treppe von Offizieren der Schweizergarde ehrenvoll angehalten, um dann oben an der Treppe vom Premierminister empfangen zu werden und über zwei mit Kavalieren gefüllten Antichambres zum Audienzsaal geführt zu werden. Je nach Rangordnung innerhalb der absolutistischen Gesellschaft ändern sich die genau vorgeschriebenen Empfangs- und Abschiedsregeln. Nur bei ausgesprochen wichtigen Persönlichkeiten, wie im 1878 dargestellten Empfang des Grand Condé kommt der König bis zum ersten Podest entgegen. Das Ereignis findet 1674 statt. Um diese Zeit ist das Treppenhaus allerdings noch nicht derart fertiggestellt, wie es Gérôme malt.

[8] Ein Fassadenplan des Gartenpalais Liechtenstein von Domenico Egidio Rossi zeigt die unteren Läufe dieser Treppen noch als Freitreppen vor der Fassade.

[9] Nicodemus Tessin (1654–1728) ist Schüler von Bernini (bei Carlo Fontana) und schwedischer Hofarchitekt. Für das Schloss in Roissy bei Paris liefert er einen Entwurf, der grosse Ähnlichkeit mit dem ersten Entwurf für Pommersfelden hat. Die Treppe von der Art «Pommersfelden» ist dort aber noch nicht freigestellt.

[10] Geplant und gebaut vom Rastatter Hofbaumeister Johann Michael Rohrer (1683–1732) aus Tissau bei Karlsbad.

[11] Nikolaus Pevsner in: Europäische Architektur, Studienausgabe. München 1997.

Text: Pius Bieri 2014

Literatur:
Huber, Rudolf und Rieth, Renate: Glossarium Artis, Band 5: Treppen. Tübingen und Strassbourg 1973.
Reinle, Adolf: Zeichensprache der Architektur, Zürich und München 1976.
Pevsner, Nikolaus: Europäische Architektur, Studienausgabe. München 1997.
Stephan, Peter: «Im Glanz der Majestät des Reiches», Tiepolo und die Würzburger Residenz. Weissenhorn 2002.
Mähr, Alice Käthe: «Man steigt zum Himmel empor». Treppen und Stiegenhäuser des 17. und 18. Jahrhunderts in Österreich. Diplomarbeit. 2011 Wien.

Weblink:
www.projekte.kunstgeschichte.uni-muenchen.de
           
Links zu Bauwerken mit repräsentativen Treppen:
           
Bruchsal   Residenz Bruchsal Ebrach   Kloster Ebrach
Meersburg   Residenz Meersburg Rastatt   Residenz Rastatt
Pommersfelden   Schloss Weissenstein in Pommersfelden Wburg   Residenz Würzburg
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