Schöntal

Heiliggrabkapelle der ehemaligen Zisterzienserabtei

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Die Meister der Heiliggrabkapelle

Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Bernhard Schiesser (1651–1727) Windigsteig (Niederösterreich)     Baumeister 1716   1718
Francesco Quadri (Lebensdaten unbekannt) Agno (Tessin)     Stuckateur 1718   1720
Christian Flade (Lebensdaten unbekannt) Öhringen     Maler 1719   1720

Lage und Bauanlass
Die Heiliggrabkapelle steht auf dem Kreuzberg über der ehemaligen Zisterzienserabtei Schöntal. Weithin sichtbar, früher sogar völlig frei auf der Bergkuppe stehend, wirkt der hohe Zentralbau als starkes Zeichen, dessen Bau von Abt Benedikt Knittel[1] schon 1715 beschlossen wird. Auslöser ist der erste Jahrestag des Friedens von Rastatt und Baden. Der Kapellenbau wird in alter Tradition als Dank, Votivgabe und Mahnmal für den Frieden beschlossen. Vielleicht hat der Abt auch weitreichendere Pläne. Mit dem Patrozinium Hl. Kreuz, Hl. Grab und alle Märtyrer setzt er auch auf eine zukünftige Wallfahrt, vielleicht sogar mit einem zum Berg führenden Kapellen-Kreuzweg in Anlehnung an die Sacri Monti in Oberitalien und Böhmen. Aber nur die Heiliggrabkapelle wird gebaut. Eine bereits bestehende, schlichte gotische Kapelle wird Mesmerhaus. Westlich vor der Heiliggrabkapelle legt das Kloster 1788 einen kleinen Gemeindefriedhof als Ersatz des Friedhofs bei der Pfortenkapelle an.[2]

Baugeschichte
Der Grundstein zum Zentralbau auf dem Kreuzberg wird im Juni 1716 gelegt. Planung und Ausführung sind das Werk des Baumeisters Bernhard Schiesser,[3] der 1711 bis 1724 gleichzeitig die neue Stiftskirche baut. 1718–1720 stuckiert der Tessiner Francesco Quadri[4] den Innenraum und erstellt das Grottenwerk im Untergeschoss. Der Öhringer Maler Christian Flade[5] malt 1719 die kleineren und grösseren Kartuschenbilder in der Kuppel. 1720 kann die fertiggestellte Kapelle geweiht werden.

Architektur
Die Kapelle ist ein gleichseitiges Oktogon von rund 12 Meter Durchmesser mit steiler Kuppel und Laterne. Das Bauwerk macht mit seiner Gesamthöhe von 26 Metern einen turmartigen Eindruck. Seine Umfassungswände weisen zwei Meter konstruktiver Tiefe aus und sind statisch dem System einer Wandpfeilerhalle angenähert. Der Innenraum, bis zum Kuppelscheitel 21 Meter hoch, ist als Acht-Arkaden-Raum mit Emporen ausgebildet. Die Emporenbrüstungen sind in zwei Geschossen leicht vorschwingende, hölzerne Balustraden, in der Kuppel und in der Laterne sind sie gemalte Scheinarchitektur. Die erste Emporenebene liegt auf Höhe der Kapitelle, die zweite über dem Hauptgesims, eine dritte über einer Attika am Kuppelfuss. Innen wie aussen sind die Oktogonkanten mit Pilastern betont. Aussen ist jede Oktogonseite mit zwei Pilastern flankiert. Das äussere Hauptgesims ist stark ausladend und trägt eine umlaufende Balustradenbrüstung, darüber setzt sich die Tambour-Attika des Obergeschosses mit der Kuppel fort.
Das Kapellen-Oktogon liegt erhöht auf einer vorgelagerten Terrasse, in der ein polygonaler Untergeschossraum ausgebildet ist. Dieser wirkt mit einer Verdoppelung der Eckenanzahl im Grundriss beinahe rund. Er ist von Westen durch einen Zugang in der Gebäudeachse erschlossen, der sich nach Osten stollenartig fortsetzt und in das Untergeschoss eines freistehenden Pavillons mündet. Heute ist das Untergeschoss nicht mehr zugänglich. Auch der Kirchen-Innenraum ist leider dem Publikum verschlossen.[6]

Vorbilder
Baumeister Bernhard Schiesser wendet in Schöntal einen ihm bekannten Zentralbau-Typus an. Er muss ihn schon aus Kontakten mit seiner Verwandtschaft, den Brüdern Dientzenhofer oder dem Prager Baumeister Abraham Leuthner kennen.[7] Ungewöhnlich ist gegenüber den bekannten Vorbildern aber die Höhe des Bauwerks, die den turmartigen Eindruck bestimmt. Schon Georg Himmelheber stellt fest, dass sich die Formen eng an die Turmobergeschosse der Klosterkirche anlehnen. Die Übereinstimmung der Aussenerscheinung ist tatsächlich frappierend, sieht man vom schlankeren Verhältnis der Turmobergeschosse ab. Nun ist bekannt, dass diese ein Entwurf des Würzburger Hofbaumeisters Joseph Greissing[8] sind, der sie um 1711 im Kloster Schöntal plant, wahrscheinlich schon in Zusammenarbeit mit Bernhard Schiesser. An der Heiliggrabkapelle ist Greissing nicht mehr beteiligt. Seine Architekturhaltung wirkt aber noch im Bauwerk von Bernhard Schiesser fort.
Der Zentralbau der Heiliggrabkapelle von Schöntal enthält im Untergeschoss seit 1752 eine im Boden versenkte Steinskulptur des Leichnams Christi. Zusammen mit dem Patrozinium der Kapelle verleitet dies schnell zur Annahme, dass Abt Benedikt das Heilige Grab in Jerusalem nicht nur ideell, sondern wie die vielen gleichzeitigen Loreto-Heiligtümer als eigentlicher Nachbau verstanden haben könnte.[9] Die Nachbildung der Heiliggrab-Rotonde von Jerusalem ist aber längst nicht mehr üblich. Eine derartige Vorgabe von Abt Benedikt kann ausgeschlossen werden und wird auch durch den Bau widerlegt.

Stuck und Fresken
Für die Stuckaturen beruft Abt Benedikt nicht mehr den Würzburger Stuckateur des soeben fertiggestellten Kirchenlanghauses, sondern den Tessiner Wanderkünstler Francesco Quadri. Seine Arbeit ist vom aufkommenden Bandelwerkstuck noch völlig unbeeinflusst. Vor allem in der Laterne wirkt sie mit ihren Volutenkartuschen, Fächermuscheln, Wellenbändern und Engelsköpfen reich, ist aber architekturbetonend und eine hervorragende Rahmung der acht umlaufenden Hauptfresken. Diese stellen die Erscheinungen Christi dar. Abt Benedikt gibt dem Maler Christian Flade nicht nur das Thema vor, er bestimmt auch gleich die Vorlagen aus einem Kupferstichwerk.[10] Für jedes Bild liefert der Abt eine Beischrift mit einem Chronogramm, das immer zweimal die Zahl 1718 ergibt. Auch die vier darüberliegenden Kartuschenbilder enthalten entsprechende Chronogramme.

Altar und Heiliges Grab mit Ölberg
Die Ausstattung ist sehr bescheiden. Nur ein einfacher Altar (1721) in der östlichen Arkadennische ist noch vorhanden. Im Untergeschoss liegt die schon erwähnte Skulptur des Leichnams Christi (1752). Ein Ölberg von 1720 ist nicht mehr erhalten.

Pius Bieri 2018
Literatur
Himmelheber, Georg: Die Kunstdenkmäler des ehemaligen Oberamtes Künzelsau. Stuttgart 1962.
Brümmer, Johannes: Kunst und Herrschaftsanspruch. Abt Benedikt Knittel (1650–1732) und sein Wirken im Zisterzienserkloster Schöntal. Sigmaringen 1994.
Mack, Johannes: Der Baumeister und Architekt Joseph Greissing, Würzburg 2008.


Anmerkungen:
[1] Benedikt Knittel (1650–1732) aus Lauda an der Tauber. Abt von Schöntal 1683–1732. Zu ihm siehe die Biografie in dieser Webseite.

[2] Der kleine Friedhof besteht noch immer. Der heutige Gemeindefriedhof liegt am Kreuzbergweg, wie der Weg zur Heiliggrab-Kapelle genannt wird. Deswegen ist die Heiliggrabkapelle heute nicht mehr Wallfahrtsstätte, sondern nur noch gelegentlich benutzte Friedhofskapelle und leider für Kunstinteressierte auch nicht mehr zugänglich.

[3] Bernhard Schiesser (1651–1727) aus Windigsteig im niederösterreichischen Waldviertel. Er kommt 1681 aus Prag mit Abraham Leuthner (1639–1701) und dem Schwager von Leuthner, Georg Dientzenhofer (1643–1689) nach Waldsassen. Schiesser ist bis 1689 Palier von Georg Dientzenhofer. 1691 wird er, jetzt verheiratet mit der Witwe von Georg Dientzenhofer, Baumeister der Abtei Waldsassen und damit Nachfolger Leuthners. Nebst Waldsassen (1681–1704), der Klosterkirche Schöntal (bis 1724) und der Heiliggrabkapelle Schöntal (1716–1718) ist Schiesser auch Baumeister in Schloss Bartenstein (Nordflügel mit Schlosskirche, Planung 1710, Weihe 1716).

[4] Francesco Quadri, Stuckateur aus Agno. Die Lebensdaten sind nicht bekannt. Zusammen mit Domenico Carbonetti (1664–1728) ist er 1708/09 im Kopenhagener Schloss Frederiksberg tätig, arbeitet 1718–1720 in Schöntal und 1726–1730 in Ottobeuren im Trupp von Carlo Andrea Maini, zusammen mit (Bruder?) Antonio Quadri und Giovanni Battista Pedozzi. Für die Arbeit in Schöntal erhält er 250 Gulden.

[5] Christian Flade, Maler aus Öhringen. Weder die Lebensdaten noch die Werke des (nur lokal tätigen) Malers sind erforscht. Einzig seine lutheranische Konfession wird erwähnt. Er besitzt offenbar das Vertrauen des Abtes Benedikt, denn 1722 erhält er auch den Auftrag für das Epitaph in der Klosterkirche. Der Akkord für die Ausmalung der Kuppel lautet auf 124 Gulden.

[6] Siehe dazu auch Anmerkung 2. Leider ist die Stuckausstattung und der Grossteil der Fresken weder im Bild erfasst noch für Interessierte zugänglich.

[7] 1699 baut sein späterer Schwager Christoph Dientzenhofer in Teplá die Spitalkirche zur Hl. Dreifaltigkeit, die in Grundriss und tektonischem Konzept mit der Heiliggrabkapelle in Schöntal fast identisch ist (Durchmesser 14 Meter, Innenhöhe aber nur 12 Meter). Abraham Leuthner, Schwiegervater und Vorgänger in Waldsassen, veröffentlicht einen derartigen Grundriss schon 1677 in seinem Säulenbuch. Konstruktiv gleichartig, aber als Dreikonchenanlage gebaut, ist die Wallfahrtskirche Kappel bei Waldsassen. Sie ist ein Bauwerk von Georg Dientzenhofer.

[8] Joseph Greissing (1664–1721), Würzburger Hofbaumeister. Der Vorarlberger Joseph Greissing ist ursprünglich Stadtzimmermeister. Eine Entwurfstätigkeit Greissings für die Türme in Schöntal ist mit «an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen» (Mack 2008). Siehe zu Joseph Greissing die Biografie in dieser Webseite.

[9] Die mittelalterlichen Heiliggrab-Bauwerke sind meist Zentralbauten, in denen mittig eine Nachbildung des Heiligen-Grabes in Form einer Rotunde liegt. Beispiel: Heiliggrabkapelle in der Mauritiusrotunde des Münsters Konstanz aus dem 13. Jahrhundert. Wie bei unzählig anderen, aber meist zerstörten Heiliggrab-Nachbildungen geht der Kult in Konstanz bis ins 10. Jahrhundert zurück. Im Barock wird das Thema recht frei behandelt und ist immer der Architektur untergeordnet. Szenerien wie in Altshausen, freie Grablegungsgruppen wie in Trier oder Kalvarienberganlagen wie in Kreuzlingen sind jetzt die Regel.

[10] Christoph Weigel: Biblia Ectypa, Regensburg 1697.




  Heiliggrabkapelle der ehemaligen Zisterzienserabtei Schöntal  
  Schoental1821  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Schöntal an der Jagst
Baden-Württemberg

Zisterzienserabtei Schöntal
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Würzburg   1716
Bauherr und Bauträger
Knittel   Abt OCist Benedikt Knittel
      (reg. 1683–1732)
 
 
  Schöntal 1821. Die Jagst mit Jagstbrücke, darüber die Heiliggrabkapelle, rechts das Kloster. Lithographie von Ambros Ganz. Quelle: Landesbibliothek Stuttgart.   pdf  
   
SchoentalKapelle1
Die Heiliggrabkapelle von Süden.
Foto: Roman Eisele in Wikipedia.
   
SchoentalA11
Die weithin sichtbare Heiliggrabkapelle, gesehen von der Jagstbrücke.
Foto: Christian Spannagel 2005.
 
SchoentalKapelleLageplan
Lageplan der Zisterzienserabtei und der Heiliggrabkapelle im Zustand am Ende des 18. Jahrhunderts. Für Erläuterung und Vergrösserung bitte anklicken.  
SchoentalKapelle2
Die Vorgängerkapelle des 15./16. Jahrhunderts. Sie wird noch im 18. Jahrhundert zu einem Wohnhaus (Mesnerhaus) umgebaut.
Foto: P. Schmelzle in Wikipedia.
 
SchoentalKapelleSchnitt
Schnitt von West nach Ost, als Überarbeitung einer Planaufnahme von Sandor Kasper in «Kunstdenkmäler des ehemaligen Oberamtes Künzelsau».  
SchoentalKapelle3
Die Heiliggrabkapelle von Südwesten, mit den Eingängen im Untergeschoss und im Erdgeschoss.
Foto: Roman Eisele in Wikipedia.
 
SchoentalKapelle4
Die Eingangspartie der Kapelle. Über dem Portal ist das persönlichen Wappen des Abtes Benedikt und ein Chronogramm zu sehen. Die hervorgehobenen Ziffern ergeben in jeder Zeile MDCCXVIII (1718).
Foto: Roman Eisele in Wikipedia (Ausschnitt).